Hermann Schaus
Parlamentarischer Geschäftsführer
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www.hermann-schaus.de
Sprecher für: Gewerkschaften, Innenpolitik, Kirchen, Sport, Kommunalpolitik, Antifaschismus
Reden
Ungeschwärzte Akten im NSU-Untersuchungsausschuss
Rede am 26. November 2015 zum Setzpunkt 19/2675
– Es gilt das gesprochene Wort –
Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße, dass wir hier heute in öffentlicher Sitzung über die Schwärzungen in den dem NSU – Untersuchungsausschuss gelieferten Akten beraten. Dieses Thema beschäftigt uns im Ausschuss schon eine Weile und wird hinter verschlossenen Türen hart diskutiert.
Herr Bellino: Es macht mich fast sprachlos wie Sie die Dinge hier verdrehen, in ihrer Rede auf Zahnarzttermine oder Zeitverzögerungen bei Sitzungsbeginn wegen des Bringens von Kindern in den Kindergarten anzusprechen ist schäbig und unterste Schublade.
Ich hingegen bin der Auffassung, dass die Öffentlichkeit ein Recht hat zu erfahren, mit welchen Problemen die an Aufklärung interessierten Fraktionen im Ausschuss konfrontiert sind.
Dennoch stellt sich mir heute ein Problem: Denn die Akten, um die es hier geht, die in weiten Teilen geschwärzt sind, sind in großen Teilen als VS-Vertraulich und VS-Geheim eingestuft. Wie Sie wissen, dürfen Dokumente nur dann eine solche Einstufung erhalten, wenn ihre Kenntnisnahme durch Unbefugte die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen kann.
Diese Dokumente sind besonders geschützt, der Landtag hat für ihre Aufbewahrung extra einen Tresorraum geschaffen und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten sich einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen.
Wer Informationen aus diesen Akten preisgibt, muss mit einem Strafverfahren wegen Geheimnisverrats rechnen.
Es geht also entgegen der öffentlichen Darstellung der CDU nicht um die Frage was öffentlich gemacht wird und was nicht. Es geht um den einfachen Fakt, dass dem Parlament alle Informationen vorliegen müssen, damit es seine Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle effektiv ausüben kann.
Wir müssen als Volksvertreter auf Basis der uns vorgelegten Unterlagen eine politische Einschätzung treffen können. Und in diesen, besonders geschützten Unterlagen sind nun seitenweise Schwärzungen vorhanden. Diese Schwärzungen sind dann beispielsweise lapidar begründet mit dem einzelnen Wort „Staatswohl“.
Das ist schlichtweg nicht hinnehmbar!
Das Parlament hat den Verfassungsauftrag die Regierung zu kontrollieren. Und die Aufklärung der NSU-Morde und der skandalösen Rolle der Behörden ist von hoher Bedeutung. Diese Aufklärung wird aber durch hunderte von Schwärzungen verhindert, weil man die Akten teilweise überhaupt nicht lesen kann.
Oft sind die Schwärzungen sogar überhaupt nicht begründet. An anderen Stellen fehlen viele Seiten – ohne ein Wort der Begründung.
Nur um das der Landesregierung gegenüber nochmal klarzustellen: Für den Schutz des Staatswohls sind Regierung und Parlament gemeinsam verantwortlich!
Wenn Sie das nicht glauben, lesen Sie das Flick-Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Deshalb: Es kann nicht sein, dass die Regierung begründungslos Akten schwärzt, in einem Fall, in dem die Regierung zu kontrollieren ist!
Diese Schwärzungen macht insbesondere das Landesamt für Verfassungsschutz. Wenn es aber eine Behörde gibt, bei der ich große Zweifel daran habe, ob sie in der Causa NSU das Staatswohl oder nicht eher sich selbst schützen will, dann ist das das Landesamt für Verfassungsschutz!
Es ist absurd, dass ausgerechnet die Behörde, die sich durch das unerklärliche Verhalten ihrer Mitarbeiter in der Sache NSU zum Hauptuntersuchungsgegenstand des Ausschusses gemacht hat, nun auf derartige Weise versucht, die parlamentarische Kontrolle zu begrenzen.
