140x190 marjana schottMarjana Schott

schied zum Ende der 19.Legislaturperiode aud dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren langjährigen parlamentarischen Einsatz.
  
 
  

www.marjana-schott.de
 


Reden

Sanktionsmoratorium für SGB-II-Bezieherinnen und Bezieher

Redemanuskript für Marjana zum Setzpunkt der LINKEN

Am 24.06.15

2014 wurden bundesweit eine Million Sanktionen von den Jobcentern ausgesprochen. In Hessen waren dies mehr als 52.000 Sanktionen gegen mehr als 26.000 Personen. Zwei Drittel der Sanktionen wurden wegen Meldeversäumnissen ausgesprochen. Lediglich 10 Prozent der Sanktionen erfolgten nach einer Weigerung eine Arbeit oder Maßnahme fortzuführen oder anzunehmen. Es werden auch Menschen sanktioniert, die gar nicht arbeitslos sind. In der Öffentlichkeit wird diese entwürdigende Praxis immer mit der Notwendigkeit begründet, dass die Arbeitslosen sich nicht auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler einen schönen Lenz machen sollen. Es geht aber durchaus auch um Menschen, die bereits einen oder mehrere Jobs haben und von dem Geld nicht leben können, weil der Lohn zu niedrig, die Wohnung und Nebenkosten zu hoch sind. Trotzdem werden ihre Leistungen gekürzt, wenn sie sich beispielsweise nicht rechtzeitig beim Jobcenter gemeldet haben oder die Mitarbeiterin in der Hotline die telefonische Entschuldigung nicht weitergegeben hat. Den Mitarbeiter kann man ja nicht persönlich erreichen, seine Telefonnummer ist tabu.

Bei den Jugendlichen sind es bereits 10,3 Prozent der Leistungsbezieherinnen und –bezieher, die mit einer Sanktion kämpfen mussten. Hier geht es auch ganz schnell, dass die Leistung völlig versagt wird und der oder die Betreffende ohne jegliches Geld und teilweise auch Wohnung auskommen muss. Oder dass die Eltern den Anteil der Wohnkosten nicht mehr erhalten und so in die Schuldenspirale fallen.

Regional gibt es große Unterschiede, es gibt Jobcenter, die sind besonders engagiert bei der Erteilung von Sanktionen, um ein paar hessische zu nennen, wie Limburg-Weilburg, Landkreis Offenbach und Waldeck-Frankenberg, aber auch Jobcenter, wie Odenwaldkreis, Hochtaunuskreis und Bergstraße, die in einem wesentlich selteneren Maße von Sanktionen Gebrauch machen. Die aber deshalb keine schlechteren Arbeitsergebnisse erzielen. Die Sanktionsquote reicht von 4,5 % bis 15,7%. Von gleichen Lebensverhältnissen kann hier nicht die Rede sein. Da weder die Menschen so unterschiedlich sind in ihrer Fähigkeit sich den Vorschriften des SGB II zu unterwerfen noch die Anzahl der Maßnahmen und Arbeitsangebote sich so unterschiedlich gestalten, ist es doch sehr merkwürdig, wenn ein eigentlich gleichlautendes Gesetz derart unterschiedlich ausgelegt wird.

Laut Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der LINKEN, wurden im Jahr 2013 über 36 Prozent der Widersprüche gegen Sanktionen bei Hartz IV vollständig oder teilweise zugunsten der Betroffenen entschieden. Bei Klagen gegen die Sanktionen beträgt die Quote sogar 42,5 Prozent. Dies zeigt, dass Sanktionen bei Hartz IV nicht nur grundrechtswidrig sind, sondern sie führen auch zu massenhaften Rechtsverletzungen durch rechtswidrige Kürzungen der sozialen Leistung. Daher können wir den Menschen nur empfehlen Widersprüche und Überprüfungsanträge einzureichen, damit nach einer positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes das einbehaltene Geld ausbezahlt wird.

