Reden

Rede (Manuskript) zum Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschuss, am 23.08.2018 im Hessischen Landtag

Rede von Hermann Schaus am 23. August 2018


– Es gilt das gesprochene Wort –

Herr Präsident / Frau Präsidentin,

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

als im November 2011 bekannt wurde, dass die Ceska-Mordserie und der Mord an Halit Yozgat von Neonazis verübt wurden, haben die Bundesregierung und auch wir alle im Hessischen Landtag lückenlose Aufklärung versprochen.

Alle Hintergründe und eventuelles Behördenversagen zum NSU-Komplex sollten aufgedeckt werden.

Doch dieses Versprechen wurde nicht eingelöst:

Aber weil die Behörden - auch in Hessen - im Kampf gegen rechts versagt haben und insbesondere Volker Bouffier als damaliger Innenminister eine hohe politische und persönliche Mitverantwortung trägt, sollte der NSU-Skandal möglichst vertuscht werden.

Schon bevor der Untersuchungsausschuss im Mai 2014 nur mit den Stimmen von SPD und LINKEN eingesetzt wurde, standen gravierende Vorwürfe im Raum:

  • Der Geheimdienstler Andreas Temme war beim NSU-Mord in Kassel unmittelbar am Tatort, er hatte sich aber nicht als Zeuge gemeldet, Kollegen belogen und behauptet, er kenne den Tatort und das Opfer nicht, und hatte zudem zahlreiche weitere Dienstvergehen begangen.
  • Die hessische Polizei warf dem Geheimdienst vor, Temme vor den Ermittlungen zu schützen. Von einer Unterstützungshaltung des LfV war die Rede.
  • Die Ermittler wollten Temmes V-Leute vernehmen, aber der Geheimdienst verweigerte dies. Selbst der bayerische Innenminister Beckstein intervenierte vergeblich bei Bouffier.
  • Aber Volker Bouffier, der das Parlament über all diese Vorgänge nicht informierte, verfügte am Ende höchst persönlich, alle V-Leute zu sperren und behinderte die Mordaufklärung damit.

Insbesondere Volker Bouffier wies jeden Fehler und jede Verantwortung von sich und sagte im Bundestagsuntersuchungsausschuss 2012:

„Die Entscheidung war richtig, auch aus heutiger Sicht. Ich kenne niemanden, der ernsthaft bestreitet, dass das anders wäre.“

Doch: Ich bestreite das!

Im Abschlussbericht des 1. NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages, der im Gegensatz zu Hessen einstimmig beschlossen wurde, heißt es zur Sperrung der V-Leute:

„Die Polizei sah ihre Ermittlungen dadurch zu Recht massiv beeinträchtigt (…) Die Entscheidung in diesem besonderen Fall traf ein halbes Jahr nach der Tat im Oktober 2006 der damalige Innenminister von Hessen, Volker Bouffier.“

Nach gravierenden Vorwürfen gegen den ehem. Innenminister wie: „Ermittlungen massiv beeinträchtigt.“ müsste eigentlich ein Parlament, dessen Aufgabe es ist, die Regierung zu kontrollieren, unverzüglich nachgehen!

Ein Untersuchungsausschuss ist laut Verfassung ein Instrument zur Kontrolle der Regierung. Und mit der Beantragung des Hessischen NSU-Untersuchungsausschusses und der intensiven Arbeit über vier Jahre, hat DIE LINKE versucht, unter schwierigsten Bedingungen, das 2012 gemeinsam gegebene Aufklärungsversprechen einzulösen.

Wir sagen: Die NSU-Opfer, deren Angehörige und die Öffentlichkeit hatten ein Recht darauf!

2000 Akten, über 100 Zeugenvernehmungen und 7000 Protokoll-Seiten später, gilt es heute festzustellen:

Wir haben einiges erreicht, aber anderes bleibt weiter im Dunkeln.

