Reden

Rede betreffend Antrag der Fraktion der SPD zum Thema Verfassungsschutz

Rede von Hermann Schaus am 18. Mai 2016 im Hessischen Landtag betreffend Antrag der Fraktion der SPD „Vorlage von verfassungsgemäßen und fortschrittlichen Gesetzentwürfen über das Landesamt für Verfassungsschutz und zur parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes" (Ds. 19/3362)

– Es gilt das gesprochene Wort –

Herr Präsident / Frau Präsidentin,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

eine wirksame parlamentarische Kontrolle des Geheimdienstes existiert bis heute nicht. Wer anderes behauptet, ist entweder naiv oder täuscht bewusst die Öffentlichkeit.

Wir reden beim Landesamt für Verfassungsschutz von einer Behörde, die entgegen des Sparzwangs in allen anderen Bereichen der Landesverwaltung, seit über 10 Jahren immer weiteres Personal und immer mehr Kompetenzen erhält.

Allen Skandalen, Sozialkürzungen, Bildungskürzungen und Lohnkürzungen zum Trotz: Für den Verfassungsschutz darf es immer noch ein bisschen mehr sein. Allein in diesem Jahr wurden die Stellen beim Verfassungsschutz um sage und schreibe 20 Prozent ausgeweitet. Wo gibt es das sonst sonst im Landesdienst?

Wir LINKE sagen seit Jahren: Das sind die falschen Prioritäten! Es ist hochgefährlich, dass ein skandalbelastetes und undemokratisches Gebilde wuchert, während auf wirksame parlamentarische Kontrolle defacto vollständig verzichtet wird.

Wir reden über eine Behörde, der per Gesetz erlaubt ist gegen das Legalitätsprinzip zu verstoßen. Wir reden über Geheimdienstverbünde, die nach den Veröffentlichen um NSU-Skandal, im NSA-Skandal und im BND-Skandal offensichtlich vieles machen, was die Verfassung nicht schützt, sondern Diese fortlaufend und massenhaft bricht.

Jede Beamtin, jeder Bürger und jede Würstchenbude muss sich an Gesetze und Regeln halten und wird im Zweifel öffentlich zur Rechenschaft gezogen.

Aber der Geheimdienst darf sogar mit Straftätern kooperieren, darf Straftäter bezahlen und sie vor Strafverfolgung schützen. Die Leute die der Verfassungsschutz als Vertrauenspersonen bezeichnet sind überwiegend Kriminelle und denen wird vertraut.

Zudem entscheidet der Verfassungsschutz dann auch noch nach eigenem Ermessen, was die Öffentlichkeit und die Parlamente hierüber erfahren dürfen. Schredder oder nicht Schredder – das wissen wir heute, entscheiden die Dienste nach ihrem eigenen Ermessen. Ich bezweifele, dass ein solches Geheimdienstsystem gut für die Demokratie ist.

DIE LINKE sagt seit Jahren: Wir wollen keinen Staat im Staate! Die Geschichte der Geheimdienste ist zumal in Deutschland untrennbar mit diktatorischen Erfahrungen verbunden – und nicht mit der Demokratie.

Spätestens nach den Enthüllungen im NSU-Komplex muss doch klar sein: Die Geheimdienste haben im Kampf gegen rechts entweder vollständig versagt oder aber sie haben sogar selbst zum Erstarken des rechten Szene und Gewalt beigetragen!

All jenen, die die Geheimdienste dennoch für unverzichtbar erklären, sage ich: Es kann und darf in der Demokratie doch nicht sein, dass eine Regierungsbehörde außerhalb von Gesetzen operiert und dass sie selbst darüber entscheidet, wer sie dabei kontrolliert. Es muss doch unser demokratischer Mindestanspruch sein, das Tun und Lassen wenigstens im Nachgang zu kontrollieren.

Aber genauso läuft es! Lediglich drei Fraktionen des hessischen Landtags – davon zwei Regierungsfraktionen – ist es gestattet, sich an einem unbekannten Ort, zu einer unbekannten Zeit, über unbekannte Dinge berichten zu lassen – und darüber dann für immer zu Schweigen!

Diese fünf Abgeordneten dürfen nicht einmal Mitarbeiter des LfV befragen, oder bei Verstößen jemanden einschalten – nicht den Landtag, nicht den Datenschutz, nicht die Medien, niemanden. Das ist doch keine Kontrolle, sondern eine Alibiveranstaltung! Hier wird doch der Öffentlichkeit nur Kontrolle vorgegaukelt.

Meine Damen und Herren, wir erleben nun im NSU-Untersuchungsausschuss unfassbare Dinge. Sogar für Geheimdienst-Kritiker wie mich ist fast nicht zu glauben, was ich da erleben muss.

