140x190 marjana schottMarjana Schott

schied zum Ende der 19.Legislaturperiode aud dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren langjährigen parlamentarischen Einsatz.
  
 
  

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Reden

Rede zum Entwurf des Landeshaushaltes 2016 | Einzelplan 08 | Ministerium für Soziales und Integration

Rede zum Entwurf des Landeshaushaltes 2016 | Einzelplan 08 |  Ministerium für Soziales und Integration

– Es gilt das gesprochene Wort –

Der Sozialhaushalt enthält große Herausforderungen. Wir müssen auf der einen Seite für eine gute Versorgung und für eine schnelle Integration von Flüchtlingen sorgen. Und das tun wir, weil die Menschen hier ankommen und auf Hilfe angewiesen und wir tun es gerne. Auf der anderen Seite sind wir aber gefordert, die sozialen Bereiche, die seit Jahren stiefkindlich behandelt werden zu stärken. Viele merken erst es jetzt, wenn sie stärker nachgefragt werden, wie es darum besteht.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns mit der Aufnahme und der menschenwürdigen Unterbringung von Asylsuchenden beginnen.

Viele hessischen Städte, Kreise und Kommunen sind mit der ihnen vom Land übertragenen Aufgabe, Geflüchtete aufzunehmen und zu versorgen, logistisch und finanziell überfordert. Überall in Hessen entstehen Containerlager und andere Provisorien abseits von Wohngebieten und sozialer Infrastruktur, fernab von Bildungseinrichtungen und von gesundheitlicher Versorgung. Die räumliche Isolation der Asylsuchenden schafft eine Abgrenzung von der einheimischen Bevölkerung. Ein kommunikativer Austausch kann nicht stattfinden. Enge und fehlende Privatsphäre sowie das erzwungene Zusammenleben mit Personen erzeugen eine massive psychosoziale Belastung. Häufig ist auch die Sicherheit der Menschen in solchen Lagern nicht gewährleistet. Auch unter fiskalischen Gesichtspunkten sind Gemeinschaftsunterkünfte die falsche Wahl: In den meisten Fällen – insbesondere wenn die gesellschaftlichen Folgekosten berücksichtigt werden – erweisen sie sich als die teurere Variante der Flüchtlingsunterbringung gegenüber der Unterbringung in Einzelwohnungen.

Es ist an der Zeit anzuerkennen, dass Flüchtlinge auch in Zukunft in großer Zahl zu uns kommen und dauerhaft bleiben werden. Damit die Unterbringung von Flüchtlingen in Containersiedlungen, Kasernen und Zelten nicht zu einem Dauerzustand wird, müssen jetzt die Weichen gestellt werden.

Doch weder die Haushaltsansätze noch der aktuell vorgestellte Aktionsplan der Landesregierung lassen erkennen, wie eine andere Politik, die auf menschenwürdige Unterbringung und gute Integration gerichtet ist, realisiert werden soll.

Kommunen sind bei der Aufnahme und Unterbringung chronisch unterversorgt, und ich kann dem Haushaltsentwurf nicht entnehmen, dass sich daran etwas ändern soll. Und wenn sich in manchen Kreisen jetzt die Situation zuspitzt, meine Damen und Herren, dann liegt es nicht etwa an der großen Zahl an Asylsuchenden, sondern an einer finanziell unzureichend ausgestatteten Aufnahmestruktur, wofür allein das Land verantwortlich ist. Deswegen sagen wir: Kreise und kreisfreie Städte müssen in viel stärkerem Maße unterstützt werden, damit in den Kommunen, wo die eigentliche Integrationsarbeit erfolgt, auch der finanzielle Rahmen vorhanden ist, eine solche Po-litik zu realisieren.

Daher fordern wir, die den Kommunen entstehenden Kosten für Unterkunft, Lebensunterhalt, soziale Betreuung und ärztliche Behandlungen von Asylsuchenden vollumfänglich zu erstatten, zumindest aber im Umfang von 1.000 Euro pro Person und Monat.

Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen und weitere Organisationen haben in einem Positionspapier dargelegt, welche Sofortmaßnahmen im Be-reich der Beratung, Ehrenamtskoordination und psychosozialen Versorgung von Asylsuchenden ergriffen werden müssen. Dies werden wir im Zusammenhang mit unserem aktuellen Antrag hier noch diskutieren. Allerdings gehört ein Thema ganz besonders in die Diskussionen um den Einzelplan 08: die Versorgung von Traumatisierten und anderen besonders schutzbedürftigen Personen.

Schwangere, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Traumatisierte etwa haben besondere Bedürfnisse, die bei Aufnahme und Unterbringung berücksichtigt werden müssen. Bereits beim Aufnahmeverfahren muss ein Verfahren vorhanden sein, um schutzbedürftige Personen zu identifizieren. Eine entsprechende EU-Richtlinie hätte das Land bis zum 20. Juli umsetzen müssen. Geschehen ist bislang nichts. In Hessen werden auch Familien mit Neugeborenen in Massenzelten und Turnhallen untergebracht. Reagiert wird erst dann, wenn Zeitungen über besonders dramatische Fälle berichten. Meine Damen und Herren, ein großer Teil der derzeit in Hessen ankommen-den Flüchtlinge ist traumatisiert. Sie haben entweder psychophysische Gewalt in ihrem Heimatland oder während der Flucht erfahren.

Derzeit werden Therapieleistungen in erster Linie durch zwei Frankfurter psy-chosoziale Beratungsstellen für Flüchtlinge und Folteropfer erbracht. Allerdings müssen hier unmittelbar die Beratungs- und Behandlungskapazitäten erhöht werden. Außerdem ist eine flächendeckende Versorgung erforderlich. Wir fordern die Landesregierung auf, ihren europarechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und endlich Maßnahmen für den Schutz auch anderer, schutzbedürftiger Personengruppen zu ergreifen.
Die genannten Einrichtungen waren bereits vor zwei Jahren schon nicht ausreichend. Viele Menschen mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung suchen händeringend Beratung und Behandlung. Die Strukturen werden, wie zumeist im Sozialbereich, nur mit einem hohen persönlichen und verbandlichen Engagement am Leben gehalten.

Die hessische Landesregierung lehnt sich aber zurück und sagt, wir haben mit dem Sozialbudget wieder mehr Geld zur Verfügung gestellt. Sie wissen aber selbst, dass dieses Geld den sozialen Einrichtungen erst einmal weggenommen wurde und heute nur etwa zu einem Viertel wieder zurückgegeben wird. Die schlechte Karte haben aber die Kommunen gezogen. Sie sind diejenigen, die vor Ort die Kürzungen vornehmen, weil sie ihren Haushalt sanieren müs-sen. Ein besonders eklatantes Beispiel ist die Stadt Wiesbaden, die Kürzungen im Sozialbereich in Höhe von 20 Millionen Euro im Haushalt angekündigt hat – nach den massiven Protesten wurde die Ankündigung zwar auf 4,5 Millionen verringert. Aber genau das ist das falscheste Zeichen, das Sie jetzt vermitteln können.

Wir brauchen für alle Bevölkerungsgruppen, die nicht auf der Sonnenseite leben, eine Stärkung der sozialen, gesundheitlichen und gemeinschaftlichen Angebote. Hierzu müssen die Kommunen in die Lage versetz werden. Die Mitarbeiterinnen in den sozialen und Erziehungsdiensten haben nur zum Teil ihre finanzielle Aufwertung erreicht. Es darf aber jetzt nicht sein, dass die Kommunen die Kita-Beiträge weiter in die Höhe schießen lassen und gleichzeitig noch Personal in den Kindertagesstätten abbauen. Dafür haben die Erzieherinnen nicht gestreikt. Sie machen ihre Arbeit gerne, wollen gute Leistungen bringen, sehen sich aber aufgrund der wirtschaftlichen Notwendigkeiten und aufgrund der Personalsituation oftmals nicht in der Lage den Beruf weiter auszuüben. Wir brauchen aber gute Erzieherinnen und auch zunehmend mehr gute Sozialpädagoginnen.