Zunächst aber möchte ich mich

  • bei den unzähligen Besuchern und Gästen des NSU-Ausschusses,
  • bei den NSU-Opfer-Anwälten,
  • bei den vielen Sachverständigen, darunter auch die NSU-Obleute aller Fraktionen im Deutschen Bundestag,
  • bei den ehrenamtlichen Initiativen z.B. „NSU-Watch“ „Initiative 6. April“ und „Nachgefragt“,
  • bei zahlreichen Journalistinnen und Journalisten und bei der Landespresse
  • sowie bei allen beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

für ihr großes Interesse und ihr Durchhaltevermögen bedanken.

Ohne diese Begleitung, ohne die zahlreichen Veröffentlichungen und ohne öffentlichen Druck wäre eine Aufklärung so nicht möglich gewesen. Und öffentlichen Druck brauchen wir auch weiterhin!

Auch bei der SPD möchte ich mich bedanken, trotz unterschiedlicher Auffassung in manchen Punkten. Denn als LINKE hätten wir allein weder einen Ausschuss noch Beweisanträge durchbekommen. Dafür braucht man 20 Prozent der Stimmen.

Wir haben als LINKE ein 250-seitiges Sondervotum vorgelegt.  Das Sondervotum war nötig, weil wir sowohl mit der Sachdarstellung als auch mit dem Fazit der Regierungsfraktionen an vielen Stellen überhaupt nicht einverstanden sind.

Schon bei der ersten Lesung des Entwurfs des Berichterstatters machten wir an 242 Stellen Anmerkungen.

CDU und Grüne haben von Beginn an gemeinschaftlich ihre Verfahrensmehrheit dazu missbraucht, so viel wie möglich zu blockieren. Der Ausschuss-Vorsitz ging – wie immer- an die CDU.

Die Akten, die uns über die Staatskanzlei zugestellt wurden, kamen erst gar nicht, dann mit unzähligen Fehlblättern, Schwärzungen und als geheim eingestuft.

Auch die Geheimakten waren geschwärzt. Das heißt: Man kann sie erstens nicht richtig lesen und darf zweitens nicht öffentlich darüber sprechen. Etwa 30 Prozent aller Akten waren von Schwärzungen, Lücken und Geheimhaltungen betroffen.

Versuchen Sie mal ein Buch zu lesen, in dem durchgängig zahlreiche Seiten fehlen und die spannendsten Stellen auch noch geschwärzt sind.

Auch der Berichterstatter, also derjenige der den Abschlussbericht verantwortet, wurde mit Jürgen Frömmrich von den Grünen besetzt. Er durfte am Ende, nach 4 Jahren versuchter Blockade durch CDU und Grüne, feststellen, was der Ausschuss angeblich herausgefunden hat und was nicht.

Immerhin, dass muss man dem Bericht von Herrn Frömmrich  lassen, wird zumindest die desaströse Rolle von Andreas Temme und des LfV nicht weiter geleugnet. Es werden erstmals Fehler eingestanden. Es wird sogar eingestanden, dass Hinweisen auf Rechtsterror und den NSU nicht nachgegangen wurde und dass Akten fehlen.

All das war aber nicht mehr zu leugnen, weil SPD und LINKE es im Ausschuss herausgearbeitet haben.

Dazu gehört auch, dass dem hessischen Untersuchungsausschuss, wie auch dem UNA im Deutschen Bundestag entscheidende Dokumente und Akten vorenthalten wurden.

Hierzu einige Beispiele:

  • die Vermerke zum Disziplinarverfahren gegen Temme. Sie belasten Temme und Volker Bouffier. Nachzulesen in unserem Sondervotum;
  • den für 120 Jahre geheimen NSU-Prüfbericht des Verfassungsschutzes – er wurde jahrelang verschwiegen und auch dem Bundestag nicht übermittelt.

