140x190 marjana schottMarjana Schott

schied zum Ende der 19.Legislaturperiode aud dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren langjährigen parlamentarischen Einsatz.
  
 
  

www.marjana-schott.de
 


Reden

Milchkrise bedroht hessische Landwirtschaft

Rede von Marjana Schott, umwelt- und agrarpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag zum Setzpunkt der Fraktion:

Milchkrise bedroht hessische Landwirtschaft

Dr. 19/2414 (24.09.2015), Top: 48

–      Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte/r Frau/Herr Präsident/in,
liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste,

Die wirtschaftliche Situation der Bauern – insbesondere der Milchbauern – ist einmal mehr auf einem Tiefpunkt angelangt. Das war für uns der Anlass für diesen Setzpunkt, denn auch wenn wir als Land nur wenig Möglichkeiten haben, darauf Einfluss zu nehmen, sehen wir doch die Notwendigkeit, dass dieser Landtag sich mit der Lage der Landwirte auseinander setzt und nach all den Möglichkeiten sucht, die wir aufbieten können, um die Landwirte zu unterstützen.

Wütende Bauern, brennende Barrikaden und Mannschaftswagen der Polizei waren das Bild vor wenigen Tagen in Europas Regierungsviertel in Brüssel. 7.000 Landwirtinnen und Landwirte machten ihrem Ärger Luft und demonstrierten gegen ruinöse Milchpreise. Mit 1.500 Traktoren legten sie halb Belgien und das Europaviertel lahm. Die Agrarminister der Mitgliedstaaten waren zusammen gekommen, um nach Lösungen zu suchen. Am Ende des Tages gab es für die Bauern nicht nur Wasserwerfer und Tränengas, sondern auch die Ankündigung eines 500-Millionen-Pakets. Mit diesem soll der Milchmarkt entlastet werden.

Zinsgünstige Darlehen, Unterstützung der privaten Lagerhaltung und mehr Exporte holten die Agrarminister aus der Mottenkiste. Gekrönt vom Vorschlag, die EU solle mit Mitteln für die Flüchtlingspolitik Milchprodukte aufkaufen und an Flüchtlinge abgeben. Ein vielleicht gut gemeinter Vorschlag, jedoch mit merkwürdigem Beigeschmack und ohne Lösung für die Milchkrise. Und Bundesagrarminister Schmidt will eine Exportinitiative. Dabei exportiert Deutschland bereits Waren im Wert von 66 Mrd. Euro (2013), davon knapp 23 Prozent in Drittländer außerhalb der EU.
Milch und Milcherzeugnisse sowie Fleisch und Fleischwaren sind dabei die wichtigsten Produkte des deutschen Agrarexportes (DBV-Situationsbericht 2014/15). Genau darin liegt aber ein nicht unwesentlicher Teil des Problems.

Erlauben Sie mir einen kurzen Schlenker zu der Not der Schweinefleischproduzenten. Der Rückfall in den kalten Krieg mit Embargo gegen Russland und Gegenembargo hat unmittelbare Auswirkungen auf die Einkommens- und Lebenssituation der Landwirte in Hessen. Ob diese Embargos politischen Nutzen hatten, bezweifle ich – ihr Schaden aber ist unübersehbar.

Den Milchbauern wurde eingeredet, sie müssten für einen neu zu erobernden Markt in China mehr Milch produzieren. Jetzt schlägt die Schwächung der chinesischen Wirtschaft auf Milchbauern auch wiederum in Hessen zurück. Dass unter dem Eindruck dieser offenkundigen Fehlorientierung der Bundeslandwirtschaftsminister und Teile des Bauernverbands noch immer an ihrer Exportstrategie festhalten, zeigt, dass es ihnen nicht um die bäuerliche Landwirtschaft vor Ort geht, sondern um Großbetriebe, Massenproduktion und Außenhandelsbilanzen. Wir halten das für falsch. Wir freuen uns deshalb, dass Frau Ministerin Hinz hier einen anderen Kurs fährt, den wir unterstützen.

Die Frage ist doch letztlich: Wollen wir Lebensmittel wie jede andere Ware betrachten, die da produziert wird, wo die Gegebenheiten am günstigsten, am preiswertesten oder was auch immer sind? Oder ist es uns wichtig, dass die Produktion unserer Lebensmittel immer auch in der Region stattzufinden hat, weil es dafür viele gute Gründe gibt? Wenn wir die regionale Produktion wollen – und ich gehe mal davon aus – darin sind wir uns hier im Haus über alle sonstigen Differenzen hinweg einig, dann müssen wir auch sicherstellen, dass die Produzenten, also die Landwirte, von ihrem Einkommen leben können. Landwirtschaftliche Betriebe kann man nicht beliebig schließen oder öffnen, Flächen und Know-how gehen schnell verloren. Landwirt zu sein, ist kein Beruf wie jeder andere, mit geregeltem Feierabend und freien Wochenenden. Viele Menschen arbeiten heute zunehmend mit unorthodoxen Arbeitszeiten, aber bei den Landwirten bestimmen das Tier, das Wetter, das Wachstum und die Arbeitszeit deutlich mehr, als es der Mensch tut.

