Reden

Antrag Mietendeckel

– Es gilt das gesprochene Wort –

„Die Ausdehnung der modernen großen Städte gibt in gewissen, besonders in den zentral gelegenen Strichen derselben dem Grund und Boden einen künstlichen, oft kolossal steigenden Wert; die darauf errichteten Gebäude, statt diesen Wert zu erhöhn, drücken ihn vielmehr herab, weil sie den veränderten Verhältnissen nicht mehr entsprechen; man reißt sie nieder und ersetzt sie durch andre. […] Das Resultat ist, daß die Arbeiter vom Mittelpunkt der Städte an den Umkreis gedrängt, daß Arbeiter- und überhaupt kleinere Wohnungen selten und teuer werden und oft gar nicht zu haben sind, denn unter diesen Verhältnissen wird die Bauindustrie, der teurere Wohnungen ein weit besseres Spekulationsfeld bieten, immer nur ausnahmsweise Arbeiterwohnungen bauen.“

Diese Zeilen schrieb kein geringerer als Friedrich Engels 1872 in seiner Schrift „Zur Wohnungsfrage“. Und mögen manchem manche Begrifflichkeiten veraltet erscheinen, die Probleme, die Engels benennt, sind erschreckend aktuell.

Der Kölner Kardinal Rainer Woelki brachte das Thema in seiner Weihnachtspredigt 2017 zur Sprache: „Mehr und mehr Menschen können sich Wohnen in unserem an sich wohlhabenden Land nicht mehr leisten, weil Wohnungen nicht selten ausschließlich zu Renditeobjekten geworden sind und so preiswerter, bezahlbarer Wohnraum fehlt. Das ist zynisch, im letzten sogar menschenverachtend.“

Oder das Mitglied des DGB-Bundesvorstands Stefan Körzell, der fragt: „Wie soll denn ein Gemeinwesen, wie soll eine Stadt funktionieren, wenn Durchschnittsverdiener wie eine Krankenschwester, eine Polizistin, ein Feuerwehrmann, ein Busfahrer, ein Mann der Müllabfuhr es sich nicht mehr leisten können, dort zu wohnen, wo ihre Arbeitsstelle liegt?“

Wie man es auch dreht und wendet: Markt und Wettbewerb waren schon im 19. Jahrhundert nicht in der Lage, die Wohnungsfrage zu lösen – und sie sind es heute, im Zeitalter eines entfesselten Finanzkapitalismus, weniger denn je. Die Folge sind Mietenwahnsinn und Verdrängung. Wohnen ist im 21. Jahrhundert wieder zu einer der drängendsten sozialen Fragen geworden.

Nun ist es aber nicht so, dass der Gesetzgeber dieser Entwicklung hilflos zusehen muss. Vielmehr verpflichtet uns das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art 14,15 in Verbindung mit Art 28 GG) sowie die sozialstaatlichen und in Teilen sozialistischen Zielbestimmungen unserer Landesverfassung (Art. 27 bis 47) eigentlich, im Sinne der Gemeinwohlorientierung Maßnahmen zu ergreifen, um eine soziale Wohnraumversorgung mit gesetzgeberischen Maßnahmen und mit einer Stärkung des öffentlichen Eigentums durchzusetzen.

Dafür gibt es Konzepte und Forderungen. Der soziale Wohnungsbau in öffentlicher Hand (kommunale und landeseigene Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften, etc.) muss ausgeweitet werden, endlich das Prinzip „einmal Sozialbindung – immer Sozialbindung“ realisiert werden u.v.m.Wir haben aber wenig Zeit. Selbst wenn im Neubau überwiegend bezahlbarer, sozial gebundener Wohnraum entstehen würde – aktuell werden ja weiterhin vor allem Luxuswohnungen gebaut – hilft das nur mittelfristig.

Allein „bauen, bauen, bauen“ wird das Problem also nicht lösen, wir können gar nicht so viel Bauen, wie günstiger Wohnraum wegfällt. Es braucht jetzt sofort wirkungsvolle Maßnahmen gegen den Mietenwahnsinn, sonst wird sich die Verdrängungsspirale weiter beschleunigen, und unsere Innenstädte werden endgültig zu Enklaven der Reichen und Besserverdienenden.