Er benennt gravierende Versäumnisse im NSU-Komplex in Hessen:

  • Massenhaft sei Hinweisen auf Waffen- und Sprengstoffbesitz nicht nachgegangen worden, ebenso auch nicht den Hinweisen auf „allgemeinen Rechtsterror“ und NSU-Bezüge.
  • 541 Aktenstücke gingen verloren,
  • wichtige Akten wurden auch in Hessen geschreddert
  • All dies wurde lange verschwiegen und noch dazu für 120 Jahre zur Geheimsache erklärt.
  • Hinzu kommt, dass die Quellenabfrage, mit der wir belegen können, dass Andreas Temme und das LfV schon vor dem NSU-Mord von Kassel dienstlich mit der Ceska-Serie befasst waren erst nachträglich aufgrund expliziten Antrags von uns geliefert wurde

Das ist eine ganz gravierende Tatsache! Denn genau das wurde der Polizei, dem Bundestag und dem Landtag gegenüber immer geleugnet und das Dokument genau deshalb zurück gehalten.

Nachzulesen in unserem Sondervotum;

Dies alles mussten wir eigenständig durch Zeugenaussagen herausarbeiten, um die Landesregierung zur Herausgabe dieser Akten explizit auffordern zu können, obwohl sie längst hätten geliefert werden müssen.  

Ebenso mühsam und aufwendig war der Kampf hinter den Kulissen zur teilweisen Herabstufung von Geheimpapieren, um sie für die Öffentlichkeit freizugeben.

Dies sagt selbst der NSU-Ausschusses des Deutschen Bundestages.

Zitat:

Gerade auch vor diesem Hintergrund sieht der 3. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode in der lückenhaften Aktenvorlage des Landes Hessen eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Aufklärungsarbeit.“

Der Vorsitzende dieses NSU-Ausschusses im Bundestag, war übrigens der CDU-Abgeordnete Binninger.

Nein: Herr Bellino, Herr Hahn, meine Damen und Herren:

Die einzige Verschwörungstheorie, die wir nachweisen konnten, ist, dass der Verfassungsschutz angeblich die Verfassung schützt.

Durch das V-Leute System, auf das die wesentliche Arbeit des LfV aufbaut, macht sich der Verfassungsschutz abhängig von den Informationen die Neonazis liefern. Das sind aber oftmals mehrfach verurteilte Straftäter, die dann dafür bezahlt werden.  

Als LINKE werden wir deshalb weiterhin diese Tatsache immer wieder anzuprangern und fordern:

Hören Sie auf Nazis dafür zu bezahlen, dass sie Nazis sind, damit stärken sie nur deren Strukturen!

Meine Damen und Herren,

  • es gab nachweislich gravierende Versäumnisse im Kampf gegen rechte Gewalt und rechten Terror, in Hessen.

Auf ca. 50 Seiten haben wir unsere wichtigsten Erkenntnisse zur nach wie vor aktiven Neonazi Szene in Hessen zusammengefasst

  • Insbesondere dem Geheimdienst und dem Innenministerium ist vorzuwerfen, dass über Jahre hinweg, reihenweise Belege und Hinweise auf Waffen, Sprengstoff, Militanz und Rechtsterror vorlagen, aber dies öffentlich geleugnet und zur Geheimsache erklärt wurde. Selbst noch nach Auffliegen des NSU in 2011;
  • Es gab seit 1998 in Hessen Hinweise auf den späteren NSU und über Beziehungen hessischer Nazis zum späteren NSU.
  • Hätte man die sogenannte 2. Fallanalyse des LKA-Bayern nach dem Mord von Kassel ernst genommen, nämlich, dass die Täter abgetauchte Neonazis mit Waffen- und Sprengstoff sind und hätte man 2006 einfach mal in die eigenen Akten und Berichte in Hessen geschaut, dann wäre man zwangsläufig bei Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gelandet.

Denn genau dazu gab es einen LfV-Bericht an das Innenministerium.