Zur Aufklärung des NSU-Komplex und der Rolle des Geheimdienstes gibt es diesen Untersuchungsausschuss. Und um diese Aufklärung zu ermöglichen, sind ungeschwärzte Akten erforderlich!
Tatsächlich schützenswerte Informationen, wie die Identität bestimmter Personen, sind durch die VS-Einstufung hinreichend geschützt.
Nun ist es ja so, dass die CDU letzte Woche gegenüber der Presse behauptet hat, alle Akten zu NSU seien einsehbar und in keinem anderen Bundesland würde den Abgeordneten ein so weitreichender Zugang zu Dokumenten erlaubt wie in Hessen. Das ist absoluter Unfug! Und Herr Bellino, wenn Sie sich mal die Mühe machen würden, in den Aktenleseraum zu gehen und eine Akte zur Hand zu nehmen, wüssten Sie das auch.
Der von CDU und Grünen am Montagabend um 20.45 Uhr im UNA vorgelegte Vorschlag ist keine Grundlage für eine einvernehmliche Lösung. Er ist der Versuch der öffentlichen Verschleierung der Destruktion der Koalition!
Ich möchte das Problem, über das wir hier reden, mal etwas quantifizieren: Von den ca. 750 Aktenordnern, die der Ausschuss nach langer Wartezeit endlich bekommen hat, sind 222 vertraulich oder geheim.
Ich habe mir hier mal 10 exemplarisch herausgenommen, das waren insgesamt 3629 Seiten. Von diesen waren insgesamt 508 Seiten „Fehlblätter“, also komplett leere Seiten, die noch nachgeliefert werden. Von den übrigen 3121 Seiten enthielten 362 Seiten Schwärzungen.
Das muss man sich mal vorstellen: Knapp 20 Prozent Fehlblätter und über 10 Prozent Schwärzungen! Versuchen sie mal ein Buch zu lesen, in dem 20 % aller Seiten leer und 10% geschwärzt sind. Und zwar immer die spannenden Teile!
Wir haben beantragt, dem Ausschuss unverzüglich alle Akten ungeschwärzt und vollständig zu geben. Eventuelle Schwärzungen müssen zwingend schriftliche und nachvollziehbare Begründungen enthalten!
Der nun von CDU und Grünen gemachte Verfahrensvorschlag ist hingegen völlig unpraktikabel. Jeder Abgeordnete soll persönlich wegen jeder einzelnen Schwärzung einen Termin mit Verfassungsschutz-Mitarbeitern machen? Und mit denen dann jedes einzelne Blatt in hunderten Ordnern durchgehen? Und wenn ich das Entschwärzen lassen möchte, dann muss das verschriftlicht werden und der gesamte Ausschuss über jede einzelne Schwärzung diskutieren und entscheiden? Das ist doch wegen der Masse überhaupt nicht händelbar!
Der Ausschuss und die Fraktionen haben Mitarbeiter zur Seite gestellt bekommen, deren Aufgabe es u.a. ist, die Akten zu lesen und juristische Einschätzungen, z.B. wegen vorgenommener Schwärzungen zu treffen. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind extra sicherheitsüberprüft. Es besteht überhaupt kein sachlicher Grund, diesen Personen die Einsicht in die Akten zu verwehren, außer, man möchte die Aufklärungsarbeit der Fraktionen behindern.
Nebenbei: Die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes – die es hier zu kontrollieren gilt – haben ja auch den Zugang zu allen Akten – ungeschwärzt. Aber eine Behörde steht nicht über dem Parlament!
Die einzige mögliche Begründung für ihr Verhalten ist, dass sie die Aufklärungsarbeit verhindern wollen. Dazu sage ich ganz klar: Das wird Ihnen nicht gelingen!
Ich komme zum Schluss:
Mir fällt kaum etwas ein, was dem „Staatswohl“ mehr schaden würde, als wenn wir diesen NSU Komplex nicht vernünftig aufklären würden, auch um für die Zukunft zu lernen.
Deshalb: Hören Sie auf, das „Staatswohl“ pauschal als Grund für Schwärzungen zu nennen, sondern tragen Sie zur Aufklärung bei und liefern Sie endlich die Akten. Ungeschwärzt.