Um die Verdrängungsspirale zu druchbrechen, braucht es wirksamer Sofortmaßnahmen. Ein Gesetz gegen spekulativen Leerstand und Zweckentfremdung, wie wir es gestern wieder diskutiert haben und wie es meine Fraktion seit Jahren fordert, ist richtig und wichtig. Nur, und das wissen sicher auch die Kolleg*innen der SPD, die das Thema neuerdings für sich entdeckt haben: die Verdrängungsspirale kriegen wir damit nicht durchbrochen. Dafür brauchen wir tiefgreifendere, entschlossenere Maßnahmen, die die Mieter*innen schnell und wirksam schützen.

Wie solche Maßnahmen aussehen können, darüber findet gerade vielerorts und insbesondere in Berlin eine überfällige Debatte statt, die weit über den eingeschränkten Horizont der letzten Jahre und Jahrzehnte hinausgeht

Dies betrifft natürlich die ganze Debatte um die Enteignung bzw. Vergesellschaftung großer, renditedominierter Wohnungskonzerne wie Deutsche Wohnen oder Vonovia, die wir sehr interessiert verfolgen. Ja, die ich ausdrücklich begrüße. Es zeigt doch wie groß die Not vieler Mieter*innen ist, wenn sie gegen die Renditestrategien börsennotierter Immobilienkonzerne quasi als letzte Notwehr auch die Enteignung und Vergesellschaftung dieser Konzerne fordern. Wenn die Wohnungskrise so weitergeht, wird es nicht mehr lange dauern bis diese Debatte auch Hessen erreicht.

Für DIE LINKE ist klar: Wir brauchen mehr öffentlichen Wohnraum, die Vergesellschaftung großer Wohnkonzerne ist eine spannende Maßnahme um das Ziel einer sozialen Wohnraumversorgung zu erreichen. Neben der Enteignung und Vergesellschaftung wird in Berlin aber noch über ein anderes Instrument diskutiert, und darum soll es heute gehen, die Einführung eines so genannten „Mietendeckels“.

Jetzt wird seitens der Landesregierung eingewendet werden, wir haben doch die Mietpreisbremse. Aber die hat sich leider als weitgehend wirkungslos erwiesen. Wir brauchen keine zahnlose Mietpreisbremse, sondern eine echte Verdrängungsbremse“

Woher stammt diese Idee und was ist damit gemeint? Die Idee für einen Mietendeckel geht zurück auf juristische Einschätzungen, wonach die Bundesländer zusätzlich zu den bestehenden Gesetzen auf Bundesebene – wie z.B. der Mietpreisbremse – mittels eines öffentlichen Mietpreisrechts selbst aktiv werden können, um die Miethöhe zu regulieren. Dieser Impuls wurde Anfang des Jahres von SPD-Politiker*innen aus Berlin Mitte rund um die Bundestagsabgeordnete Eva Högl aufgegriffen und zu einem Vorschlag für einen „Berliner Mietendeckel“ ausgearbeitet. Seither gibt es in Berlin, aber mittlerweile auch in anderen Bundesländern, eine intensive politische und juristische Fachdebatte um die Zulässigkeit und die mögliche Ausgestaltung eines Mietendeckels. Mehr noch: Die Berliner Landesregierung will bis Sommer die Eckpunkte für ein entsprechendes Gesetz vorlegen.

Dass es grundsätzlich möglich ist, die Miethöhen auf dem Weg des öffentlichen Rechts zu begrenzen, zeigt ein Blick in die Vergangenheit: als Reaktion auf die Wohnungsnot in der Zwischenkriegszeit und nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Gesetzgeber Regelungen erlassen, die der Mietentwicklung nach oben klare Grenzen setzten. Diese waren z.T. bis in die 1980er Jahre gültig und haben Mieter*innen vor Verdrängung geschützt. Das zeigt, dass ein Mietendeckel ein sinnvoller und gangbarer Weg ist – den wir genau jetzt wieder gehen sollten!

Was bedeutet ein solcher Mietendeckel konkret, warum kann er als eine echte Verdrängungsbremse wirken? Die Idee ist – und jetzt hören sie bitte genau zu, verehrte Kolleg*innen, bevor sie uns hinterher wieder Dinge vorwerfen, die wir so gar nicht gesagt haben –, dass Bundesländer selbstständig, d.h. auf dem Weg des Landesrechts, die Mieten begrenzen können. Dabei sind verschiedene Modelle denkbar: am geeignetsten erscheint uns – und so ist das auch in dem SPD-Papier formuliert – ein genereller Mietenstopp, also das Einfrieren der Mieten an das Niveau an einem Stichtag; möglich sind aber auch die Koppelung einer generellen Miethöhe an das Medianeinkommen oder die Orientierung an der ortsüblichen Vergleichsmiete, was auch die Senkung überhöhter Mieten beinhalten könnte. So oder so wären alle Mieten, die über einem bestimmten Niveau liegen, unzulässig, müssten nicht gezahlt werden und würden mit Bußgeld für den Vermieter bestraft.