  • Es gilt ferner festzustellen, dass weitere Belege auf NSU-Bezüge, Bilder von Beate Zschäpe mit hessischen Neonazis – angeblich nicht mehr zuordenbar waren,
  • Die Akten der im Rechtsterror-Milieu in Hessen und Thüringen sehr aktiven Corynna G. – leider aus unerklärlichen Gründen im LfV angeblich 2009 gelöscht wurden.
  • In einem weiteren, bis vor Kurzem noch geheimen Dokument, ist belegt, wie das LfV auf Temmes V-Mann Gärtner bei dessen BKA-Vernehmung Einfluss nahm. Der Vorgang sollte geheim gehalten werden, es gab die Anweisung, keine Akten anzulegen und alle Hinweise darauf zu vernichten. Nachzulesen nur im Bericht der LINKEN.

Niemand im LfV wurde bis heute zur Verantwortung gezogen. Im Gegenteil: Temme wurde geschützt, das Budget des Geheimdienstes seither verdoppelt, die Befugnisse ausgeweitet und die Parlamentarische Kontrolle des Geheimdienstes ist weiterhin völlig unzureichend.

DIE LINKE fühlt sich deshalb nachhaltig darin bestärkt, dass die Verfassungsschutzbehörden abgeschafft und in wissenschaftlich arbeitende Dokumentations-, Demokratie- und Menschenrechtsstellen umgewandelt werden müssen.

DIE LINKE ist davon überzeugt, dass der Geheimdienstler Andreas Temme den Mord an Halit Yozgat wahrgenommen oder zumindest dessen Leiche gesehen haben muss.

Dafür sprechen die Abläufe am Tatort und auch sein Verhalten nach dem Mord:

  • Temme hat sich trotz Zeugenaufruf nicht bei der Polizei gemeldet. Er hat kurz nach der Tat gegenüber seinen Kollegen behauptet, das Internetcafé und Opfer nicht zu kennen und damit ganz klar gelogen.
  • Er wusste ebenfalls schon am Montag nach dem Mord, dass dabei die Ceska benutzt wurde, ohne dass dies vorher in der Zeitung stand.
  • Er wurde am gleichen Tag bei einem Gespräch mit seinem V-Mann Gärtner nervös, als dieser ihn auf den Mord ansprach. Warum?
  • Und Temme löschte kurz darauf seinen Chat-Account, den er im Internet-Café vor bzw. während des Mordes benutzte – er löschte also die Spur, welche die Polizei dann aber doch zu ihm führte.

All das macht aber doch nur dann Sinn, wenn Temme zumindest die Leiche gesehen und die Verbindung zur Ceska-Serie hergestellt hat.

Temme hatte Wahrnehmungen des Mordes und verbirgt sein Wissen bis heute.

Damit aber nicht genug: Die Polizei ermittelte, dass Temme sich einer ganzen Reihe weiterer schwerer dienstlicher Verfehlungen schuldig gemacht hatte.

So wurden Verschlusssachen bei ihm zu Hause gefunden. Er hatte private Kontakte zum lokalen Hells-Angels Chef. Er hatte Waffen auf die Dienststelle mitgenommen. Er hatte Dutzende Nazi-Texte zu Hause und vieles mehr.

Schon zu Beginn der Ermittlungen begann dann die Vertuschung. Erst durch den Geheimdienst und dann durch den ehemaligen Innenminister Bouffier:

  • Die Polizei wollte wissen, ob Temme mit V-Leuten über die Mordserie gesprochen hatte und wollte sie deshalb selbst vernehmen.

Heute wissen wir, dass es 2 Wochen vor dem Mord eine Quellenabfrage zur Ceska-Serie gab. Nicht nur Temme, sondern alle V-Mannführer waren also mit der Mordserie betraut.

Die Polizei hätte also allen Grund gehabt, bis tief in den Geheimdienst zu ermitteln. Das galt es zu verhindern.

Temme und das LfV verheimlichten der Polizei diese Tatsache und der Innenminister es dem Parlament.

