Reden

Rede zu TOP 2, Regierungserklärung zur Kriminalstatistik 2017

Rede von Hermann Schaus am 27. Februar 2018

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Herr Präsident / Frau Präsidentin,

sehr verehrte Damen und Herren,

Herr Minister Beuth, sie sagten zu Beginn Ihrer Regierungserklärung:

„Für die Hessische Landesregierung hat das das Thema Sicherheit
deshalb seit fast 20 Jahren höchste Priorität“

 

Dazu gibt es drei Dinge zu sagen:

  • Erstens: Wie konnte es dann sein, dass sie bei der Polizei und im gesamten öffentlichen Dienst über Jahre Stellen abgebaut und die Beschäftigten zu Sparopfern gemacht haben?

Und wie konnte es sein, dass es in Hessen im Gegensatz zu anderen Ländern und dem Bund nie eine eigene Landesförderung für zivile Präventionsvereine gab?

Herr Minister Sie stricken Legenden!

  • Zweitens: Wie konnte es sein, dass die Landesregierung beim Thema rechte Gewalt und rechter Terror so versagt hat, wie wir es nicht nur im NSU-Komplex erleben mussten? Da hat sie völlig versagt!

Herr Minister Sie stricken Legenden!

  • Und drittens: Die Unionsparteien stellen das Thema Sicherheit oft populistisch in den Vordergrund. Aber ich wünschte mir, dass Sie die soziale Sicherheit und die Grundrechte eines jeden Menschen die Gleiche Bedeutung beimessen würden.

Das ist erkennbar nicht der Fall. Hunderttausende Menschen leben auch in Hessen in sozialer Unsicherheit.

Und das von der Koalition vorgelegte neue Verfassungsschutzgesetz ist verfassungswidrig und bürgerfeindlich.

 

Und deshalb Herr Minister: Wenn Sie sagen Sicherheit sei ein Grundbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger, dann sage ich Ihnen, dass man von dieser Phrase nichts kaufen kann und das das Grundrechtsverständnis der Union sehr unterdurchschnittlich ausgeprägt ist.

Ich gehöre dem Landtag nun seit 10 Jahren an und erlebe jedes Jahr diese ritualisierte Debatte:

  • Der Innenminister legt eine Statistik vor und siehe da:
  • Es wird von Jahr zu Jahr besser. Wenn es so weiter geht Herr Minister haben wir sicher in absehbarer Zeit eine 105-Prozentige Aufklärungsquote
  • Und das liegt - wer könnte es bezweifeln – nur am CDU-Innenminister

Ich frage mich seit Langem, welchen Nutzen diese ritualisierte Debatte für unser Land hat?

Glauben Sie denn wirklich, Herr Minister Beuth, dass all das was Sie hierzu gesagt haben in der Bevölkerung und bei den Polizeibeamtinnen und Beamten auch so gesehen wird?

Wenn ich die Diskussionen und Beiträge der Gewerkschaften und der Personalräte in der Polizei richtig verfolgt habe, dann gibt es da doch erhebliche Kritik. 

Deshalb möchte ich mich ausdrücklich bei den Polizeibeamtinnen und Beamten für Ihre Arbeit und Ihren Einsatz unter schwierigen Bedingungen herzlich bedanken!

Ihre Kriminalstatistik lässt zudem auch nur sehr begrenzte Aussagen zu.

Sie sprechen von „Aufklärungsquoten“. Dabei ist da noch gar nichts gerichtlich entschieden. Es wurde etwas angezeigt und die Polizei hat einen Verdächtigen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Aufgeklärt wäre es aber erst dann, wenn ein Gericht dies auch feststellt.

Um mit dieser Statistik etwas anfangen zu können, muss man sie ohnehin mit anderen Zahlen in Verbindung bringen. Und man darf die Augen vor dahinterliegenden Problemen und Herausforderungen nicht verschließen.

Was also können wir der sogenannten Kriminalstatistik aber entnehmen? Zum Beispiel:

  • Einen Rückgang der Wohnungseinbrüche von zuvor extrem hohem Niveau und dass die Polizei in diesem hoch problematischen Feld leider nur etwa 20 Prozent Verdächtige ermitteln konnte.
  • Einen stetigen Rückgang Straßenkriminalität, aber

ein nach wie vor erschreckend hohes und steigendes Ausmaß an Körperverletzungen, nämlich in 31.922 Fällen!

