Reden

EZB-Eröffnung: Ja zu bunten und friedlichen Protesten - Nein zu Gewalt und Zerstörungswut

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Lassen Sie mich mit einer hoffentlich vollkommen unmissverständlichen Bemerkung beginnen: Nein, das war keine Politik, die wir am Morgen des 18. März erlebt haben, das war pure Gewalt. Das war menschenverachtend. Ich war entsetzt über das, was ich selbst erlebt habe bzw. über das, was ich auf Bildern gesehen habe. Genau das habe ich bereits am Mittwoch auf der Pressekonferenz um 13 Uhr gesagt. Ich weiß nicht, warum das missverständlich ist. Die Gewalt, die in den frühen Morgenstunden von wenigen Hunderten ausgegangen ist, ist in keinster Weise zu rechtfertigen, wird es von mir nicht und wurde es von mir auch nie.

Ich bin entsetzt über die Gewalt und die Tatsache, dass Feuerwehrleute, Polizisten, alle Menschen im Ostend in Gefahr gebracht, attackiert und Menschen verletzt worden sind. Jede, jeder Verletzte ist eine, einer zu viel, egal auf welcher Seite. Unsere Anteilnahme gilt allen Verletzten. (Beifall bei der LINKEN) Ich finde es schade, dass nur meine Fraktion diesen Satz beklatschen kann.

Meine Damen und Herren, nehmen Sie bitte aber auch zur Kenntnis, dass genau diese Irren, die da am frühen Mittwochmorgen durch das Ostend vandaliert sind, dass das eben nicht Blockupy war, dass das nicht von Blockupy organisiert war, dass es nicht von mir organisiert war und nicht von meiner Partei. Bitte nehmen Sie das doch auch einmal zur Kenntnis.

Überlegen Sie doch einmal. Es haben schon einige gesagt, welche negativen Auswirkungen – außer den Verletzungen, die die Gewalttaten hervorgerufen haben, als Überschattung des ganzen Inhalts des Tages – es auch gegeben hat. Überlegen Sie doch einmal: Warum sollten wir selbst so etwas planen – unabhängig davon, meine Distanzierung ist vollkommen unabhängig von strategischen Überlegungen –, was uns selbst schadet? Denken Sie doch da einfach einmal nach.

Meine Damen und Herren, ich habe es in den letzten Tagen schon mehrfach gehört, und jetzt gerade wieder, von Herrn Wagner. Es ist doch eine vollkommen maßlose Überschätzung meiner Person und meines Einflusses: Ich hätte verhindern können, was da an Gewalttätigkeiten passiert ist und was 10.000 schwerbewaffnete Polizisten nicht verhindern können? Tut mir leid, da überschätzen Sie mich nun einmal wirklich hoffnungslos.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist doch jetzt eine völlige Verdrehung der Tatsachen: Weil ich als Anmelder die Kundgebung ab 14 Uhr auf dem Römerberg und die anschließende Demonstration durch die Innenstadt zu verantworten habe, fordern Sie jetzt meinen Rücktritt als Vizepräsident dieses Hauses. Ich zitiere aus dem Antrag von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für diesen Tagesordnungspunkt: Der Hessische Landtag würdigt diese friedlichen Ausdrucksformen als einen Beitrag zum öffentlichen Diskurs über den weiteren Umgang mit der Krise. Diese friedlichen Demonstrationen und Proteste gilt es auch in Zukunft zu ermöglichen. Ja. Aber warum kritisieren Sie dann den Anmelder und Durchführer genau dieser friedlichen Proteste?

Frau Faeser hat für die SPD an dieser Stelle eben gesagt: Wir achten die Demonstranten. Und Sie schlachten den Anmelder? Frau Faeser, das ist unglaubwürdig.