Aber was bedeutet es für Menschen, wenn sie von den sowieso schon knappen Mitteln noch durchschnittlich 100 Euro im Monat entbehren müssen? Und dass oft über mehrere Monate.  Dies führt dazu, dass Rechnungen, wie Telefon, Strom, Heizung, Versicherungen nicht bezahlt werden können. Hier kommt es zu Mahnungen und Vollstreckungsbescheiden sowie Leistungseinstellungen. Oftmals sind auch die Kosten der Unterkunft von der Sanktion betroffen, dann kommt es zu Kündigungen und Räumungsklagen, schließlich zu Obdachlosigkeit. Gerade bei Jugendlichen passiert dies oft genug. Besonders die Kinder leiden darunter. Selbst mit der Hilfe von Tafeln ist es nicht möglich mit einer unter das Existenzminimum reduzierten Grundsicherung auskommen zu können. Nicht nur in Griechenland, auch im angeblich reichen Deutschland ist ein enger Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Suiziden festgestellt worden.  

Was ist eigentlich eine Sanktion? Wenn wir den Duden bemühen, sind es eher die pädagogischen und rechtlichen Bedeutungen, die eine Rolle spielen. Hier spricht der Duden von einer gegen jemanden gerichtete Maßnahme zur Erzwingung eines bestimmten Verhaltens oder zur Bestrafung.

Sie brauchen sich nicht zu wundern, dass viele dieser Menschen nicht mehr wählen gehen und keine Hoffnung in die Gesellschaft setzen, wenn sie den Eindruck haben, dass die Armen bekämpft werden und nicht die Armut.

Den Rückgang der Wahlbeteiligung konnte man gut in Bremen erkennen, da dort die armen Menschen in bestimmten Stadtteilen leben. Es gibt eine Spanne zwischen einer 73prozentigen Wahlbeteiligung in einem Stadtteil mit einer Hartz-IV-Quote von 2 Prozent und einem anderen Stadtteil mit einer Wahlbeteiligung von kaum mehr als 30 Prozent mit einer Hartz-IV-Quote von 37 %. Nochmals zum Verständnis: im Stadtteil quasi ohne Alg-Empfängerinnen und -empfänger gehen fast drei Viertel der Wahlberechtigten wählen, in dem Stadtteil, in dem die armen Menschen leben, gehen weniger als ein Drittel zur Wahl. Wollen Sie das? Ist das Ihre Absicht sich nur noch von den Mittel- und Oberschichten wählen zu lassen, weil man für diese Interessensgruppen Politik macht? Scheinbar ja.

Für uns als LINKE sind die unter Hartz IV bekannt gewordenen Reformen eine Zumutung. Wir wollen eine grundlegend andere Politik in diesem Land. Dazu gehört eine politische Strategie, mit der Erwerbslosigkeit, Dumping- und Niedriglöhne und der Ausweitung von prekärer Beschäftigung entgegengetreten und Existenz sichernde und sozial abgesicherte gute Arbeit gefördert wird. Dazu muss der gesetzliche steuerfreie Mindestlohn auf 10 Euro pro Stunde für alle angehoben werden. Der Zugang zum Arbeitslosengeld I muss erweitert und der Bezugszeitraum verlängert werden. Alle Erwerbslosen bzw. Arbeitsuchenden brauchen  Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Integrationsleistungen, deren Teilnahme auf Freiwilligkeit beruht. Wir brauchen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor mit sozialversicherungspflichtigen, tariflich bezahlten Arbeitsverhältnissen.

Statt Hartz-IV soll mittelfristig eine bedarfsdeckende, sanktionsfreie Mindestsicherung eingeführt werden. Unter 1.050 Euro netto im Monat droht Armut. Mit der Mindestsicherung muss die Verarmung und Entwürdigung von allen Erwerbslosen und Menschen mit geringem Einkommen, die in der Bundesrepublik Deutschland leben, beendet werden. Gleichzeitig muss das diskriminierende Sondersystem Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft werden. Eine Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums ist grundsätzlich auszuschließen – weder durch Sanktionen noch durch Aufrechnung. Das Arbeitslosengeld II ist kurzfristig für alle Erwachsenen im Leistungsbezug auf mindestens 500 Euro pro Monat festzulegen. Das ist unsere Alternative, für die DIE LINKE im Bündnis mit vielen Kräften im Parlament und außerhalb desselben weiter streiten wird.