Das LfV traf sich immer wieder mit Temme, auf Raststätten und in Wiesbaden. Vorgesetzte geben telefonische Beratung wie er seine dienstliche Erklärung  verfassen soll

und das LfV weigerte sich - trotz Mordermittlungen - und reihenweise Dienstverfehlungen ein Disziplinarverfahren einzuleiten.

Das LfV wollte Temme sogar Mitte Juli 2006 wieder in Dienst stellen – bei laufenden Mordermittlungen!

Erst als die Presse den Hinweis auf einen Verdächtigen Geheimdienstler bekam, wurde Temme eilig geraten selbst ein Disziplinarverfahren einzuleiten und ihm der Text hierfür diktiert. Alles nachweisbar und nachlesbar.

Wie aber verhielt sich dabei der Innenminister Bouffier, der sowohl für die Polizei, wie auch für den Verfassungsschutz zuständig war?

Wir wissen, dass Bouffier ebenso wie die Spitze des LfV und des Innenministeriums sofort nach der Festnahme Temmes am 21. April 2006 informiert wurde.

Die Tatsache, dass ein LfV-Mitarbeiter unter Verdacht der Beteiligung an einer Mordserie steht, dass er reihenweise Dienstverfehlungen begangen hat, dass es einen Konflikt zwischen Polizei und Geheimdienst um V-Leute gibt, ist natürlich berichtspflichtig gegenüber der Kontrollkommission und dem Innenausschuss.

Im Innenministerium wurde aber eine Geheimhaltungsstrategie, nachweisbar durch die Vermerke aus dem Landespolizeipräsidium und aus dem Innenministerium beschlossen.

(Sie) Herr Bouffier und (ihre) seine Mitarbeiter waren zu diesem Zeitpunkt voll im Bilde, sie bekamen detaillierte schriftliche Berichte.

Am 17.Juli 2006 kommt es dann zu einer eiligst einberufenen Sondersitzung des Innenausschusses. Dort sagt der Innenminister Bouffier mehrfach die Unwahrheit.

  • Sie (Er) sagten Sie (er) hätten „es gerade erst aus der Zeitung“ erfahren, es gäbe „kein Regierungshandeln in irgendeiner Form“. Das war falsch!
  • Sie (Er) und das LfV waren ab dem 21.April voll informiert, Ihnen (Ihm) lagen schriftliche Bericht vor, es gab Absprachen zum Disziplinarverfahren und es gab die Befassung auf der Innenminister-Konferenz (BKA) Anfang Mai.
  • Sie (ER) sagten zudem: „ein Disziplinarverfahren haben wir nicht“, auch falsch (Herr Bouffier). Das Verfahren wurde bereits am 12.07.2006 eingeleitet, Sie und ihre Mitarbeiter und das LfV wussten auch dies.

Sie (Er) haben (hat) ja sogar einen Tag nach der INA-Sitzung zusammen die weiteren Schritte im Disziplinarverfahren im Ministerium besprochen

  • Sie (Er) sagten dem Innenausschuss: (Temme) „kann es nicht gewesen sein. Daraus kann man auch ableiten, dass der Mann unschuldig ist“. Und das bei laufenden Mordermittlungen!
  • Von sämtlichen weiteren dienstlichen Verfehlungen gegen Temme aber kein Wort!
  • Und Sie (er) sagten: dass es „keinen dienstlichen Bezug in irgendeiner Form“ gibt und begründeten damit auch noch, warum zuvor nicht berichtet worden war.

Aber auch das war völlig falsch, wie nicht nur durch die oben angesprochene Quellenabfrage bewiesen ist.

und Sie (Bouffier) behaupten im Beisein der LfV-Spitze und ihrer Mitarbeiter, die das alles wussten, es gäbe keinen dienstlichen Bezug?

