140x190 marjana schottMarjana Schott

schied zum Ende der 19.Legislaturperiode aud dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren langjährigen parlamentarischen Einsatz.
  
 
  

www.marjana-schott.de
 


Reden

Rede Marjana Schott zum Setzpunkt der LINKEN für „Konsequenzen aus dem zweiten Hessischen Landessozialbericht ziehen – Landesaktionsplan gegen Kinderarmut realisieren“ (19/6415)

Rede Marjana Schott am 23. Mai 2018 im Hessischen Landtag

– Es gilt das gesprochene Wort –


Sehr geehrte Damen und Herren,

heute vor 69 Jahren wurde das Grundgesetz verabschiedet. Es lohnt sich ab und an nachzulesen, was in den Grundrechten enthalten ist. Da ist die Sprache von
Ehe und Familie, die unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehen – das scheint nicht für Alleinerziehende zu gelten, denn sonst hätten diese nicht das niedrigste Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen. Aber auch in den Paarhaushalten mit mehreren Kindern liegen die Einkommen deutlich unter denjenigen ohne. Hier ist die Familien- und Steuerpolitik gefragt. 

Da ist die Rede davon, dass jede Mutter den Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft hat. Anscheinend aber nur bis das Kind auf der Welt ist, dann lässt das Interesse nach. Dies zeigt sich daran, dass die Eltern vom Grundsicherungsregelsatz nicht einmal Windeln kaufen können.

Da ist die Rede von der Unverletzlichkeit der Wohnung. Was ist mit Menschen, die ihre Wohnung verlieren, weil sie arm sind? Hört da die Unverletzlichkeit auf? Da das Land immer noch keine Wohnungslosenstatistik hat, liegt nur die die Erhebung der Liga vor, die für 2015 etwa 3400 obdachlose Menschen erfasst hat. Der Anteil der Menschen, die vollständig auf der Straße leben, ist auf ein Sechstel angestiegen.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wo bleibt denn die Würde der Frau, die sich nicht einmal traut, ihre Freude über die Schwangerschaft zu zeigen, weil sie weiß, dass sie arm ist und Angst hat vor den Reaktionen der Menschen, die sie verurteilen werden. Sie, die bereits zwei kleine Kinder hat, keinen Partner und von Hartz IV leben muss. Natürlich hat sie Angst, ob sie das alles schaffen wird. Welche Haltung gibt sie ihrem Kind mit, das nie die Freude über die Schwangerschaft gespürt hat?

Sind unsere Grundrechte mit den Auswirkungen von Armut in diesem Land vereinbar, sehr geehrte Damen und Herren?

Vor einem Jahr haben wir den Antrag auf einen Landesaktionsplan gegen Kinderarmut gestellt. Da hieß es, das Thema wird prominent im zweiten Sozialbericht behandelt. Das ist durchaus richtig. Es nimmt fast 70 Seiten ein. Die Handlungsempfehlungen sind aber sage und schreibe genau zwei Seiten. Schauen wir sie uns genau an:

  1. Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Verlässliche Kinderbetreuung wird von der Landesregierung gefordert, allerdings wird die Verantwortung vollständig den Kommunen mit einer viel zu geringen Unterstützung des Landes zugeschoben.

Nein, Kitas müssen für alle kostenfrei sein und eine gute personelle Ausstattung bieten. Sie sind eine wichtige Sozialisationsinstanz für Kinder und keine Aufbewahrungseinrichtungen. Deshalb muss das Land endlich die finanzielle Verantwortung für Kitas übernehmen und den Kommunen das Geld zur Verfügung stellen.

  1. Für die Alleinerziehenden sollen familienfreundliche und flexible Arbeitsbedingungen in existenzsichernden Beschäftigungsverhältnissen sichergestellt werden.

Wie das passieren soll, wissen wir allerdings erst, wenn die Kommission „Hessen hat Familiensinn“ Handlungsfelder entwickelt hat.

Wissen Sie wirklich nicht, was Alleinerziehende brauchen? Sie benötigen neben der Betreuung in der Kita eine sichere Betreuung in der Grundschulzeit, das heißt gute, also echte Ganztagsschulen. Sie brauchen Arbeit, von der sie leben können. Ihnen nützt es nichts, wenn der Sozialminister mantraartig wiederholt, dass die Landesregierung keinen Einfluss auf die Gehälter im Sozial- und Gesundheitswesen, den typischen Frauenberufen, hat. Sie hat Einfluss und zwar großen. Wenn die Kommunen genügend Geld für die Kindertagesbetreuung haben, dann können sie es für genügend Erzieher*innen und für gute Bezahlung ausgeben. Wenn die Schwangerschaftskonfliktberatung und viele andere soziale Einrichtungen besser vom Land finanziert würden, dann können sie höhere Löhne zahlen und mehr Angebote für Alleinerziehende machen. Wenn Familienleistungen nicht im Ehegattensplitting und der Förderung von Gutverdienenden versickern würden, wäre Alleinerziehenden gedient.

  1. Das Bildungs- und Teilhabepaket soll Kinderarmut bekämpfen.

Das meinen Sie doch nicht ernst. Mal abgesehen davon, dass es schon ein paar Jahre existiert und sich kein Erfolg eingestellt hat. Dass es nicht gut funktioniert, können Sie im Berichtsteil der Sozialverbände, Kirchen, DGB und agah nachlesen. Eine Familie beschreibt, wie sie zwischen Musikschule und Jobcenter hin und her rennt, um die 10 Euro Zuschuss pro Monat zu bekommen, auf den sie aber nochmal das Doppelte drauflegen muss. Dieses bürokratische Paket wurde eingeführt, weil die Regelsätze für Kinder zu niedrig sind. Das ist aber immer noch so. Erst in der letzten Woche hat Monitor errechnet, dass jährlich 25 Milliarden Euro eingespart werden, weil die Grundsicherung zu niedrig berechnet wurde.

