Reden

Rede zu SPD-Antrag 20/394: Eigentum verpflichtet! – Wohnungsleerstand und Wohnungsmangel bekämpfen

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

im Rhein-Main-Gebiet, in den großen und mittelgroßen Städten in Hessen ist es für Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen kaum noch möglich, bezahlbaren Wohnungsraum zu finden. Menschen werden aus ihren Wohnungen und aus den Innenstädten verdrängt, wenn Wohnungen von Investoren aufgekauft, aufgewertet und in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Hartz-IV-Bezieher*innen werden gezwungen, ihre Wohnungen zu verlassen, wenn die Miete die von der Behörde angesetzten Kosten der Unterkunft überschreitet. Der Mietenwahnsinn in Hessen treibt viele Mieter*innen in existenzielle Ängste und Nöte.

Damit muss Schluss sein. Wohnen ist ein Grundrecht! Die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum ist zu wichtig, um sie dem Markt zu überlassen.

Die Wohnungsnöte der vielen und die Rendite der wenigen sind zwei Seiten derselben Medaille. Finanzkräftige Großinverstoren walzen durch unsere Städte auf der Jagd nach Rendite aus Betongold. Sie spekulieren mit Grund und Boden, sie spekulieren mit Wohnungen und mit Leerstand. Wohnungen werden auf der Suche nach millionenschwerem Profit in „reine Anlageobjekte“ verwandelt.

Und eines darf man nicht vergessen. Diese Situation ist auch das Ergebnis neoliberaler Politik, der Liberalisierung der Finanzmärkte, der Privatisierung der Rentenversicherung, von Steuergeschenken für Unternehmen und Superreiche, die Krisenpolitik mit Bankenrettung. Wer über die Misere auf dem Wohnungsmarkt redet, darf über die neoliberale Politik und renditeorientierte Kapitalstrategien nicht schweigen.

Die Mieter*innen müssen es ausbaden. Und damit muss Schluss sein. Und deswegen ist es richtig, dass Mietervereine und -initiativen, Kommunalpolitiker*innen, Sozialverbände, Wissenschaftler*innen, dass Aktive und Fachleute gleichermaßen ein Gesetz gegen spekulativen Leerstand und Zweckentfremdung fordern!

Unsere Fraktion begrüßt daher den Antrag der SPD und die Debatte hier und heute im Hessischen Landtag. Diese Debatte ist dringend nötig.

Der zuständige Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen (es dauert ein bisschen bei der Aufzählung bis man zum Wohnen kommt) behauptet nämlich allen Ernstes, es gäbe keinen relevanten Leerstand in Frankfurt und spricht von einer Leerstandsquote von 1,4 Prozent!

Was der Minister verschweigt: Damit ist nur der „marktaktive“ Leerstand erfasst, d.h. nur ein Teilbereich, nicht Leerstand generell; „struktureller Leerstand“ und „Sockelleerstand“ werden in der offiziellen Statistik nicht erfasst; für den Büroleerstand in Frankfurt bedeutete das für 2016 fast 1 Mio. qm mehr Leerstand als in der offiziellen Statistik ausgewiesen.

Also entweder weiß der Minister es nicht besser. Das wäre bedauerlich. Oder er arbeitet absichtlich mit irreführenden Zahlen. Das wäre dann mehr als bedenklich!

Zum Glück warten Kommunen und Mieterinitiativen nicht auf den Minister. Sonst müssten sie auch lange warten. Frankfurt will einen amtlichen Leerstandsmelder ins Leben rufen. Initiativen haben schon früh das Portal leerstandsmelder.de gestartet. Die Menschen, die sich mit Leerstand beschäftigen, sind also viel weiter als der Herr Minister!

Und auch hier im Parlament sind wir eigentlich schon weiter: Bereits in der letzten Legislaturperiode hat unsere Fraktion in Person meines Kollegen Hermann Schaus mehrfach einen eigenen Gesetzesentwurf zum Verbot von spekulativem Leerstand und Wohnraumzweckentfremdung vorgelegt, der in der Anhörung auf breite Zustimmung gestoßen ist – und trotzdem von CDU und GRÜNEN abgelehnt wurde.

