Reden

Für mehr demokratische Beteiligungsrechte in den Kommunen

unkorrigiertes Redemanuskript
- es gilt das gesprochene Wort -

Rede zum Gesetzentwurf DIE LINKE. „Für mehr demokratische Beteiligungsrechte in den Kommunen“, DS 19/1520

Herr Präsident,
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Anfang dieser Woche jährte sich zum fünften Mal der Baubeginn von „Stuttgart 21“. Die aufgeklärten Bürgerinnen und Bürger, die seinerzeit gegen das Bauvorhaben in Stuttgart demonstriert haben, wurden in der Öffentlichkeit oftmals als verkappte Terroristen oder radikale Baumschützer dargestellt. In Wahrheit waren es aber keine „Wutbürger“, sondern „Mutbürger“, die den Mut hatten gegen ein Verfahren zu protestieren, das in die Sackgasse geführt hat, sagte Heiner Geißler, in einem Interview am 2.2.2015 im hr.

Und Geissler sagte noch mehr, ich zitiere:
„Wir brauchen neue Formen der Demokratie, die repräsentative Demokratie muss nicht abgeschafft, sondern ergänzt werden durch direkte Demokratie“.

„Stuttgart 21“ gilt längst als Sinnbild, dass es der Politik nicht gelungen ist, gemeinsam mit den Menschen vor Ort Probleme zu lösen und einen Konsens zu finden. Hessen steht dem in nichts nach! Auch nach Inkrafttreten der letzten Reform der Kommunalverfassung 2011 weist Hessen leider einen großen Mangel an direktdemokratischen Beteiligungsformen auf. Im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern gibt es nach wie vor weder die Möglichkeit eines Bürgerantrages noch Bürgerpetitionen in Städten und Landkreisen. Außerdem sind die Hürden für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zu hoch, wodurch mögliche Initiatoren abgeschreckt werden.

Wir legen deshalb heute unseren Gesetzentwurf vor, der bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden eine Senkung der Quoren, die Verkleinerung des Ausschlusskataloges sowie eine Befreiung der Antragsstellerinnen und Antragssteller vom Zwang der Kosteneinschätzung, beinhaltet.
Zudem sollen die in den meisten anderen Bundesländern längst eingeführten Bürgeranträge und Bürgerpetitionen endlich auch in Hessen Eingang in die Kommunalverfassung finden.

Wir wollen das unsere Regelungen zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden an die bayerischen Regelungen angepasst werden. Unsere Vorschläge für die Zulässigkeitsprüfung, die Friedenspflichten, Fairnessklausen und Durchführungsfristen eines Begehrens wurden daher im Gesetzentwurf aus Bayern übernommen. Alle direkten Beteiligungsrechte sollen zudem auch für die Landkreise eingeführt werden.
Insbesondere die Reduzierung des undemokratischen Quorums von generell 25 Prozent, wie die Möglichkeit des Bürgerentscheids,  auch begrenzt in einzelnen Stadtteilen durchführen zu können sowie die Möglichkeit eines Kreisentscheides fördern die direkte Beteiligung der Menschen.
Es kann nicht angehen, dass ein Bürgermeister oder Landrat weniger Stimmen bei seiner Wahl erhält, als für einen Bürgerentscheid benötigt werden.

Am Beispiel der Stadt Frankfurt wird deutlich, wie hoch derzeit die Hürden für ein erfolgreiches Bürgerbegehren zum Erhalt der Rennbahn sind. Die erforderlichen 25% bedeuten eine Zustimmung von über 116.000 Stimmberechtigten.
Bei der Wahl zum Oberbürgermeister hatte  Peter Feldmann (SPD) zwar 57,4% aller Stimmen erhalten. Bei einer Wahlbeteiligung von 35,1% waren dies aber nur 92.232 Stimmen. Das Gesetz verlangt also 24.000 Stimmen mehr bei einem Bürgerentscheid als der OB 2012 erhalten hat.
Deshalb wollen wir die Quoren gestaffelt nach der Zahl der Abstimmungsberechtigten in einer Stadt oder eines Landkreises zwischen 10% und 20% absenken.
Neben den Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden wollen wir zudem zwei weitere Instrumente direktdemokratischer Mitwirkungsmöglichkeiten in der Hessische Gemeindeordnung und in der Landkreisordnung verankern.

Mit einem Bürgerantrag  soll es einer größeren Gruppe von Einwohnern möglich sein Ihr Anliegen direkt auf die Tagesordnung ihres Stadt- oder Kreisparlamentes zu bringen. Zudem möchten wir ein Petitionsrecht einführen, damit sich alle Einwohner mit einem Anliegen direkt an die Gemeindevertretung  wenden können. Durch unsere Regelung, nachdem jede Person ab einem Alter von 14 Jahren eine Petition einreichen kann, wollen wir zudem die Mitwirkungsmöglichkeiten auch auf junge Menschen ausdehnen, die noch nicht wahlberechtigt sind und sie damit in positivem Sinne zur Teilnahme an kommunalpolitischen Angelegenheiten ermutigen.

Neben diesen Verbesserungen der direktdemokratischen Möglichkeiten in der hessischen Kommunalverfassung wollen wir aber auch beim kommunalen Wahlrecht Verbesserungen vornehmen.
Deshalb soll auch in Hessen das kommunale Wahlrecht ab dem 16. Lebensjahr eingeführt werden, dass es in 11 Bundesländer - teilweise bereits seit mehr als 10 Jahren - gibt.

Meine Damen und Herren, wir reden dieser Tage viel über  Integration und Beteiligung von Migrantinnen und Migranten. Dann müssen wir aber konsequenterweise auch über das Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger -wenigstens auf kommunaler Ebene- erneut diskutieren.

Es kann doch nicht weiter hingenommen werden, dass zwar ein Mitbürger aus Schweden kommunal abstimmen darf, aber eine Norwegerin nicht. Es kann auch nicht sein, dass ein Zyprer aus Nikosia abstimmen darf, aber Eine aus Famagusta nicht.  Wir sollten alles dafür tun, damit unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die oftmals Jahre und Jahrzehnte als unsere Nachbarn mit uns Haus an Haus leben, allein aufgrund ihrer Nationalität von demokratischen Entscheidungsprozessen vor Ort ausgeschlossen sind.

Das kommunale Wahlrecht verstehen wir als einen wichtigen Schritt zu gleichberechtigter Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. 
Deshalb legen wir Ihnen heute, mehr als ein Jahr vor der nächsten Kommunalwahl, einen Gesetzentwurf für mehr demokratische Beteiligungsrechte in den Kommunen vor und hoffen auf Ihre Unterstützung.