Jetzt hat zum ersten Mal ein Gericht, und zwar das Sozialgericht Gotha, anerkannt, dass die gesetzlichen Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger mit Leistungskürzungen um 30 bis 100 Prozent verfassungswidrig sind. Mit dem Beschluss vom 26.05.15 legte das Sozialgericht eine Klage dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor. Im Streitfall hatte der Kläger ein Arbeitsangebot und danach auch noch eine Probearbeit abgelehnt. Entsprechend der gesetzlichen Vorgaben kürzte das Jobcenter Erfurt die Regelleistung zunächst um 30 Prozent und dann um 60 Prozent. Dagegen klagte der Mann vor dem Sozialgericht Gotha. Seine Begründung war: Die Leistungskürzungen seien verfassungswidrig.

Das Sozialgericht führt in seiner Begründung aus, dass das Sozialstaatsprinzip den Staat zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verpflichte. Dies habe auch das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach bekräftigt. Bei einer Kürzung der Regelleistung um 30 oder gar 60 Prozent und erst recht bei einer kompletten Streichung sei das soziokulturelle Existenzminimum der Arbeitslosen nicht mehr gewährleistet.

Durch unzureichende Mittel für die Ernährung sei auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit bedroht, so das Sozialgericht Gotha weiter. Und schließlich könne die Verpflichtung eines Arbeitslosen, einen bestimmten Job anzunehmen, auch das Grundrecht auf Berufsfreiheit verletzen.

Neben diesem Beschluss gibt es bereits einige weitere Verfassungsbeschwerden betroffener Hartz-IV-Empfängerinnen und -empfänger.

Solange das Bundesverfassungsgericht in dieser Frage noch kein abschließendes Urteil gefällt hat, ist  zumindest ein Aussetzen der Sanktionen geboten. Genau dies verlangt unser Antrag.

Nach dem hessischen Offensivgesetz unterliegen die kommunalen Träger und zugelassenen kommunalen Träger der Fachaufsicht des Landes. Aufsichtsbehörde ist das Regierungspräsidium, obere Aufsichtsbehörde das Ministerium. Diese können Weisungen zur Sicherung der gesetzmäßigen und zweckmäßigen Erfüllung der Aufgaben erteilen. Hier habe ich aus §10 dieses Gesetzes mit dem schönen Namen zitiert, der in diesem Zusammenhang ausnahmsweise einmal eine Offensive für eine gerechte und menschenwürdige Praxis bedeuten könnte.

Stattdessen kommen CDU und Grüne zu dem Ergebnis, man müsse das Urteil zur Kenntnis nehmen und den weiteren Verlauf der Sache verfolgen. Es stellt sich die Frage. Bestimmen wir hier die Politik in diesem Land oder die Gerichte? Wir haben eine Regierung und sie tragende Fraktionen, die keine Politik mehr machen wollen und vor allem nicht im Interesse der Menschen regieren wollen. Nach ihrem Dafürhalten warten wir also auf die Gerichte, statt unsere Arbeit zu machen

Es gäbe hier eine Chance zu zeigen, dass man Menschen im Alg-II-Bezug menschenwürdig behandelt. Von der Grundsicherung zu leben ist schon äußerst schwierig, aber von einer gekürzten Grundsicherung zu leben ist unmöglich. Oscar Wilde sagte: „Sparsamkeit armen Leuten zu empfehlen, das scheint mir ebenso lächerlich wie beleidigend. Es ist, als ob man einem Verhungernden riete, weniger zu essen.“ 

Es gilt das gesprochene Wort.