Daran anknüpfend haben wir – und parallel auch die SPD – in der letzten Plenarsitzung einen weiteren Anlauf genommen und erneut einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt; neben einer Reihe weiterer Aspekte zeichnet sich unser Gesetzentwurf vor allem dadurch aus, dass er den Kommunen sehr wirkungsvolle Instrumente an die Hand gibt, gegen Leerstand und Zweckentfremdung vorzugehen; dies beinhaltet als Ultima Ratio auch die Möglichkeit, dass die Kommune einen Treuhänder bzw. eine Treuhänderin einsetzt, um den zweckentfremdeten Wohnraum rasch wieder herzustellen.

Unser Entwurf, aber auch jener der SPD, enthält wichtige Maßnahmen, um wirksam gegen Leerstand und Zweckentfremdung vorzugehen; welche Instrumente wie sehr geeignet sind, wird die Anhörung im August zeigen; die erste Lesung der beiden Entwürfe hat uns in diesem Punkt nicht weitergebracht, eine tatsächliche Auseinandersetzung mit den beiden Entwürfen fand so gut wie gar nicht statt. Trotzdem war die Lesung aufschlussreich, denn es ist sichtbar geworden, wie die Fraktionen generell zur Wohnungsfrage und zum Mietenwahnsinn stehen.

Die Fraktionen auf der rechten Seite des Hauses singen das hohe Lied von Markt und Wettbewerb und stehen auf der Seite von Immobilienkonzernen und Privatkapital. Man fragt sich in welcher Welt sie leben, liebe Kolleg*innen von CDU und FDP, wenn sie das Motto ausgeben: „Wer die Mieten nicht mehr zahlen kann, der soll sich doch einfach mal eine Wohnung kaufen.“ Wissen Sie eigentlich, was der einzelne Quadratmeter Eigentumswohnung in Frankfurt und anderen Städten kostet? Viele Tausende Euro – das ist deutlich mehr, als die meisten Mieter*innen pro Monat verdienen! Kein Wort von ihnen zum Thema Bestandsschutz, keine Rezepte gegen die allgegenwärtigen Verdrängungsprozesse. Man sieht, wie weit sie eigentlich weg sind von den Sorgen und Nöten der Mieter*innen, von der Realität in den Städten!

Auch die Fraktion Rechtsaußen macht Politik für Eigentümer*innen und steht nicht auf der Seite der Mieter*innen. Dass die Herren Migration und Migrant*innen für alles – und also auch für Mietenwahnsinn und Wohnungskrise – verantwortlich machen, zeugt wahlweise von wohnungspolitischer Ahnungslosigkeit oder von absichtsvoller und rassistischer Stimmungsmache! Beides disqualifiziert Sie für die weitere Debatte!

Und was machen die Grünen? Lassen wir das grüne Wahlprogramm sprechen: „In einst populären, gewachsenen Stadtvierteln schreitet die Verdrängung voran: Kündigung nach Aufteilung und Umwandlung in Eigentum, ,kalte‘ Entmietung per Baustelle und Modernisierung sind an der Tagesordnung. Es gibt spekulativen Leerstand, und durch Vermietung von Wohnungen als Ferienwohnungen wird Wohnraum dem Mietmarkt entzogen. Hier gilt es gegenzusteuern.“ (Seite 106) Weiter heißt es: Ein Wohnraumzweckentfremdungsverbot: „soll den Kommunen wieder als Option eröffnet werden, damit sie die Möglichkeit erhalten, gegen Wohnungsleerstand – z. B. mittels eines Leerstandsregisters – vorzugehen. Ein öffentliches Flächenkataster für Kommunen soll ihnen erleichtern, die notwendigen Flächen für den Wohnraum zu mobilisieren.“

Oder wie formulierte es Grünen-Fraktionschef Matthias Wagner bei einer DGB-Veranstaltung kurz vor der Wahl im Oktober in Wiesbaden; man werde dafür sorgen, das ein Verbot von Zweckentfremdung „ins Regierungsprogramm kommt“ (ND 13.03.2019).