Da kommen Geheimdienstler in den Ausschuss, frei von Ahnung und Sachverstand, frei von Moral und mit einer Arroganz gegenüber dem Parlament, dass es mir gruselig wird. Da wird intern über die NSU-Opfer abfällig gesprochen, da werden reihenweise Dienstvergehen begangen ohne das was passiert, da werden Vorgesetzte und die Polizei belogen und das Parlament und die Öffentlichkeit werden getäuscht. Und das alles von Beamtinnen und Beamten des Landes Hessen.

Noch schlimmer sind aber die V-Leute, die angeblichen Vertrauensleute. Wir haben jetzt zwei öffentlich vernommen und man kann niemandem erklären, warum der Staat mit denen kooperiert hat?

Mein Eindruck war, dass die unsere Gesellschaft völlig verachten, dass das Intensivstraftäter sind, die sich auf Staatskosten auch noch versorgen lassen und dabei überhaupt nichts brauchbares liefern, was im Kampf gegen rechts von Nutzen wäre.

Und was macht die Landesregierung angesichts dessen. Die Antwort: Nichts, außer weiteres Chaos. Im letzten Jahr hat man mir auf die Frage nach NSA-Aktivitäten geantwortet, man habe keine Erkenntnisse über NSA-Aktivitäten.

Die Standorte sind zwar in Hessen, das kann jeder nachlesen. Aber laut Landesregierung gibt es das nicht. Im NSU-Komplex erklärte die Landesregierung tatsächlich, in Hessen habe es keinerlei Pannen gegeben.

Was die parlamentarische Kontrolle angeht erleben wir ein peinliches Schauspiel!

Und zum Streit um die „Expertenkommission“. Wir erinnern uns: Erst wollte Schwarzgrün die Einsetzung eines NSU-Untersuchungsausschuss mit allen Mitteln verhindern. Nur deshalb wurde eine Kommission aus vier Personen im Innenministerium eingesetzt, die parteipolitisch ausgesprochen ausgewogen zusammen gesetzt war.

Diese Kommission sollte auf der Grundlage der gemeinsamen Empfehlungen des ersten NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag eigenständig Vorschläge zur Neuausrichtung des hessischen Verfassungsschutzes machen und unabhängig arbeiten.

Aber noch bevor sie ihre Arbeit aufnehmen konnte, hat schwarzgrün schnell einen Gesetzentwurf aus der Schublade gezogen und auf einer Pressekonferenz vorgestellt und damit ihre eigene Kommission erst mal vor den Kopf gestoßen.

Offiziell in den Landtag eingebracht wurde dieser oder ein anderer Gesetzentwurf bis heute nicht es ist seither nie wieder aufgetaucht.

Die Kommission des Innenministers erklärte diesen Gesetzentwurf dann zur Krönung auch noch für unzureichend und verfassungswidrig. Ein grotesker Vorgang!

Meine Damen und Herren, aus all unseren Erfahrungen der letzten Jahre ist es die Position der LINKEN, den Geheimdienst, das Landesamt für Verfassungsschutz komplett in ein Zentrum für Demokratie und Menschenrechte umzuwandeln.

Wir wollen eine Institution schaffen, die wissenschaftlich arbeitet und demokratische Initiativen und die Zivilgesellschaft stärkt, und die vor Allem, auf das unsägliche V-Leute-System gänzlich verzichtet, so wie es das Land Thüringen praktiziert. Meine Damen und Herren, es kann doch nicht sein, dass der Staat Nazigruppen mitfinanziert und steuert. Und wenn es dann aus dem Ruder läuft, werden Akten geschreddert und Beweise zurückgehalten.

Erst letzte Woche konnten wir alle erfahren, dass im NSU-Komplex eine zentrale V-Mann-Akte vom Hochwasser der Elbe zerstört worden sei.

Gleich danach wurde bekannt, dass das Handy eines anderen zentralen V-Mannes jahrelang unbemerkt im Tresor beim Verfassungsschutz lag ohne es gleich auszuwerten.

Wer so unfähig ist, dass er angeblich nicht einmal Beweismittel in einer Naziterror-Serie aufbewahren, geschweige denn Auswerten kann, aber dafür Nazis tausende Euro zahlt, der braucht einen kompletten Neustart, mit anderen Regeln, einer weitest gehenden öffentlichen Kontrolle und einer nur dem Parlament verantwortlichen neuen Führung!

Ich weiß, dass wir zumindest im hessischen Landtag mit diesen Vorschlägen noch ganz alleine sind. Ich werbe aber weiter dafür, dass Hessen in naher Zukunft wenigstens den Weg des rot-rot-grünen Thüringen beschreitet sollte.

Dort wurde das V-Leutesystem abgeschafft und das Landesamt wird zumindest weitreichend umgekrempelt. Das ist dort schwer genug und die inneren Widerstände sind auch groß. Ich streite aber weiter, damit diese ersten Schritte irgendwann auch einmal in Hessen möglich sein werden.