  • Ein weiterer Anstieg der alltäglichen Übergriffe gegen Einsatz- und Rettungskräfte.

Oder ein weiterhin erschreckend hohes Niveau von Angriffen gegen Flüchtlinge und bei rechten Straftaten, die den Großteil politischer Gewalt ausmachen.

Also: Licht und Schatten, zuweilen erschreckende kriminelle Energie und Gewalt und zuweilen abnehmende Fallzahlen.

Aber nun gehen die Probleme erst los, denn was wir aus dieser Statistik nicht erfahren ist:

Haben tatsächlich die Straftaten zu- oder abgenommen? Oder hat sich das Anzeigeverhalten geändert – so wie wir es z.B. bei Missbrauchsfällen erleben, die früher nicht, aber heute gottseidank viel häufiger angezeigt werden.

Das sagt Ihnen jeder Kriminologe – die Zahlen müssen richtig gelesen werden.

Und deshalb ist es auch wichtig, wenn die SPD per Antrag Dunkelfelder beleuchten will. Das unterstützen wir als LINKE ausdrücklich und hatten es auch schon einmal selbst vorgeschlagen – leider erfolglos.

Es macht extrem viel Sinn zu beleuchten, was z.B. angezeigt und was nicht angezeigt wird. Die Realität, meine Damen und Herren, steckt hinter oder auch zwischen den Zahlen.

Sie sicherheitspopulistisch zu interpretieren und besonders im Wahlkampfjahr politisch schön zu reden ist deshalb nicht hilfreich.

Ein großes Problem mit der Statistik - das sage ich hier jedes Jahr wieder:

  • Bei dem was Sie vorlegen, Herr Minister, hat die Polizei Verdächtige ermittelt. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
  • Aber wie oft sie damit richtig lag, wie viele Verfahren, in welchen Bereichen mit welchem Ergebnis geführt wurden… ? Das wissen wir nicht. Weil es statistisch eben nicht weiterverfolgt wird.

Noch immer haben Polizei und Justiz ganz unterschiedliche Systeme. Und ich halte dies für ein großes Problem.

Deshalb fordern wir als LINKE schon seit Jahren, dass eine Verlaufsstatistik eingeführt wird – so wie es sie in anderen Ländern bereits gibt!

Diesen Mangel sieht übrigens der hessische Generalstaats-

anwalt Prof. Dr. Fünfsinn ebenso, wie erst letzte Woche auf einer Gewerkschaftsveranstaltung zu hören war.

Also, Ihre Kriminalstatistik erfasst Verdächtigte. Aber dann ist Schluss. Mehr wird nicht erfasst. Deshalb hatten wir ja die Diskussion im Landtag mit dem Innen- und Justizminister.

Und siehe: Niemand wusste zu sagen, ob und in welchen Delikt-Bereichen, nach wie viel Zeit, welches Verfahren eingeleitet wurde, wie viele Prozesse stattfanden oder Verurteilungen ausgesprochen wurden.

Also was kann uns denn die Kriminalstatistik überhaupt sagen? Nur das es in diesem und jenem Bereich mehr oder weniger Anzeigen und Verdächtige gibt. Mehr nicht.

Beispiel Wohnungseinbrüche: Die Einbrüche sind statistisch nach zuvor starkem Anstieg jetzt rückläufig und die Aufklärungsquote mit circa 20 Prozent weiter sehr niedrig.

Aber die Frage, ob und wie viele Verfahren 2014-2016 dazu gegeben hat, ob das jetzt daran liegt, dass da in nennenswertem Umfang Leute überführt wurden, kann niemand beantworten.

Wir wissen deshalb auch nicht, ob es sich um Täter aus Hessen handelte. Und in wie vielen Fällen es sich z.B. um Beschaffungskriminalität oder Bandenkriminalität handelte.