  1. Die Landesregierung ist bereit, eine Wohnungsnotfallstatistik erstellen zu lassen.

Immerhin dazu wäre der langjährige Kampf der Wohlfahrtsverbände und die 326 Seiten Sozialbericht nützlich, wenn sie tatsächlich eingeführt werden würde. Neben den Erfahrungswerten der Wohlfahrtsverbände gibt es die bundesweite Schätzung der BAG Wohnungslosenhilfe. Die Zahlen für 2016 heruntergerechnet auf Hessen wären dies 64.500 Menschen. Mehr bezahlbare Wohnungen wäre eine sehr wirksame Maßnahme gegen Armut. Wenn von einem niedrigen Einkommen hohe Mieten gezahlt werden müssen, reicht es nicht mehr für Bildung, Gesundheit, Mobilität, Kultur, Urlaub oder auch fürs tägliche Essen. Dass kostengünstige Kredite keine Wirksamkeit entfalten, müsste die Landesregierung inzwischen bemerkt haben. Es ist auch unsinnig, das Geld privaten Wohnungsbauunternehmen in den Rachen zu werfen. Warum nutzen Sie die finanziellen Ressourcen nicht und ermöglichen den Kommunen den sozialen Wohnungsbau zu schaffen?

  1. Die Landesregierung hat die Frauen und das Gender pay gap entdeckt.

Vergessen Sie allerdings das Pension gap nicht, das ist noch gravierender und bildet die Altersarmut bei Frauen ab. Sie haben den Lohnatlas erstellt. Der soll einen Ansatzpunkt für weiteres Handeln bieten. Ach ja, wo ist er denn der Ansatzpunkt? Den suchen Sie wohl weiter? Ich habe vorhin einiges zu existenzsichernden Arbeitsverhältnissen gesagt, auf die Sie Einfluss haben.  Es wären noch die Hochschulen zu benennen mit den vielen schlecht bezahlten und befristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen. Es sind aber auch die Minijobs und prekären Arbeitsverhältnisse zu nennen, die durch die Hartz-Gesetze möglich geworden sind.

  1. Zum Unterhaltsvorschuss nur so viel.

Das nützt einigen tatsächlich, aber wiederum nicht den Grundsicherungsempfänger*innen. Da nutzt es nur den Sozialkassen, es geht von der einen in die andere Tasche.

  1. Schließlich soll Kinderarmut bekämpft werden durch den Ausbau der Familienzentren und die Familienkarte.

Eines Beweises bleiben sie allerdings schuldig. Ausbildungsprogramme sollen die sogenannten späteren Vermittlungshemmnisse vorbeugen. Da gibt es tatsächlich einiges zu tun. Die Zahl der Ausbildungsverhältnisse und Ausbildungsbetriebe ist historisch niedrig. Etwa 14 % der 25- bis 34-Jährigen verfügen hierzulande über keine Berufsausbildung. Hier wäre etwas zu sagen über eine verstärkte Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Das will aber der Sozialminister nicht, gerade wenn wir vom Öffentlichen Beschäftigungssektor oder Passiv-Aktiv-Transfer sprechen. Als Zwang zur Arbeit, wie Hubertus Heil, wollen wir es allerdings auch nicht.

  1. Ob die Kinderrechtsbeauftragte mit ihrem schmalen Auftrag und Budget wirksam zum Abbau von Kinderarmut beitragen kann, möchte ich stark anzweifeln.

Das einzige, was nützen würde, wäre, wenn Sie tatsächlich die Positionen des Beirats ernst nehmen würde und damit meine ich natürlich diejenigen der Liga der freien Wohlfahrtspflege, der Kirchen, des DGB, des Sozialverbands VdK und der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessens. Hier stecken viele Impulse drin, die auch mit unseren Positionen übereinstimmen.

Gerade in den letzten Tagen sind die Meldungen über schlecht ausgestattete Jugendämter in den Medien gewesen. Die schlechte Ausstattung ist bekannt. Die Kommunen haben schlichtweg zu wenig Geld für die Jugendhilfe. Es reicht weder für intensivpädagogische Maßnahmen, obwohl sie unbedingt erforderlich sind, noch für präventive Maßnahmen, was später zu höheren Kosten führt, oder zu einer guten Ausstattung mit Personal und zu vernünftigen Arbeitsbedingungen. Die bundesweite Studie ergab, dass nur in zwei Dritteln der Ämter die Obergrenze von 35 Fällen pro Mitarbeiter*in des Allgemeinen Sozialen Dienst eingehalten werden kann. Mehr als 60 Prozent der Arbeitszeit findet nicht in der Familie statt, allerdings bleibt oft genug die Dokumentation der Hausbesuche liegen. Ob man in weniger als einer Stunde Hausbesuch feststellen kann, ob eine Misshandlung oder Gefährdung des Kindes erfolgt, diese Frage kann sich jeder und jede von Ihnen nach bestem Wissen und Gewissen beantworten.

Im Interesse der Kinder und ihres Schutzes ist eine bessere Ausstattung der Jugendämter mit mehr Ressourcen und Personal erforderlich. Dafür braucht es keine spektakulären Todesfälle, das müsste Politik von alleine wissen. Hier gibt es Handlungsbedarf, die Kommunen für ihre Aufgaben ordentlich auszustatten.