Meine Damen und Herren, wenn wir seitens des Innenministers kritisiert werden, wir hätten im Vorfeld der Demonstration nicht genügend kooperiert – Herr Innenminister, so sind Sie falsch informiert. Unmittelbar nach der Anmeldung von Kundgebung und Demonstration haben wir das Ordnungsamt darauf gedrängt, ein Kooperationsgespräch zu bekommen. Das hat ein paar Tage gedauert, aber am 28. Januar hat das Ordnungsamt erstmals zu einem Kooperationsgespräch eingeladen. Wir hätten es lieber früher gehabt. Es hat aber seit dem 28.01. mehrere Kooperationsgespräche gegeben, bis hin zum letzten Gespräch, kurz vor dem Start der Demonstration. Ein Zeichen dafür, wie gut die Kooperation bei der Anmeldung und Durchführung der friedlichen Demonstration war: Der Abschnittsleiter hat mir als Anmelder kurz vor dem Start der Demonstration noch einmal gesagt, dass die Polizei unter den Demonstranten sehr wohl Menschen identifiziert hat, die sie auch am Vormittag gesehen hatte, und hat mich darauf hingewiesen, dass die Demonstration sofort angehalten werde, falls es zu Gewalttaten komme. Ich habe ihm geantwortet, dass ich alles in meiner Kraft Stehende tun werde, dass es eben nicht zu Gewalttaten kommt. Das haben wir seitens der Demonstrierenden, seitens der Anmelder und seitens unserer Ordnerinnen und Ordner geschafft. Bitte nehmen Sie auch das zur Kenntnis.

Meine Damen und Herren, ich bin mit Ihnen vollkommen einer Meinung, dass das, was von wenigen Hunderten am Vormittag gemacht wurde, ohne jeden Zweifel Straftaten waren – Straftaten gegen Sachen und, noch viel schlimmer, Attacken, Angriffe auf Personen. Diese Straftaten gehören verfolgt. Da sind wir vollkommen einer Meinung. Sie unterstellen aber uns als Partei – oder mir als Person –, dass wir diese Straftaten vorbereitet hätten. Das weise ich mit aller Entschiedenheit zurück.

Der Frankfurter Polizeipräsident hat im hessischen Fernsehen behauptet, dass in unserem „Parteibüro“ in der Schönstraße Straftaten vorbereitet worden seien. Ich hoffe, dass der Polizeipräsident, nachdem er die Ermittlungen in aller Akkuratesse durchgeführt hat, eine ein wenig genauere Aussage treffen wird. Es ist nämlich kein „Parteibüro“ von uns, das er als solches bezeichnet hat, sondern in diesem Büro arbeiten unterschiedliche Aktivistinnen und Aktivisten aus den Stadtteilen zusammen. Dazu gehören auch Mitglieder der LINKEN – das ist korrekt –, aber ich hoffe, dass die Frankfurter Polizei bei der Straftatermittlung sehr korrekt arbeitet und solche kleinen Fehler nicht mehr begeht.

Meine Damen und Herren, wir alle sollten uns darüber einig sein, welche Bedeutung es hat, wenn Blockupy es schafft, am Nachmittag eines Werktages über 20.000 Menschen zu einem friedlichen antikapitalistischen Protest zusammenzubringen – selbst unter dem Eindruck der Geschehnisse, der Straftaten, der sinnlosen Gewalt am Vormittag. Es ist einfach Fakt, dass die Politik, gegen die Blockupy demonstriert und Widerstand organisiert, Wut und Empörung auslöst. Dies abzustellen kann nur durch eine Veränderung der Politik gelingen.

