140x190 marjana schottMarjana Schott

schied zum Ende der 19.Legislaturperiode aud dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren langjährigen parlamentarischen Einsatz.
  
 
  

www.marjana-schott.de
 


Reden

Gesetzentwurf zur Regelung des Rechts der Hilfen und Unterbringung bei psychischen Krankheiten

Rede Marjana Schott am 4. Mai 2017

– Es gilt das gesprochene Wort –


Sehr geehrte Damen und Herren,

Hessen braucht ein Gesetz, das die Menschenwürde in jeder Situation wahrt, das präventiv wirkt, das die Unterstützung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und deren Familien gewährleistet und das die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben eröffnet sowie eine hohe Qualität garantiert. Einen solchen Gesetzesentwurf hat die Landesregierung nicht vorgelegt, auch die Änderungsanträge der Regierungsfraktionen haben nicht dazu beigetragen.

Eigentlich hätten wir Ihnen eine Alternative vorlegen müssen, denn es geht besser, schon die Akzeptanz der Änderungsvorschläge der SPD hätte den Entwurf zu einem wesentlich weniger schlechten gemacht. Da Sie allerdings weder die Expertise der Mitglieder des Psychiatriebeirats noch der Expertinnen und Experten in der Anhörung noch irgendein Fitzelchen aus dem SPD-Vorschlag aufnehmen wollten, haben wir uns der Illusion nicht hingegeben, dass es gerade ein Vorschlag von der LINKEN sein soll, der Sie von Ihrer Ignoranz befreien kann. Ja, Ignoranz, anders kann ich es mir nicht erklären, was Sie dazu führt, ein schlechtes Gesetz, das in vielen Punkten nicht mit der Verfassung und mit der UN-Behindertenrechtskonvention übereinstimmt, heute verabschieden zu wollen.

Gerne ein paar Beispiele. Psychisch Kranke brauchen Krisendienste, wie es Sie in Oberbayern, Schleswig-Holstein, Berlin und auch im Raum Darmstadt gibt. Wenn Ihr Satz: "Ambulante Hilfen sollen nach Möglichkeit auch außerhalb der Regelarbeitszeiten zugänglich sein" schon das Ende der Geschichte ist, dann bleiben wir wie im Rest des Gesetzes im Vagen, Ungefähren, Unverbindlichen. Wir verhindern damit keine stationären Aufenthalte, wir verhindern keine Unterbringungen, wir verhindern keine Zwangsmaßnahmen – das ist aber doch der Sinn des Grundsatzes ambulant vor stationär. Dazu müsste die Landesregierung dafür sorgen, dass überall im Lande Strukturen aufgebaut werden, die Anlaufstellen für Menschen in psychischen Krisen bieten. Und das nicht nur ab und zu außerhalb der Bürozeiten sondern regelmäßig am Wochenende und nachts. Gerade dann passieren psychische Krisen. Hierfür müssen aber vor Ort die Bedingungen geschaffen werden, dazu reicht es nicht die sozialpsychiatrischen Dienste um eine Stelle aufzustocken. Die kleinen Anfragen der LINKEN zu diesen Diensten ergaben im Land ein äußerst inhomogenes Bild. Das reicht von 0 bis zu 20,5 besetzten Stellen pro Kreis. Es gibt aber Bundesländer, die Mindestbesetzungen festlegen. Da ist zum Beispiel Bayern, das eine Fachkraft pro 35.000 Einwohner_innen als bedarfsgerecht ansieht, oder Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen, die einen Facharzt bzw. Psychologen und vier Fachkräfte pro 100.000 Einwohner_innen vorsehen, oder Sachsen-Anhalt, das empfiehlt pro 150.000 Einwohner_innen eine ärztliche Leitung und vier Fachkräfte vorzusehen oder Sachsen, die Anreize für eine Fachkraftausstattung pro 25.000 Einwohner_innen vorsieht. Wenn die Maßstäbe aus Thüringen uund Mecklenburg-Vorpommern in Hessen angelegt werden würden, müsste sich das Personal in den sozialpsychiatrischen Diensten teilweise verzehnfachen. Wo dieses herkommen soll bei der bescheidenen Bezahlung, ist allerdings ein Rätsel.