Die Finanzierung der Kindertagesstätten muss grundsätzlich von Bund und Land erfolgen. Das Land sollte in großen Schritten die hauptsächlichen Kosten der Kinderbetreuung übernehmen. Die Pauschalen, die bisher geleistet werden, sind lächerlich im Vergleich, zu dem was die Kommunen zu tragen haben. Ich könnte noch zu vielen Themen im Sozialhaushalt etwas sagen, wie zur unzureichenden Ausstattung der Frauenhäuser, die immer noch zu wenig Geld erhalten, zu einer Teilhabekarte, die genauso wieder im Haushalt drinsteht wie im letzten Jahr, aber offensichtlich nichts passiert ist, zu einer völlig unzureichenden und konzeptionslosen Unterstützung von Arbeitslosen, usw.

Dazu reicht die Zeit nicht, deshalb nur zwei Themen, die mich besonders geärgert haben. Da gibt es seit drei Jahren eine Initiative der Kirchen, unterstützt durch Aktion Mensch, für eine Ombudsstelle für Kinder- und Jugendrechte. Diese neutrale und unabhängige Einrichtung berät und unterstützt Kinder bzw. deren Eltern und Jugendliche bei allen Themen, die das Jugendhilferecht betreffen. Sie ist dafür da, dass es nicht wieder dazu kommen muss, einen Runden Tisch zu bilden, um die ärgsten Vorkommnisse aus einer Heimerziehung aufzuarbeiten.

In Jugendhilfemaßnahmen gibt es heute gewiss nicht mehr die Zustände der 50er bis 70er Jahre, allerdings gibt es neue Themen. Für die Unterstützung bei Problemen brauchen gerade die Jugendlichen Ansprechpartnerinnen außerhalb der Einrichtungen. Alle Forderungen der Landesregierung wurden von denjenigen, die die Ombudsstelle seit drei Jahren betreiben, aufgegriffen und umgesetzt. Es fehlt aber immer noch die Unterstützung seitens des Landes. Und hier geht es nur um niedrige sechsstellige Beträge.

Ein weiteres Thema, bei dem die Doppelzüngigkeit der Landesregierung deutlich wird, ist die Altenpflegeausbildung. Es wird ständig betont, wie wichtig es ist, neue Fachkräfte auszubilden, um die steigende Anzahl an Menschen mit Pflegebedarf gut versorgen zu können. Was wird aber getan? Das Schulgeld, das den Altenpflegeschulen für die Ausbildung zur Verfügung gestellt wird, ist vor 14 Jahren eingefroren worden, es wurde sogar gekürzt. Andererseits sind die Anforderungen u.a. durch bundesgesetzliche Regelungen gewachsen. Es gibt eine eklatante Ungleichbehandlung mit der Krankenpflege, diese wird wesentlich besser finanziert, obwohl beide Ausbildungen vom Umfang und Niveau vergleichbar sind. Jetzt wurde den Altenpflegeschulen ein etwas höheres, aber noch lange nicht ausreichendes Schulgeld versprochen – aber nur für die Schülerinnen, die neu anfangen. Für die Jahrgänge, die die Ausbildung bereits begonnen haben, bleibt es bei dem Satz, der weit hinter dem zurückbleibt, das notwendig ist.


Mit diesem Haushalt hat die Landesregierung sich den Herausforderungen im Sozial- und Gesundheitswesen auf keine Weise gestellt. Die Ausgrenzung von Menschen in schwierigen sozialen Lagen wird sich weiter verschärfen, die Förderung gleicher Lebensverhältnisse ist Makulatur. Es ist aber an der Zeit, die Kommunen zu entlasten, die Kinderbetreuung auf einem hohen Standard weiterzuentwickeln, die Angebote für Menschen in schwierigen sozialen Situationen zu verbessern, dafür zu sorgen, dass Arbeitslose wirksam unterstützt werden, so dass wieder Arbeit finden können, dass im ganzen Land Menschen eine gute gesundheitliche Versorgung finden, dass ältere Menschen sich keine Sorgen darum machen müssen, wenn sie pflegebedürftig werden.