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schied zum Ende der 19.Legislaturperiode aud dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren parlamentarischen Einsatz.


 
  
 


Reden

Rede zum Antrag der LINKEN: Städte der Zuflucht in Hessen unterstützen – für eine solidarische Asylpolitik statt Abschiebungen und Ausgrenzung von Geflüchteten

Rede von Gabi Faulhaber am 1. Juni 2017 im Hessischen Landtag

 

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Europa rüstet seine Außengrenzen gegen Flüchtlinge auf. An den Landesgrenzen zu Drittstaaten entstehen und entstanden meterhohe Stacheldrahtzäune. Im Mittelmeer patrouillieren die europäische Grenzschutzagentur Frontex und nationale Marineverbände. Flüchtlinge sollen davon abgehalten werden, überhaupt in die Nähe der europäischen Grenzen zu kommen. Zu diesem Zweck kooperiert die Europäische Union mit fragwürdigen Regierungen, z. B. mit Autokraten wie Erdogan oder Warlords in Libyen.

Trotz aller Hürden aber schaffen es schutzsuchende Menschen immer wieder, europäischen Boden zu erreichen. Die meisten Asylsuchenden, die über die Ägäis nach Griechenland kommen, finden sich aber in einer Falle wieder. Eine Weiterreise nach Westeuropa ist kaum noch möglich. Zurück in ihre Herkunftsländer können sie nicht, weil dort Krieg und Verzweiflung herrschen. Tausende Geflüchtete, darunter viele Kinder, verharren unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern auf ägäischen Inseln. Etwa 50.000 Asylsuchende sind es in Griechenland insgesamt.

Meine Damen und Herren, Deutschland hat sich 2015 im Rahmen des europäischen Relocation-Programms verpflichtet, zur Entlastung der Erstaufnahmeländer Griechenland und Italien beizutragen. Eigentlich sollten bis September dieses Jahres 27.000 Personen aufgenommen werden, einreisen konnten bislang allerdings nur 5.000. Zugleich stellen wir fest, dass in Deutschland zahlreiche Unterkünfte leer stehen, die für die Aufnahme von Geflüchteten genutzt werden könnten.

Kapazitäten in den Kommunen werden abgebaut, weil sie nicht gebraucht werden.

Dieser Widerspruch – dass es hier durchaus möglich wäre, mehr Menschen aufzunehmen, auf der anderen Seite aber nur wenige Personen aus den griechischen Elendslagern herausgeholt werden – hat dazu geführt, dass sich momentan in zahlreichen deutschen Städten Initiativen bilden, die eine direkte Aufnahme von Flüchtlingen in ihrer Kommune befürworten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Osnabrücker Initiative „50 aus Idomeni“, das Bündnis „Münster – Stadt der Zuflucht“, oder die hessischen Initiativen wie „200 nach Marburg“ oder „57 – Darmstadt verdoppelt“, deren Vertreterinnen und Vertreter ich hier heute sehr herzlich begrüßen möchte, zeigen, dass viele Menschen in diesem Land mit der aktuellen Asylpolitik der Ignoranz und Abschreckung überhaupt nicht einverstanden sind.

Was diese Initiativen verlangen – ich kenne inzwischen mehr als 100 von ihnen; das sind aber sicher nicht alle –, ist politische Verantwortung über die Einhaltung der Menschenrechte. Sie verlangen, dass Deutschland zumindest die zugesagten Aufnahmen aus Griechenland und Italien erfüllt.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch zahlreiche Gemeindevertretungen werden initiativ. In Darmstadt und Marburg wurden Beschlüsse gefasst, die auf die zügige Umsetzung des Relocation-Programms abzielen.

(Beifall bei der LINKEN)

– Da kann man ruhig einmal klatschen, das finde ich auch.

Der Oberbürgermeister der Universitätsstadt Marburg – das ist der ehemalige Landtagsabgeordnete Dr. Thomas Spies – hat sich an die Landesregierung gewandt. Die Landesregierung hat sein Angebot, weitere Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen, abgelehnt. Erstaunlich ist die Begründung aus dem Sozialministerium: Dort fürchtet man um den Bestand des Flüchtlingsdeals mit der Türkei. Dessen Rahmenbedingungen würden ins Wanken geraten, würde Hessen außerplanmäßig Flüchtlinge von dort evakuieren.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Ach du liebe Güte! – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist eine abenteuerliche Argumentation! – Gegenruf des Ministers Stefan Grüttner: Wieso?