Doch nach der Wahl will man nichts mehr davon wissen. Ich frage sie, was gilt? Die Formulierungen aus dem Wahlprogramm oder die Behauptungen des Ministers? Beides passt nicht zusammen!

Und wenn die Landesregierung schon nicht auf die Stimmen der Opposition aus Linken und SPD hören will, dann sollte der Minister wenigstens auf die eigene Basis hören:

So zeigt sich der „Urgrüne“ Jochen Vielhauer (FR 5.03.2019, FAZ 5.03.2019,) „sehr enttäuscht“ über die Haltung von Al-Wazir, diese sei angesichts von mind. 5.5000 leerstehenden Wohnungen in FfM „nahezu zynisch“,und stehe „konträr zu den Aussagen des Grünen Wahlprogramms.“ Weiter sagt über seine Parteifreund*innen im Landtag:„Entweder sie wollen sich die Niederlage bei den Koalitionsverhandlungen nicht eingestehen, oder sie haben es bei den Verhandlungen gar nicht versucht.“ Wo er Recht hat, hat er Recht!

Oder der langjährige Ortsvorsteher Jörg Harraschain: „Die Situation wird von Al-Wazir komplett falsch eingeschätzt.“ Tatsächlich stelle der spekulative Leerstand von Wohnhäusern in ganz Frankfurt ein großes Problem dar: „Es muss schleunigst gegengesteuert werden.“

Diese Aussagen machen klar: Die schwarzgrüne Landesregierung betreibt in Sachen Leerstand und Wohnraumzweckentfremdung Realitätsverweigerung. Damit muss Schluss sein! Hessen braucht dringend ein Gesetz gegen Leerstand und Zweckentfremdung. Wir müssen dem spekulativen Leerstand endlich wirksam bekämpfen.

Auch das Bündnis „Mietenwahnsinn Hessen“ ist viel weiter als die Landesregierung. Dem Bündnis gehören mehr als 40 Mieter*innenvereine und -initiativen, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften, Studierendenvertretungen und anderen Gruppen aus ganz Hessen an. Man kann also davon ausgehen, dass das Bündnis einen sehr guten Überblick über die Situation am hessischen Wohnungsmarkt hat.

In einer Pressemitteilung von Montag heißt es: „Das Bündnis #Mietenwahnsinn-Hessen kritisiert, dass die Regierungskoalition ein Gesetz zum Verbot von Wohnraumzweckentfremdung ablehnt. „Spekulativer Leerstand ist ein großes Problem in Ballungsräumen“, so das Bündnis. (…) Das Bündnis fordert die Landesregierung auf, eine solche Verordnung zu erlassen und weitere, umfassende Maßnahmen zu ergreifen, um der Verdrängung der Bevölkerung entgegen zu wirken. (…) Wohnraumzweckentfremdung ist nur ein Mittel der Verdrängung und Gentrifizierung. (…) Es kritisiert, dass es auch in der neuen Legislaturperiode in Hessen keinen wohnungspolitischen Kurswechsel gibt.“

Am kommenden Samstag, den 6.4., ein europa- und bundesweiter Aktionstag gegen steigende Mieten und für ein Recht auf Stadt statt. Auch in Frankfurt wird es am Samstag um 14 Uhr an der Hauptwache eine Kundgebung geben.

Wir rufen alle auf, sich an diesen Protesten zu beteiligen. Es braucht Druck von der Straße gegen steigende Mieten, gegen Leerstand und Zweckentfremdung – und für ein Recht auf Stadt für Alle!

Gleichzeitig ist klar: Mit einem Gesetz gegen Leerstand und Zweckentfremdung ist es nicht getan. Es braucht weitere kraftvolle Maßnahmen. Deshalb haben wir einen Antrag für die Einführung eines Mietendeckels vorgelegt, den wir Morgen debattieren werden. Wir freuen uns auf die Debatte.