Und dann passiert das absolut Ungeheuerliche:

Temme blieb trotz Allem disziplinarrechtlich völlig unbehelligt. Und zwar weil durch ihre Anweisungen das Disziplinarverfahren von Beginn in den Sand gesetzt wurde. In den Akten steht, dass

  • Fürsorgeerwägungen für den Bediensteten und Ansehen der Behörde“ entscheidend sind und
  • dass auf Ihren Wunsch hin „die Bezüge des Beamten nicht gekürzt“ werden sollen.

Alles Schwarz-auf Weiß nachlesbar

Die Frage Herr Bouffier ist: Wie können Sie das denn verfügen, wenn zeitgleich die Polizei immer noch wegen Mord ermittelt und Temme sich so verhalten hat?

Wir haben auch herausgearbeitet, dass Temme Teilnehmer bei dem CDU-Arbeitskreis im Geheimdienst war? Und dass Sie beide bei mindestens einer Veranstaltung zeitgleich anwesend waren?

Und zuletzt stellte der neue LfV-Präsident Eisvogel 2007 das Verfahren gegen Temme einfach ein, um ihm nach eigenen Worten „Pardon“ zu geben und hat die Gründe hierfür nicht dokumentiert.

Der Aussage von Katharina Sch., die als erste mit dem Disziplinarverfahren beauftragt war, es sei „unsäglich, wenn man einen Mitarbeiter oder ehemaligen Mitarbeiter so ungeschoren davonkommen lässt“, schließt sich DIE LINKE ausdrücklich an.

Das war unsäglich, Herr Bouffier. Und genau diese Akten wurden uns gegenüber zurück gehalten. Auch das ist ihre politische Verantwortung, Herr Bouffier!

Aber das ist noch nicht alles!

Obwohl es im August 2006 eine Einigung zwischen Staatsanwaltschaft und LfV gab, wonach die Quellen vernommen werden konnten  - der Streit also mit Hilfe des Generalstaatsanwaltes beigelegt wurde - haben Sie (er) persönlich diese Einigung wieder einkassiert und die Quellen im Oktober 2006 gesperrt. Ihre Begründung war ein sogenanntes Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Das blöde ist jetzt aber, dass der Verfasser dieses sogenannten Gutachtens selber sagt, dass nur eine Stellungnahme zu fünf V-Leuten war, ohne jede rechtliche Bedeutung und Abwägung.

Zitat Zeuge Eisvogel:

„Um mehr wurde nicht gebeten, insbesondere auch nicht um eine rechtliche Stellungnahme oder gar einen Entscheidungsvorschlag. Auch war keineswegs die Rede davon, ob und inwieweit man sich mit den Strafverfolgungsbehörden bereits auf eine nur teilweise unmittelbare förmliche Einvernahme von Quellen geeinigt habe.“

Ihre Sperrerklärung umfasste einen einzigen pauschalen Satz, wonach alle Quellen zu sperren sind. Mit den Ermittlern haben sie darüber nicht ein einziges Mal gesprochen, mit dem LfV aber ständig.

Ihnen (Ihm) ist damit vorzuwerfen, die Ermittlungen in einer bundesweiten Mordserie persönlich und ohne rechtswirksame Abwägung behindert zu haben, weil Ihnen (ihm) der Schutz Temmes und der V-Leute wichtiger war, als die Mordermittlungen.

Die Vorwürfe des Bundestages waren also mehr als berechtigt.

Herr Bouffier: Sie waren von 1999 bis 2010 der zuständige Innenminister. Ihnen (Ihm) lagen sämtliche Informationen vor, sowohl zur tatsächlichen Gefahr der Nazi-Szene und den abgetauchten Bombenlegern. Als auch zu den Vorwürfen der Polizei gegen Temme und den Geheimdienst!

Sie (Er) haben wider besserem Wissen die Gefahr durch Rechtsterror und vernetzte, militante Nazis in Hessen immer wieder heruntergespielt.  