Da Sie mir vielleicht nicht glauben, möchte ich an dieser Stelle den Frankfurter CDU-Stadtverordneten Stephan Siegler zitieren, der im hessischen Fernsehen Folgendes gesagt hat. „Wenn man sieht, wie die Menschen in Spanien und Italien leben, da haben viele die Hoffnung auf politische Lösungen verloren: 50 Prozent  Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, eine noch höhere in Griechenland, in Griechenland im Grunde genommen keiner mehr, der normal Geld verdient, eine Wirtschaft, die de facto zusammengebrochen ist. Da suchen sich gerade junge Leute dann schon diejenigen, die Verbesserungen und Veränderungen versprechen, weil ja die etablierte Politik eben zu den Lebensverhältnissen geführt hat, in denen sie zurzeit leben.“

Ich gebe Herrn Siegler ausdrücklich recht. Ein weiterer Frankfurter, der Kulturschaffende Willy Praml, sagt – ich zitiere aus der aktuellen Ausgabe des „Spiegel“: „Ich verstehe die Wut, die viele der Leute gerade aus südeuropäischen Ländern haben. Denen geht es dreckig. Die haben eine enorme Jugendarbeitslosigkeit. Natürlich ist es blödsinnig, Scheiben einzuschmeißen und Autos anzuzünden. Damit haben sich die jungen Leute nur selbst geschadet. Oder vielmehr: Einige wenige haben der großen Mehrheit von ihnen geschadet. Die meisten waren zwar tatsächlich sehr wütend, aber sie wollten ohne Gewalt gegen die in Europa vorherrschende Politik demonstrieren und müssen jetzt erleben, dass fast alle Medien nur über brennende Straßensperren und Krawalle berichten. Dabei haben die junge Leute etwas zu sagen, wenn man ihnen zuhört.“

Meine Damen und Herren, was nun als Konsequenz auch aus den durch nichts zu rechtfertigenden Gewalttaten am Morgen des 18. März droht, sind Verschärfungen und Beschränkungen des Demonstrationsrechts. Ich erinnere daran: Wir haben friedliche Blockaden als Demonstrationsmittel durchgesetzt – z. B. in Mutlangen, wo wir unter anderem mit Heinrich Böll demonstriert haben. Vielleicht war auch der eine oder andere von Ihnen dabei. Davon ist im Moment keine Rede mehr, sondern Ihre Argumentation ist jetzt, Blockade sei ein Aufruf zur Gewalt. Meine Damen und Herren, jetzt wird vorgeschlagen, verschärfte Grenzkontrollen wieder einzuführen. Damit droht eine Einschränkung unseres Grundrechts auf Freizügigkeit. Und es droht eine weitere Aufrüstung der Polizei, wie wir letzte Woche hören durften.

Meine Damen und Herren, was haben denn der eine oder andere CDU-Vertreter für ein Verständnis des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit, wenn jetzt gefordert wird, dass der Anmelder einer Demonstration – regional und zeitlich weit von Gewalttaten entfernt –, für Schäden haftbar gemacht werden soll?

Meine Damen und Herren, wenn sich das durchsetzt: Wie weit wollen Sie das ausdehnen? Soll das auch für die Nachbarstadt gelten? Soll das für die ganze Woche gelten? Was haben Sie für ein Verständnis von diesem Grundrecht, wenn die Haftbarkeit eines Demonstrationsanmelders für Vorgänge hergestellt werden soll, die nicht auf seiner Veranstaltung passieren, sondern zeitlich und räumlich entfernt geschehen? Das wäre eine vollkommen unzulässige Einschränkung des Demonstrationsrechts. Wer sollte sich dann überhaupt noch finden, als Anmelder zu fungieren?