Das können Sie zwar versuchen im Einzelfall zu verfolgen, aber statistisch geht das leider nicht. Und wenn sie das alles nicht wissen, dann können sie leider auch nicht sagen, ob und wie zuverlässig Verbrechensbekämpfung und die Rechtspflege im Ergebnis ist. Das ist in fast allen Delikt-Bereichen so:

Wir wissen aber, dass z.B. in Deutschland im Jahr 2016 rund 150.000 Haftbefehle nicht vollstreckt waren. Noch einmal in Worten: Einhundertfünfzig Tausend Haftbefehle.

In Hessen waren es knapp 10.000.

Offene Haftbefehle heißt aber, dass es nicht nur Verdächtige, sondern ein abgeschlossenes Verfahren mit einer Freiheitsstrafe gibt, die aber nicht vollzogen werden können.

Als Konsequenz aus dem NSU-Skandal gibt es im Bereich rechte Straftaten zumindest so eine Art Verlaufsstatistik. Und hier wissen wir, dass hunderte Haftbefehle nicht vollzogen werden. Z.B. weil da Leute einfach nicht auffindbar sind um sich ihrer Haftstrafe zu entziehen. 

Am 7. Dezember war beim Pressedienst des Deutschen Bundestages hierüber folgendes zu lesen:

„Zum Stichtag 25. September 2017 haben im Polizeilichen Informationssystem beziehungsweise im Schengener Informationssystem insgesamt 648 Fahndungen aufgrund von Haftbefehlen im Phänomenbereich der politisch rechts motivierten Kriminalität vorgelegen“

Die Tageszeitung DIE WELT schrieb über einen Bericht der Bundesregierung zum Thema Vollzug:

Wer wegen der Bildung terroristischer Vereinigungen verurteilt wird, muss dem Bericht zufolge häufig erst 1.985 Tage nach Urteilsvollstreckung ins Gefängnis einziehen.“

 

Also Delikt: Bildung einer terroristischen Vereinigung, Vollzug 5 Jahre nach dem Urteil – und zwar laut Bundesregierung im Durchschnitt.

  • Wie kann das sein?
  • Und was nutzt uns da Ihre Kriminalitätsstatistik, wenn von der Polizei bei zuvor die mit viel Aufwand ermittelten Straftäter nicht vollstreckt werden können?

Dazu hören wir aber von Ihnen Herr Minister kein einziges Wort, das wird tunlichst verschwiegen.

Und deshalb Herr Innenminister und meine Damen und Herren fordert DIE LINKE immer wieder, dass die Landesregierung und die Bundesregierung endlich eine Verlaufsstatistik auf den Weg bringen muss.

Nur dann wird es überhaupt möglich den Verlauf von Straftaten, Strafverfahren und Verfahrensabschlüssen statistisch abzubilden, zu beurteilen, ob und wie Kriminalitätsbekämpfung und Rechtspflege durch Polizei und Justiz funktionieren und genaue Schlussfolgerungen zur Bekämpfung und Prävention einzelner Phänomenbereiche zu ziehen

Ein weiterer Punkt den man hinzuziehen muss, um diese Kriminalitätsstatistik zu beurteilen, ist die Frage, wie sich denn die Maßnahmen des Innenministers sich konkret auswirken. Und da gibt es einige Dinge, bei denen man sich über ihre vorgetragenen Schlussfolgerungen schon wundern muss.

Wir kennen das ja zur Genüge, dass sich die Landesregierung und die Koalitionsabgeordneten ein Übermaß an Selbstlob über sich ausschütten

Es ist aber kein Geheimnis, dass das Verhältnis der Polizei zum Innenminister seit Jahren sehr angespannt ist – um es vorsichtig zu formulieren.

Personalkürzungen, Drei Millionen Überstunden, Gehaltseinbußen, Bis August 2017 deutschlandweit die längste Wochenarbeitszeit usw….

Aber 2018 ist Wahljahr. Also hat die Landesregierung beim Gehalt – zwar nicht ausreichend – aber immerhin das Tarifergebnis fast zeitgleich übertragen, Seit wenigen Jahren werden nun auch endlich mehr Polizeianwärterinnen und –anwärter eingestellt, als die vielen Jahre davor.

Ich finde dieses politische Kalkül erschreckend, weil damit die Landes-Beschäftigten und die Sicherheitspolitik von den  Wahlabsichten der Koalition abhängig gemacht werden. 

