Reden

Rede zur Regierungserklärung zum Thema Wohnungspolitik

Rede von Hermann Schaus am 19. April 2016 im Hessischen Landtag

– Es gilt das gesprochene Wort –


Herr Präsident,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich stimme Frau Ministerin Hinz zu, wenn sie Ihre Rede mit den Sätzen begonnen hat:
„Die Situation auf dem hessischen Wohnungsmarkt ist ernst: In vielen hessischen Städten gibt es zu wenig bezahlbaren Wohnraum und zwar seit Jahren und nicht erst durch die zusätzlich zu uns kommenden Flüchtlinge“.

Frau Ministerin Hinz: Ich habe Ihre gesamte Rede aufmerksam verfolgt und muss nun leider feststellen, dass Sie dennoch nicht ansatzweise die Dramatik des bestehenden Wohnungsmangels und der immer schneller steigenden Mietpreise im Rhein-Main-Gebiet und in den Hochschulstädten Hessens erfasst haben. Besonders für Familien mit Kindern, für immer mehr Rentnerinnen und Rentner und für den weit überwiegenden Teil der Studierenden ist die Situation viel schwieriger als sie es eher beschönigend dargestellt haben.

Und deshalb kann ich nach ihrer Regierungserklärung nur feststellen: Sehr viel allgemeines, sehr wenig konkretes und außer den bekannten Lobpreisungen von Darlehensprogrammen und einem Gesprächskreis, wenig konkretes.
Das was diese neue Landesregierung bisher an Gesetzesinitiativen eingebracht hat waren unzureichende Versuche den desolaten Wohnungsmarkt in weiten Teilen Hessens in den Griff zu bekommen.

Die Änderung am Wohnraumförderungsgesetz, die Fehlbelegungsabgabe oder auch die Verordnung zur Umsetzung der Mietpreisbremse wurden von uns stets grundsätzlich begrüßt. Ich habe aber auch in allen bisherigen Debatten darauf hingewiesen, dass diese Maßnahmen viel zu halbherzig sind.

Beispielhaft möchte auch ich wie Kollege Siebel vor mir, auf die Änderung des Wohnraumförderungsgesetz hinweisen, wo mit den Stimmen der Koalition durchgedrückt wurde, dass - in diesem noch aus FDP-Zeiten stammenden Gesetz - weiterhin Mittel die eigentlich ausschließlich für den Bau von Sozialwohnungen zur Verfügung stehen sollten, auch für die Errichtung von Einfamilienhäusern genutzt werden können.

Da gibt es sogar eine um 50 Prozent höhere Einkommensgrenze, als für diejenigen, die eine Sozialwohnung mieten dürfen. Das haben auch Sie als grüne Ministerin bewusst und gewollt im Gesetz drin gelassen und nur den Vorrang für die Eigentumsförderung herausgenommen! Konsequent wäre es jedoch gewesen, die zwar zwischenzeitlich aufgestockten, aber immer noch ungenügenden Mittel ausschließlich für den sozialen Wohnungsbau zu verwenden.

So wie in diesem Beispiel haben Sie als Koalition leider auch bei vielen anderen wohnungspolitischen Entscheidungen halbherzig gehandelt, statt energisch umzusteuern.

Ein weiteres Beispiel will ich Ihnen vorhalten, die sogenannte Mietpreisbremse. Warum, Frau Ministerin gilt die aber nur in 15 hessischen Städten?

Es lag in Ihrer Verantwortung, Frau Ministerin Hinz, die entsprechende Verordnung zu gestalten, Sie hätten also sehr wohl auch die Möglichkeit gehabt, zumindest wie bei der Kappungsgrenzenverordnung festgelegt 29 Städte, mit all ihren Stadtteilen aufzunehmen.
Das haben es aber nicht getan.

Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Gibt es wirklich nur in 15 hessischen Städten extrem steigende Mieten und in den anderen Kommunen nicht?

Halbherzig, wurde die Mietpreisbremse in Hessen umgesetzt und dies werden wir als LINKE auch weiter in die Öffentlichkeit tragen! Betrachten wir uns die Realitäten auf dem hessischen Wohnungsmarkt. Seit 1991 hat sich der Bestand an Sozialwohnungen von 206.000 auf jetzt noch knapp über 100.000 Wohneinheiten halbiert. Dieser Abbau von preiswerten Wohnungen konnte auch seit der Übernahme der Regierung durch CDU und Grüne nicht gestoppt oder wenigstens gebremst werden.