Wichtig ist, dass ein solcher Mietendeckel eine ganze Reihe von Einschränkungen enthalten würde: So geht es erstens um Wohnungen im Bestand und ggf. auch bei Neuvermietung – nicht aber um Neubau. Das als Argument vorneweg, bevor hier jemand schreit, ein Mietendeckel würde den notwendigen Neubau zum erliegen bringen. Um Neubau geht es ausdrücklich nicht. Zweitens geht auch nicht um alle Wohnungen überall, sondern um einen beschränkten Geltungsbereich, d.h. um jene Städte bzw. Stadtteile, die besonders von Mietsteigerungen betroffen sind. Hierfür würde es sich in Hessen anbieten, auf den Geltungsbereich der Mietpreisbremse zurückzugreifen.

Und schließlich geht es drittens auch nicht um eine dauerhafte Regelung, sondern um eine Befristung auf einen bestimmten Zeitraum – z.B., wie bei Mietpreisbremse und Kappungsgrenze auch, um fünf Jahren. Eben solange, bis sich die aktuelle Situation auf dem Wohnungsmarkt etwas entspannt hat, bis die schlimmste Krise überwunden ist und andere Maßnahmen greifen.

Bis dahin brauchen wir eine wirksame Verdrängungsbremse, und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt sofort – sonst ist es für die allermeisten Mieter*innen in den Innenstädten schlicht zu spät.

Wie genau man ein solchen Mietendeckel ausgestalten kann, darüber wird aktuell in Berlin und anderswo diskutiert. Weil es dafür kein fertiges Konzept gibt, sondern die Fachdebatte noch läuft, wollen wir, dass der Hessische Landtag eine Anhörung über die konkreten Umsetzungsmöglichkeiten und die notwendigen rechtlichen Instrumente abhält – davon hätten wir alle was, gerade auch diejenigen, die hier schon wieder ganz nervös mit den Fußen scharren und den Kommunismus wittern.

Um am Ende an den Beginn meiner Rede zurückzukommen: Ja, ein Mietendeckel wäre ein Eingriff in das Privateigentum von Immobilienbesitzern. Wenn die Mieter*innen jeden Tag durch explodierende Mieten enteignet werden, dann muss man Immobilienbesitzer auch für eine gewisse Zeit ihrer Renditeansprüche enteignen. Denn wie heißt es im Grundgesetz: Eigentum verpflichtet.

Oder um es mit einem Zitat des Juristen Peter Weber auszudrücken, der eines der maßgeblichen Gutachten zum Mietendeckel verfasst hat:

 „Wohnraum ist nicht nur für den Einzelnen, sondern eine in Summe für das Gemeinwesen unverzichtbare Infrastruktur. Dies ungeachtet der Eigentumsverhältnisse. Wohnraum als Eigentumsgegenstand habe […] keine Art Anwartschaft darauf, dem Markt überlassen zu werden. Er ist wie der Grund und Boden, auf dem er steht, weder volkswirtschaftlich noch in seiner sozialen Bedeutung anderen Vermögenswerten ohne weiteres gleichzustellen. Er muss und wird im Rechtsverkehr zu Recht nicht wie eine mobile Ware behandelt.“ (1023)

Und weiter, über die bisherige Position des Bundesverfassungsgerichts in dieser Frage:„Die Kernaussage der Rechtsprechung des BVerfG lässt sich dahin zusammenfassen, dass sich die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Eigentums auf die Substanz, das Erworbene beschränkt. Nicht umfasst ist der Erwerb, die Rendite. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Eigentums umfasst keinen Renditeschutz. Gerade im Bereich der Wohnungsmiete gewährleistet die Eigentumsgarantie nicht die einträglichste Nutzung des Eigentums.“ (1025)

Eigentum verpflichtet! Setzen wir dem Wildwest-Kapitalismus auf dem Wohnungsmarkt endlich wieder wirksame Schranken. Führen wir eine wirksame Verdrängungsbremse ein! Ein Mietendeckel auf Landesebene ist nicht nur dringend notwendig, sondern auch rechtlich möglich. Das wäre noch nicht der von Ihnen so sehr gefürchtete Sozialismus, aber es wäre ein Segen für die Mieter in unseren Städten.