Reden

Rede zum Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung

Rede von Hermann Schaus am 30. Januar 2018

– Es gilt das gesprochene Wort –

Herr Präsident,
meine Damen und Herren,

Der Kern der vorliegenden Gesetzesänderung ist die Änderung des § 16a. Hier geht es um die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens, also eines Vorverfahrens, vor einem Gerichtsverfahren.
Ich möchte mit einem Zitat beginnen aus Juni 2002, als der § 16a eingeführt wurde. Ich sage Ihnen im Anschluss wer das gesagt hat:

„Das Widerspruchsverfahren wird weitestgehend abgeschafft.
Was das mit Bürgerfreundlichkeit zu tun haben
soll und damit, dass die Verwaltung effektiver arbeiten
kann, bleibt mir ein Rätsel. Denn die Verwaltung ist immer
noch für die Bürger da – und nicht umgekehrt.“
(PlPr 15/111 S.7717-7718)

Ein sehr richtiger Satz! Er stammt von der seinerzeitigen Abgeordneten Priska Hinz von den Grünen. Damals waren Sie Frau Hinz noch in der Opposition.
Und heute verantworten Sie als Mitglied der Landesregierung dieses Gesetz mit, in dem der 16a, mit einem erweiterten Anwendungsbereich, erhalten bleiben soll. Das ist mal wieder eine grüne Kehrtwende!
Meine Damen und Herren!
Das Widerspruchsverfahren hat vier wichtige Funktionen:

- Die Selbstkontrolle der Verwaltung
- Die Information der Bürgerinnen und Bürger sowie umgekehrt auch der Verwaltung
- Die Entlastung der Verwaltungsgerichte
- Einen effektiven außergerichtlichen Rechtsschutz

Dabei ist der letzte Punkt, der außergerichtliche Rechtsschutz, ein ganz zentraler.

Im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens erfolgt eine volle inhaltliche Überprüfung der ursprünglichen Entscheidung. Die gerichtliche Nachprüfung ist auf eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt.

Im Rahmen dieser Rechtmäßigkeitskontrolle sind die Gerichte aber nicht befugt, ihre eigene Ermessensentscheidung
an die Stelle der Ermessensentscheidung der Behörde zu setzen, sie können lediglich auf Ermessensfehler überprüfen. Ob der Verwaltungsakt auch zweckmäßig ist, darum geht es in den Gerichtsverfahren nicht.

So ist ein Teil des Rechtsschutzes mit dem Wegfall des Widerspruchverfahrens flöten gegangen. Das darf so nicht bleiben!

Das Widerspruchsverfahren ist bürgerfreundlich:
Mit Hilfe des Widerspruchs haben die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, sich
gegen einen belastenden Verwaltungsakt zu wehren oder den Erlass
eines abgelehnten Verwaltungsakts zu erreichen, ohne sofort
den Klageweg zum Verwaltungsgericht zu beschreiten.

Im Widerspruchsverfahren finden klärende Gespräche
zwischen der Behörde und den Adressaten eines Verwaltungsakts statt. So werden die Bürgerinnen und Bürger ernst genommen, können die getroffene Entscheidung eventuell verstehen und auch akzeptieren.

Wenn der Bürger oder die Bürgerin aber keine andere Wahl hat als direkt ein teures Klageverfahren anzustreben, vielleicht noch mit einer Anwältin oder einem Anwalt vor einem Verwaltungsgericht, dann ist das bürgerfeindlich!

Dazu kommt noch etwas:
Es besteht neben dem Kostenrisiko auch eine große psychologische Hemmschwelle, wegen einer vermutlich falschen Behördenentscheidung direkt das Verwaltungsgericht anzurufen.
Aber das gehört wahrscheinlich zum Kalkül. So glaubt man zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Eine Verwaltung, die sich nicht mit ihren eigenen Fehlern beschäftigen muss und gleichzeitig entlastete Verwaltungsgerichte.

Nur die Bürgerinnen und Bürger stehen am Ende dumm da, denn sie werden mit fehlerhaften oder missverständlichen Bescheiden stehen gelassen! Das trägt nicht zum Rechtsfrieden bei sondern erzeugt Frust!

Wir sagen: Hessen muss zurückkehren zum Widerspruchsverfahren in allen verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten. Wieder hin zu einem bürgernahen und bürgerfreundlichen Verfahren.

Noch ein Satz zum Wegfall des Devolutiveffekts: Ausgangs- und Widerspruchsbehörde sollten nicht identisch sein, denn meist hilft der Blick eines Dritten um Fehler zu erkennen.

Schon das BVerfG hat festgestellt, dass es auf der Hand liegt, „dass durch ein (…) Vorverfahren wegen der unmittelbaren Entscheidungs- und Weisungsbefugnis der vorgesetzten Behörde und ihrer Befugnis zur inhaltlichen Ermessenskontrolle der Rechtsschutz im Regelfall nicht verschlechtert, sondern in seiner Wirksamkeit verstärkt wird“.

Es war ein großer Fehler ein Rechtsinstitut faktisch abzuschaffen, welches sich insgesamt bewährt hat, nur um den Zielen einer „Verwaltungsmodernisierung“ und einer
„Entbürokratisierung“ vermeintlich einen Schritt näher zu kommen und ein genauso großer Fehler ist es, nun weiter daran fest zu halten!