Im Gegenteil: In den ersten beiden Jahren von schwarz-grün sind deutlich über 8.000 Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen. Das ist mit im Schnitt über 4.000 Wohnungen noch mehr, als in den Jahren davor. Zur gleichen Zeit stieg aber die Zahl derjenigen Familien, die aufgrund ihres Einkommens einen Anspruch auf eine Sozialwohnung haben merklich an. Inzwischen können in Hessen mehr als 45.000 Familien trotz ihrer entsprechender Registrierung in den Wohnungsämtern der Städte nicht mit entsprechend preisgünstigem Wohnraum versorgt werden. Geht man übrigens von den Zahlen des PESTEL-Institutes aus, dann liegt die Zahl der Anspruchsberechtigten weit über 250 000 Haushalte in Hessen. Die Mehrheit hat also schon verzweifelt aufgegeben und lässt sich gar nicht erst registrieren.

Das ist die Realität!

In diesen Berechnungen sind übrigens die Flüchtlinge, die in den vergangenen Monaten vor Krieg und Terror aus ihren Ländern zu uns geflüchtet sind, noch gar nicht einbezogen. Viele von ihnen werden bleiben und unsere Gesellschaft bereichern! Aber: Auch sie müssen menschenwürdig und bezahlbar untergebracht werden. Nun hat die Regierung, über das Kommunale Investitionsprogramm, ein Landesprogramm Wohnraum auferlegt. Das ist gut so. Es ist aber angesichts der Versäumnisse der letzten Jahrzehnte weiterhin unzureichend. Dieses Programm, bietet den Kommunen auch nur langfristige Darlehen.

Seit Jahren fordern wir als LINKE, jedes Jahr erneut bei den Haushaltsberatungen, ein eigenständiges, nachhaltiges Landesprogramm für den Bau von 10.000 Sozialwohnungen pro Jahr, nicht pro Legislaturperiode sowie ein Programm für den Bau von jährlich 2.000 Wohnräumen für Studierende.

Was Wohnräume für Studierende angeht, hält Hessen, mit nur 6 Prozent Versorgungsgrad, auch die rote Laterne unter den Bundesländern. Der Durchschnitt im Bundesgebiet liegt hier bei rund 10 Prozent. Unseren 233.000 Studierenden stehen in Hessen lediglich 15.500 Wohnheimplätze zur Verfügung und da ist mir der angekündigte Bau von 1.000 Wohneinheiten in der gesamten Legislaturperiode viel zu wenig.

Meine Damen und Herren, wenn wir schon ausführlich über Wohnungspolitik sprechen, dann sollten wir aber auch über Mitsprachemöglichkeiten von Mieterinnen und Mietern zu sprechen. Denn wenn es um Veränderungen im eigenen Wohnumfeld oder um umfangreiche Renovierungsmaßnahmen geht, dann müssen Vermieter die Sorgen und Nöte ihrer Mieterinnen und Mieter kennen und auch ernst nehmen. Gerade im sozialen Wohnungsbau dauern Mietverhältnisse länger, als am privaten Wohnungsmarkt. Deshalb fordern wir weiterhin, die verbindliche Einführung von Mieterbeiräten bei allen öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften.

Dies gilt auch für die Nassauische Heimstätte/Wohnstatt, für die ABG in Frankfurt oder den Bauverein in Darmstadt. Verbindlich und einheitlich und ohne große bürokratische Hürden sollen Mieterinnen und Mieter mitsprechen können. Dazu gehört dann aber auch, dass Mieterinnenvertreter auch in den Aufsichtsräten vertreten sein sollen. Das gute Beispiel aus Gießen sollte Vorbild für alle anderen öffentlichen Gesellschaften werden. Allerdings muss sich bei den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften deutlich mehr verändern, als die Einführung echter Mieterbeiräte. Es wird wieder einmal Zeit, die Geschäftsführer dieser Gesellschaften daran zu erinnern, was eigentlich ihre Aufgabe ist! Wenn Herr Junker von der ABG Holding in Frankfurt sich damit rühmt, dass zukünftig sogar 38 Prozent der bis 2020 entstehenden Wohnungen als Sozialwohnungen gebaut werden, dann zeichnet dies ein falsches Verständnis des gesellschaftlichen Auftrags eines städtischen Wohnungsunternehmens!

Wieso nur 38 Prozent Sozialwohnungen frage ich. Haben die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften denn nicht die Aufgabe ausschließlich günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen?

Ist es nicht ihre zentrale Aufgabe, ja sogar ihr Gründungsauftrag, möglichst vielen Menschen mit niedrigen Einkommen preiswerten Wohnraum anzubieten?