Die Hessischen Polizistinnen und Polizisten verdienen, wie alle anderen Landesbeschäftigten auch: Mehr Anerkennung und Kontinuität, statt Ihre Gutherrnmentalität und Sonntagsreden.

Die miesen Besoldungsrunden der letzten Jahre müssen nachgezahlt werden. Die 0-runde und die 1% magerrunde in den letzten beiden Jahren werden wir nicht vergessen!

Während das Land Hessen Millionen Überschüsse macht, wurden die Beamtinnen und Beamten von der Lohnentwicklung und vom Landeshaushalt abgekoppelt und zu Sparopfern degradiert. Damit muss endlich Schluss sein!

Meine Damen und Herren, aber egal was passiert - der Innenminister schlägt eine Gesetzesverschärfung vor und die Grünen machen es mit.

So will die schwarzgrüne Koalition gerade in Deutschland in beispielloser Weise das Geheimdienst-Gesetz und das Polizeigesetz verschärfen, die parlamentarische Kontrolle des Landesamtes für Verfassungsschutzes jedoch weiterhin auf Sparflamme halten.

Wir hatten eine Landtagsanhörung, in der von zig Sachverständigen ihr Gesetz zerrissen wurde:

Verfassungswidrig sei es, bürgerfeindlich oben drein, keinerlei Lehren aus dem NSU-Komplex wurden gezogen – das waren die Äußerungen von Bürgerrechtlern und Datenschützern, von Rechtsgelehrten, NSU-Anwälten und Präventionsprojekten.

Herr Minister Sie rühmen sich hier in Ihrer Rede noch damit, dass Sie Geld für Präventionsprojekte ausgeben. Aber parallel zerstören Sie mit Ihrem Gesetzesvorhaben gerade das Vertrauen der Träger.

Deshalb haben in der Anhörung auch einige Projektträger angeregt, dass nicht mehr Sie, als Innenminister, für die Mittelvergabe zuständig sein sollen, sondern der Sozialminister.

Die Projektträger wollen nämlich nicht weiter zum Spielball Ihrer Sicherheitspolitik sein. Sie wollen das Ihre vielen wichtigen Aufgaben, insbesondere im Jugendbereich als Teil der Sozial- und Jugendpolitik verstanden werden und eben nicht als Anhängsel der Sicherheitspolitik.

Als LINKE unterstützen wir diese Forderung und danken gleichzeitig den vielen Jugendorganisationen für ihre für unsere Gesellschaft so wichtige präventions- und Integrationsarbeit!

Eigentlich wollte ich her auch noch einiges zum sogenannten Schutzparagraphen sagen. Aber da die CDU dazu extra eine aktuelle Stunde beantragt hat, hebe ich mir dies für den Donnerstag auf.

Zuletzt möchte ich uns allen, trotz allem politischen Streit, eines in Erinnerung rufen:

Hessen ist ein vergleichsweise sehr sicheres Bundesland und Deutschland eines der sichersten Länder der Welt. Und das ist gut so. Und es sollte auch so bleiben.

Wir dürfen uns aber nicht in Angst-Spiralen bewegen oder von interessierter Seite gefangen nehmen lassen. Unsere Probleme bestehen bei der sozialen Sicherheit. Sie ist für Millionen Menschen in Deutschland täglich bedroht.

Auch von außenpolitischen Spannungen, von Krieg, Gewalt und Hungersnöten geht eine viel größere Gefahr aus.

Für mehr soziale Sicherheit zu sorgen, würde viel mehr der Kriminalität entgegenwirken, als noch so viele Sicherheitsverschärfungen. Und nach außen braucht es eine Entspannungspolitik, um Anschlagsszenarien zu begegnen.

Die Balance zwischen den Freiheits- und Bürgerrechten auf der einen Seite und Sicherheitsmaßnahmen auf der Anderen stimmt lange nicht mehr.

Diese Landesregierung agiert einseitig. Eine soziale und liberale Lesart ist im Regierungshandeln nicht erkennbar, wie auch die heutige Regierungserklärung einmal mehr gezeigt hat.

Deshalb: Unnötige Gesetzesverschärfungen und eine Low and Order-Politik bekämpfen nur die Symptome ( symptoma = ‚zufallsbedingter Umstand‘) aber nicht die Ursachen!