Milchbauern haben in den letzen Jahren viel Geld investiert, um für das Tierwohl bessere Ställe zu bauen und zu ihrer eigenen Entlastung technisches Gerät anzuschaffen. Gerade diese Betriebe sind jetzt unter Druck.

Die geplante Soforthilfe will auch die Linksfraktion, aber sie reicht längst nicht aus. Der Michmarkt muss dauerhaft stabilisiert werden. Denn die Abstände zwischen den Milchkrisen werden immer kürzer. Wir brauchen einen Systemwechsel in der Milchpolitik. Nicht Billigproduktion und Exportausrichtung, sondern eine Ausrichtung auf die EU-Binnennachfrage und Wertschöpfung durch regionale Verarbeitung und Vermarktung. Die Biomilch zeigt, dass das funktioniert – die Bauern bekommen erstmals trotz Krise in der konventionellen Milchproduktion weiter einen kostendeckenden Preis, während bisher der Preisabstand auch in Krisenzeiten bei etwa 10 Cent bestehen blieb.

Allen hier im Haus, die sich dazu genauer informieren wollen empfehle ich, einen Besuch bei der Upländer Bauernmolkerei. Die Nachfrage für Biomilch ist unverändert vorhanden – so, wie die Bereitschaft der meisten Menschen für die Milch einen angemessenen Preis zu zahlen. Hessen, mit seinen vergleichsweise eher kleinen Betrieben und seiner spezifischen Topographie und Besiedlung, eignet sich für die biologische Produktionsweise gut. Deshalb sind hier Beratung und Unterstützung zur Umstellung besonders zielführend und hilfreich. Daher muss sie ausgebaut werden.

Sicher darf das nicht der einzige Weg sein. Zusammenschlüsse, wie beispielsweise das Milch-Board müssen gefördert werden, um den Bauern zu mehr Durchsetzungskraft für ihre Anliegen, besonders der Preisgestaltung zu verhelfen. Es kann doch nicht sein, dass sie ihre Milch liefern und erst später erfahren, was sie dafür bekommen. In keiner anderen Branche ist das denkbar.

Ohne Mengenregulierungssystem jenseits der fehlkonstruierten, teuren Milchquote, die seit April dieses Jahres abgeschafft ist, geht es nicht. Ohne Nachfrageorientierung war sie krisenanfällig. Und das Auf und Ab hat zugenommen. Die FAZ formulierte dieser Tage treffend: „Milchpreise im Schweinezyklus“.

Landwirte brauchen faire und kostendeckende Erzeugerpreise, kein Agrarbetrieb will Notgroschen aus Brüssel. Die Marktmacht und das Wachstum von Molkereien und Handelskonzernen muss begrenzt werden. Freiwillige Drosselung der Milcherzeugung müssen für einen befristeten Zeitraum entschädigt (Bonus), Über-Lieferungen sanktioniert (Malus) und Erzeugerzusammenschlüsse gestärkt werden.

Die Erfahrungen mit der abgeschafften Milchquote zeigen, dass ein solches System anfällig ist. Daher sollte es nicht, wie die damalige Quote, staatlich verkündet – sondern zwischen den Marktakteuren verbindlich vereinbart werden.

Wenn Erzeuger, Verarbeiter, Molkereien, Handel und Verbraucher an einem Tisch sitzen würden, dann könnte näher am realen Bedarf produziert werden. Steigende und letztlich kostendeckende Preise wären die Folge. Aus aktueller Sicht wären das 40 bis 50 Cent pro Liter. Wenn dabei nicht die Molkerei dem Erzeuger den Preis diktiert sondern tatsächlich Augenhöhe gewollt wäre, kämen die Bauern aus der Ohnmacht. Wenn wir dann noch die regionale Vermarktung und Verarbeitung stärken, haben wir eine Chance, die Milch aus der Krise zu bringen. Dazu braucht es viel Überzeugungskraft, aber auch politischen Willen.

Wenn am nächsten Donnerstag die Agrarministerkonferenz tagt, werden die Bauern vor Ort sein und wieder demonstrieren.

Frau Ministerin, bleiben Sie bei Ihrer Linie: Exportwirtschaft und das Wachsen um jeden Preis als Allheilmittel sind nicht der Weg für unsere Landwirtschaft.