– Ganz genau. – Meine Damen und Herren, die Hessische Landesregierung sollte ihre Asylpolitik keinesfalls am EU-Flüchtlingsdeal mit der Türkei ausrichten.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieses Abkommen missachtet die Menschenrechte, es bringt Tausende von Menschen in ausweglose Situationen und macht Europa erpressbar. Der Deal sollte schnellstmöglich aufgekündigt werden, statt sich daran festzuhalten.

Meine Damen und Herren, es gibt inzwischen zahlreiche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die freiwillig mehr Geflüchtete aufnehmen würden. Sie dringen mit ihrer Stimme nur seltener durch als jene, die Obergrenzen fordern oder Zuzugsverbote.

(Beifall bei der LINKEN – Janine Wissler (DIE LINKE): Allerdings!)

In ganz Europa haben sich Netzwerke von Städten gebildet, die für eine solidarische Flüchtlingspolitik stehen. 160.000 Menschen demonstrierten im Februar in Barcelona für die Aufnahme weiterer Asylsuchender, und mehrere Zehntausend zeigten Anfang dieses Monats in Mailand ihre Solidarität mit Geflüchteten.

Auch in Hessen entstehen zahlreiche Initiativen, die sich der Logik der Ausgrenzung und Abschottung verweigern. Es sind Initiativen wie das „Project Shelter“ in Frankfurt, das „Afghan Refugees Movement“, das „Aktionsbündnis gegen Abschiebung Rhein-Main“ oder die „Initiative Bürgerasyl“ in Hanau.

Ich danke diesen Initiativen für ihr solidarisches und mutiges Handeln. Sie zeigen, dass es auch in Hessen Menschen gibt, die sich an Menschenrechten orientieren und die keine Asylpolitik wollen, bei der Abschiebungen oberste Priorität haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielleicht sollte sich die Landesregierung einmal mit dem Modell auseinandersetzen, das Gesine Schwan von der SPD entwickelt hat. Sie zeigt, wie Kommunen Asylsuchende unmittelbar aufnehmen können, ohne einen starren zentralistischen Verteilungsmodus befolgen zu müssen. Aufnahmebereite Kommunen sollten aus einem EU-Fonds finanzielle Unterstützung erhalten und könnten so ein Integrationsangebot aufbauen. Die Flüchtlinge könnten selbst entscheiden, in welche Stadt sie gehen.

Ein auf Freiwilligkeit basierendes Modell wäre eine gute Alternative zu dem aktuellen Plan der Landesregierung, Flüchtlinge mit Wohnsitzauflagen in Orte zu zwingen, in denen sie nicht leben wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, 2016 war das tödlichste Jahr in der Geschichte der EU-Flüchtlingspolitik. Über 5.000 Menschen sind bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, ums Leben gekommen, und das Massensterben geht weiter. Seit Jahresanfang 2017 sind schon wieder 1.400 Menschen im Mittelmeer ertrunken.

Diese Toten sind nicht die Folge einer Naturkatastrophe. Diese Toten, meine Damen und Herren, sind das wohlkalkulierte Ergebnis einer Flüchtlingspolitik, die auf Abschreckung setzt und bereit ist, dafür über Leichen zu gehen.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Klaus Dietz (CDU))

– Ja, so ist es. – Warum sollten wir diesem Verbrechen weiter zuschauen, Herr Dietz? Wir fordern eine grundlegende Umkehr in der Asylpolitik. Flüchtlinge müssen legal und vor allem sicher nach Europa kommen können. Deswegen fordern wir vom Bund – aber auch hier von der Landesregierung –, Resettlement-Programme, die es schon gibt, substanziell zu erweitern.

(Dr. Frank Blechschmidt (FDP): Es geht doch keiner über Leichen!)

Meine Damen und Herren, ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass das hessische Aufnahmeprogramm für Familienangehörige hier lebender Syrerinnen und Syrer sang- und klanglos eingestellt wurde. Hessen sollte dem Beispiel anderer Bundesländer wie Berlin folgen und das Programm verlängern. Eigentlich müssten auch noch Länder wie der Irak darin aufgenommen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung macht es sich zu einfach. Sie muss die Menschen, die Solidarität vorleben, besser unterstützen. Das gilt z. B. auch für die Bürgen, die jetzt vor Regressforderungen der Jobcenter stehen und für die die Landesregierung keine Verantwortung übernimmt, obwohl sie Zusicherungen gemacht hat, die nun nicht eingehalten werden. Wir sehen die Landesregierung hier in der Verantwortung. Asylpolitik ist eine Frage einer menschlichen Politik. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)