98 Prozent, statt 38 Prozent wären hier angesagt!

In Frankfurt fließen stattdessen jährlich 60 Mio. Euro an Gewinnen der ABG in den städtischen Haushalt. Geld, das von den Mietern stammt. Da wäre doch stattdessen angesagt, dass Geld ausschließlich für den Bau preiswerter Wohnungen zu verwenden.
Es wäre deshalb in vielen städtischen Wohnungsgesellschaften angesagt, endlich wieder das Gemeinwohl fest ins Auge zu nehmen, statt vorrangig den Bau von hochpreisigen Eigentumswohnungen zu betreiben.

Dies betrifft ganz ausdrücklich auch die Nassauische Heimstätte! Noch vor wenigen Jahren wurde sie durch den Protest von Gewerkschaften, Mieterbund und Sozialverbänden vor dem Verkauf durch die damalige CDU/FDP Regierung gerettet. Dies geschah aber nicht, damit auch sie sich ihren Werten und Ursprüngen entfremdet. Wie bei jeder anderen öffentlichen Wohnungsgesellschaft ist es auch die Aufgabe der NH preiswerten Mietwohnraum zur Verfügung zu stellen! Wir unterstützen durchaus die Kapitalerhöhung um 50 Mio. und hoffen sehr, dass dieses zusätzliche Geld ausschließlich dazu dient, preiswerten Wohnraum zu schaffen.

Meine Damen und Herren, es wird insgesamt deutlich, dass wir große Anstrengungen vor uns haben um die Situation am hessischen Wohnungsmarkt spürbar zu verbessern. Wir müssen auch mit vielen kleinen Maßnahmen versuchen Wohnraum zu schaffen und zu erhalten. Zu nenne ist hier das Gesetz zur Wiedereinführung der sogenannten Fehlbelegungsabgabe, als einen ersten kleinen Schritt in die richtige Richtung. Allerdings auch hier gilt leider auch: Ein „zaghafter Schritt“, der sich zudem sozial sehr unausgewogen darstellt, reicht nicht. Das Einsetzen der Fehlbelegungsabgabe schon bei über 20 Prozent ist unzureichend. Unser Gesetzentwurf war da sozial deutlich ausgewogener!

Ganz anders verhält sich aber die Landesregierung bei der Bekämpfung von spekulativem Leerstand oder der Zweckentfremdung von Wohnraum. Hier haben Sie offenbar nicht vor etwas dagegen zu unternehmen. Unser Gesetzentwurf befindet sich ja demnächst in der Anhörung. Dann können wir mit Experten darüber beraten, ob auch dies einen positiven Beitrag gegen Mietpreissteigerungen darstellt.
Wir sind davon überzeugt, dass ein solches Gesetz in allen Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt sinnvoll wäre.

Meine Damen und Herren!

Es gäbe zahlreiche Wege, wie wir gemeinsam mit den Kommunen eine spürbare Verbesserung der Wohnungssituation in den Ballungszentren und an den Hochschulstandorten erreichen könnten. In erster Linie steht ein nachhaltiges Investitionsprogramm, dass aufgrund der gestiegenen und zu erwartenden weiter steigenden Zahlen 10.000 neue Wohnungen pro Jahr entstehen lässt. Dies muss durch Neubau, könnte aber auch durch den Umbau von leer stehendem Büroraum geleistet werden.

Wir wissen alle, dass in Frankfurt über 1,5 Millionen Quadratmeter Büroraum leer steht. Hier ist ein großes Potential für die Entstehung neuen Wohnraums, auch wenn natürlich klar ist, dass nicht jeder Quadratmeter Büroraum eins zu eins in Wohnfläche umwandelbar ist. Darüber hinaus brauchen wir wirkungsvolle Maßnahmen, die diesen neu entstehenden Wohnraum begleiten. Die Fehlbelegungsabgabe, Mietpreisbremse und das Zweckentfremdungsverbot sind oder könnten zumindest sinnvolle Maßnahmen sein, wenn sie denn konsequent und nicht so zaghaft wie von schwarz-grün gestaltet worden wären.

Letztendlich brauchen wir aber auf Bundesebene eine neue Gemeinnützigkeit für den sozialen Wohnungsbau, ähnlich wie es bis 1989 geregelt war. Nur wenn der Anteil von Sozialwohnungen und preiswerten Wohnraum in der Hand von öffentlichen Wohnungsbau-gesellschaften und Genossenschaften erheblich gesteigert wird, können wir die unsoziale Mietpreisentwicklung nach oben stoppen.

Hätten Sie unseren Anträgen in den vergangenen Jahren zugestimmt, dann könnten wir heute entspannter über Wohnungspolitik oder aber – vielleicht sie Frau Ministerin Hinz nicht ganz so entspannt – über die vorgetäuschten Kontrollen im AKW Biblis sprechen.