Sehr geehrte Damen und Herren,
die sehr engagierten Kolleginnen und Kollegen in den ambulanten und in den stationären psychiatrischen Einrichtungen werden von der Regierung im Regen stehen gelassen.

Noch mehr, sie müssen sich demnächst mit völlig untauglichen rechtlichen Vorschriften herumschlagen. Kinder sollen, wenn auch nur vorübergehend, in Erwachseneneinrichtungen untergebracht werden. Es wimmelt im Gesetz von unklaren Krankheits- und Gefahrbegriffen. Bei der Unterbringung heißt es, erhebliche Gefahr für ihr Leben, ihre Gesundheit, bei der Zwangsbehandlung ohne gerichtliche Genehmigung heißt es, wenn hierdurch die Behandlung verzögert würde und sich heraus Nachteile für das Leben oder die Gesundheit der gefährdeten Person ergeben würden. Dann wird Zwang angedroht, um die Sicherheit und Ordnung des psychiatrischen Krankenhauses aufrechtzuerhalten. Diese ist schon ein Grund, um Besuche und Telefongespräche einzuschränken.

Es gibt völlig unklare Formulierungen, wie „andere bedeutende Rechtsgüter Anderer“. Dies muss ersatzlos gestrichen werden.

Leider gibt es zu viele Regelungen, die ich erwähnen müsste, weil sie verfassungswidrig oder zumindest verfassungsrechtlich bedenklich sind. Da fehlt mir die Zeit. Deshalb nur ein paar Beispiele:

1. Im Gesetz soll die Zwangsbehandlung einwilligungsfähiger Personen geben (§ 20,2) möglich sein. Dies widerspricht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.07.16, das aussagt „eine medizinische Zwangsbehandlung gegen den freien Willen eines Menschen ist ausgeschlossen“.

2. Das Gesetz ermöglicht eine Zwangsbehandlung ohne gerichtliche Genehmigung, wenn die Behandlung verzögert würde. Es ist zu befürchten, dass hier der Notfall zum Regelfall wird. Das Bundesverfassungsgericht hat aber in seiner Entscheidung am 23.03.11 festgehalten, dass der Rechtsschutz gegen eine solche Maßnahme möglich sein muss.

3. Schließlich darf es keine Zwangsbehandlung von fremdgefährdenden Personen geben. Auch hier ist das Bundesverfassungsgericht eindeutig. Dies führt dazu, dass Menschen, die nach dem BGB untergebracht werden, anders behandelt werden als diejenigen nach dem PsychKHG.
Alles in allem wird das Gesetz zu viel Unklarheit bei den Behörden, den Psychiater_innen und viel Klärungsbedarf bei den Gerichten führen. Da hätte die Landesregierung doch mal besser in anderen Bundesländern abschreiben sollen.

Besonders ärgerlich sind die Einschränkungen bezüglich der UN-Behindertenrechtskonvention. Diese soll nach der Präambel nur „so weit wie möglich“ berücksichtigt werden. Weit ist es mit den Möglichkeiten nicht her, es fehlen Regelungen, wie Menschen mit Behinderungen in der Entscheidungsfindung unterstützt werden bzw. wie die bestmögliche Interpretation des Willens und der Einstellungen der Person berücksichtigt werden kann.

Weder die Erfahrungen aus der Psychiatrie-Enquete 1975 noch aus anderen Bundesländern oder europäischen Ländern, noch die Konzepte wie Hometreatment, Soteria-Konzepte, EX-IN - Genesungsbegleiter, Recovery, Offener Dialog, Krisendienste wurden bei diesem Gesetz berücksichtigt. Es ist bei der Verabschiedung nicht nur alt, sondern auch schädlich.