Meine Damen und Herren, ich habe mich letzte Woche dafür eingesetzt und werde dies auch weiterhin tun, dass friedlicher Protest und Widerstand organisiert werden, weil nur ein Politikwechsel – das ist das Ziel von Blockupy – Verelendung und damit Wut und Empörung darüber beenden können. Ich will dazu Heribert Prantl aus der „Süddeutschen Zeitung“ zitieren: „Natürlich darf man zornig sein, wenn die Aktienmärkte bersten, die EZB aber immer mehr Geld samt Sparauflagen in die Welt schüttet. Natürlich darf man zornig darüber sein, dass die unglaublich niedrigen Zinsen nur zu Spekulationen führen und nicht zu Investitionen. Natürlich darf man fordern, dass die Staaten Europas das billige Geld vom Kapitalmarkt nehmen und damit ein gewaltiges Konjunkturprogramm finanzieren, eines, das sich gewaschen hat; das Europa reinigt von Defätismus …“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Blockupy hat Schaden genommen. Die Menschen, die von Menschen verletzt worden sind, die nicht zu Blockupy gehören, die nicht zu meiner Partei gehören, haben noch viel mehr Schaden genommen. Das tut mir entsetzlich leid. Aber differenzieren Sie bitte zwischen den Gewalttätern auf die ich keinen Einfluss habe und hatte, und den – – (Alexander Bauer (CDU): Sie sollten das einmal verurteilen!) – Ich habe eindeutig verurteilt, was dort geschehen ist. Das ist nicht meine Politik. (Hermann Schaus (DIE LINKE): Das hat er doch gesagt! – Janine Wissler (DIE LINKE): Wie oft soll er es denn noch sagen? – Zurufe von der CDU) Ich möchte mit dem Wunsch schließen, dass wir uns weiterhin dafür einsetzen, das zu ermöglichen, für das ich am Mittwoch, dem 18. März 2015, nachmittags, als Anmelder stand: friedlich, gewaltfrei und unter offenem Himmel. Setzen Sie sich mit mir zusammen dafür ein. – Ich bedanke mich.

Ab hier aus Zeitgründen nicht mehr geredet:

Fortführung des Zitats Prantl:

„Natürlich dürfen Zornige und Wütende keine Autos anzünden und nicht herumprügeln. Aber man darf auch nicht, wie es in Frankfurt immer wieder geschieht, Proteste gegen den Finanzkapitalismus so gängeln, dass der erlaubte Demonstrations-Rest nicht sicherer, sondern gefährlicher wird. Es ist nicht gut, wenn es die Blödheit von Randalierern der Politik erleichtert, in ihrer eigenen Dummheit zu verharren. Es ist auch nicht gut, wenn notwendiger Protest den Krawallmachern überlassen wird.

Ist wirklich der im Unrecht, der sich empört darüber, dass die EU 800 Milliarden Euro mobilisieren konnte, um Banken zu stabilisieren, aber nur sechs Milliarden, um Millionen arbeitslosen Jugendlichen zu helfen?“

Das europäische Finanzsystem in der globalen Wirtschaftsordnung ist verantwortlich für Spekulationen, auch  Nahrungsmittelspekulation, und damit verantwortlich für Hunger, Not und Elend. Allein in Syrien droht aktuell hunderttausenden Menschen der Hungertod. UNICEF sieht über 20 Millionen Kinder mangelernährt.
Die menschliche Phantasie reicht nicht aus, um sich das Elend vorzustellen, das sich hinter diesen Zahlen verbirgt.  Und: Das ist keine Naturkatastrophe, sondern ein Verbrechen. Die Wut darüber ist nicht nur nachvollziehbar, sondern notwendig und berechtigt.

Doch die Gewalt wie in Frankfurt trägt nicht dazu bei, diese Verbrechen zu überwinden. Sie ist dazu nicht geeignet. Sie gefährdet und verletzt Menschen und liefert die Vorwände, um bürgerliche und demokratische Freiheitsrechte einzuschränken, linke Kräfte zu diffamieren und von den Verbrechen der Herrschenden abzulenken. Deshalb haben wir mit diesen Gewalttaten nichts zu tun, waren an ihnen nicht beteiligt und lehnen sie eindeutig ab.

Ich möchte mit einem nochmaligen Zitat von Herrn Prantl schließen:
„Europa braucht friedlich-zornige Proteste. Die gerechte Verteilung des Reichtums, den diese fordern, fördert den inneren Frieden.“