Sie (Er) persönlich haben schützend die Hand über Temme und den Geheimdienst gehalten!

Sie (Er) persönlich haben (hat) durch ihre rechtswidrige Entscheidung, die V-Leute für Polizei-Ermittlungen zu sperren, die Mord-Ermittlungen behindert – so wie es Ihnen der Bundestag, mit den Stimmen aller Abgeordneten des Untersuchungsausschusses, zurecht vorgeworfen hat.

Und Sie (er) persönlich haben (hat) das Parlament 2006 nachweislich und wissentlich völlig desinformiert – um die ganze Affäre um Temme zu vertuschen.

Herr Bouffier, es wäre mehr als gut, wenn sie nun endlich an dieses Pult treten, um sich ihrer Verantwortung als langjährigem Innenminister und Ministerpräsident zu stellen.

Ich halte Sie für völlig untragbar und die Arroganz, mit der Sie seit Jahren behaupten, alles richtig und sogar alles wieder so machen zu wollen, für völlig unerträglich.

Nun noch ein Wort zur Hessischen Polizei.

Es war durchaus beeindruckend, wie intensiv hier ermittelt wurde und wie weit man bereit war, auch gegen das LfV und den Innenminister einen Konflikt zu führen.

Wir haben auch festgestellt, dass die Ermittlungen der Polizei gegen Temme größtenteils nicht zu bemängeln sind.

Wo die Polizei und Staatsanwaltschaft allerdings einen schrecklichen Fehler gemacht haben, war im Umgang mit der Familie Yozgat. Zwar gab es einzelne Ermittler, die bis heute ein gutes Verhältnis zur Familie pflegen, hervorzuheben ist der damalige Leiter der MK Café, Herr Wetzel.

Aber wir haben auch festgestellt, dass schwere, teilweise rechtswidrige Grundrechtseingriffe gab:

  • Die Telefone der Familie wurden mehr als 6 Monate abgehört,
  • der Vater von Halit Yozgat wurde observiert,
  • es gab sogar einen rechtswidrigen Einsatz von verdeckten Ermittlern gegen die Familie.
  • Sie wurde teilweise so behandelt, als wären sie keine trauernden Angehörigen und Zeugen, sondern Tatverdächtige.

Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund frappierend, dass die Familie bereitwillig mit der Polizei zusammengearbeitet hat, und ihr großes Vertrauen entgegenbrachte.

Auch ist völlig unverständlich, dass bei einer Mordserie, der bereits damals acht weitere Personen zum Opfer gefallen waren, die nach dem damaligen Ermittlungsstand keinerlei Bezüge zueinander hatten, dennoch der Fokus der Ermittlungen so einseitig auf den Bereich der Familien gerichtet gewesen ist, statt aus dem einzigen, die Opfer verbindenden Element, – dem Migrationshintergrund – die richtigen Schlüsse zu ziehen, und nach rassistisch motivierten Tätern zu suchen.

Bei diesem Automatismus handelt es sich um institutionellen Rassismus. Diesem sind auch die Angehörigen von Halit Yozgat zum Opfer gefallen. Dafür möchte ich mich bei der Familie entschuldigen und erneut das Mitgefühl meiner Fraktion übermitteln, verbunden mit dem Versprechen, dass wir weiterhin auf eine rückhaltlose Aufklärung drängen werden.

Zuletzt: Wir haben in 33 Handlungsempfehlungen niedergelegt, was unserer Meinung nach geschehen müsste, damit sich derartiges nach Möglichkeit nicht wiederholt.

Unsere Kritik am Geheimdienst, am Innenministerium, an den Sicherheitsbehörden ist bereits deutlich geworden. Die Erfahrungen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss bestätigen und verstärken sogar unsere Kritik.

Dennoch: Rassismus, auch institutioneller Art ist und bleibt ein Problem der ganzen Gesellschaft´. Der Kampf gegen Menschenhass, Rassismus und Antisemitismus geht uns alle an!