Reden

Aktuelle Stunde der LINKEN: Schulgeldfreiheit für die therapeutischen Heilberufe in Hessen schnellstens realisieren

Aktuelle Stunde der LINKEN am 19.06.19 im Hessischen Landtag

Schulgeldfreiheit für die therapeutischen Heilberufe in Hessen schnellstens realisieren

Christiane Böhm, MdL
Redemanuskript

Wie viele von Ihnen haben den Beruf der Physiotherapeutin, des Logopäden, der Ergotherapeuten und der Podologin gelernt? Wahrscheinlich im Plenum nicht so viele wie auf der Besuchertribüne, die ich begrüße, obwohl wir diese Berufe dringend brauchen. Gerade nach langen Sitzungen sind Nacken- und Rückenschmerzen nicht selten, wir sind froh eine kompetente logo- und ergotherapeutische Unterstützung zu finden nach Operationen oder Schlaganfall, aber auch für unsere Kinder und Enkel. Gerade diese Berufe sorgen für eine konservative Behandlung, die für Krankenkassen wesentlich kostengünstiger ist als eine Operation mit Krankenhausaufenthalt und Reha. Sie ist schonender für die Patientinnen und Patienten. 

Gestern haben wir über die Mindestausbildungsvergütung gesprochen, im ersten Ausbildungsjahr sollen es nach Vorschlag der Bundesbildungsministerin mehr als 600 Euro sein. Davon können die angehenden Heilmittelerbringer*innen nur träumen. 

Statt Geld zu bekommen, müssen sie 400 bis 500 Euro pro Monat als Schulgeld zahlen. Das gilt aber nicht für alle, aber doch für zwei Drittel der Auszubildenden. Sie zahlen für ihre eigene Berufsausbildung. Dies geht aber voll auf ihre Kosten. Sie arbeiten nach der Schule als Bedienung, an der Supermarktkasse, etc. statt die Zeit zu nutzen, um für die anspruchsvolle Ausbildung lernen zu können. 

Wir sind allerdings der Meinung, dass Bildung und Ausbildung kostenfrei sein muss. 

Deshalb fordern SPD und LINKE die Landesregierung auf, diese Ungleichheit schnellstens zu beenden. Wir erwarten von Ihnen ein klares Vorgehen, die vollständige Schulgeldfreiheit der therapeutischen Heilberufe bis spätestens zum Beginn des Ausbildungsjahres 2020/21 in Hessen sicherstellt. 

Wir erwarten aber auch, dass dies nicht so schwierig verläuft wie der Ausgleichs des Schulgeldes bei den Altenpflegeschulen, die immer zu wenig Geld erhielten und immer noch erhalten. 

Die zukunftsfähigen und wichtigen Berufe müssen allerdings umfassend unterstützt werden. Es reicht nicht, mehr Ausbildungskapazitäten zur Verfügung zu stellen und für mehr Nachwuchs zu werben, wenn die Verdienstaussichten so miserabel aussehen wie jetzt.

Eine ausgebildete Physiotherapeutin beispielsweise erhält nach erfolgreicher Ausbildung oder auch Studium und acht Jahren Berufserfahrung lediglich 14,50 Euro brutto. Sie kann sich keine Vollzeiterwerbstätigkeit in ihrem Beruf erlauben, weil sie sonst ihren Lebensunterhalt nicht finanzieren kann. Die Folge ist, sie geht in ein Fitnessstudio und verdient dort nach zwei Wochenendkursen fast das Dreifache.

Ich kann mich noch gut an die Veranstaltung der Gesellschaften für Physiotherapie im Wahlkampf erinnern, einige von Ihnen waren dabei, die uns deutlich geschildert haben, wie elend es um diese wichtigen Berufe steht. Für einen Hausbesuch bekommt die Fachkraft nur 3 Euro. Das bedeutet doch, dass alte und bewegungseingeschränkte Menschen, die eine Behandlung noch dringender nötig haben, oft genug niemanden finden, der ins Haus kommt.

Ich empfinde es als sehr bedrückend, wenn man in Frankfurt eine Praxis schließen muss, weil man keine Mitarbeiter*innen findet, die für das angebotene Gehalt tätig sein können. Sie müssen ja schließlich so viel Einkommen haben, dass sie davon leben können.

Vor kurzem haben wir vor dem Hessischen Landtag eine Gruppe von Radfahrenden verabschiedet, die Brandbriefe nach Berlin gebracht haben. Aus einem Brandbrief möchte ich zitieren: „nach 20 Jahren im Gesundheitswesen habe ich keinen Anspruch auf Rente und bin enttäuscht über das komplette Systemversagen. Ich habe mein Leben dem Gesunderhalten, Pflegen und Fördern von Menschen gewidmet und bin selbst in einer ausweglosen Situation.“

Diese Briefe von vielen Therapeut*innen und Schüler*innen wurden dem Gesundheitsministerium in Berlin übergeben.

Alle Informationen über diese Bund-Länder-Arbeitsgruppe, auf die die Landesregierung verweist und deren Einschätzung sie abwarten will, sind wenig ermutigend. Eine erste, inhaltlich nicht weiter detaillierte, Sitzung des Bund-Länder-Gremiums wurde durchgeführt wurde, der Bundesregierung lagen jedoch vier Monate später noch keine strukturierten Erkenntnisse zur Vorbereitung der Umsetzung in den Bundesländern. Es wäre zumindest zu erwarten, dass in einem ersten Schritt zumindest der Stand der Diskussionen und Vorbereitungen in den Bundesländern erhoben und dokumentiert wird. Es ist ein Armutszeugnis, dass der Informationsaustausch zum Thema „Vorbereitung der Umsetzung der Schulgeldfreiheit“ offensichtlich so schlecht organisiert ist. Das spricht nicht für eine zügige, bundesweite Umsetzung.

Ein weiteres Thema sind die vielen Fortbildungen, die die ausgebildeten Kräfte, die auch noch dafür gezahlt haben, machen müssen, um überhaupt mit den Kassen abrechnen zu können. Auf den Verordnungen stehen nämlich solche Dinge wie manuelle Therapie. Dafür muss man eine zweijährig Ausbildung machen, die mehr als 3000 Euro kostet.

Der GKV-Spitzenverband geht davon aus, dass diese Leistungen fast die Hälfte des Umsatzes mit physiotherapeutischen Leistungen

ausmachen (Positionspapier: Qualität der Heilmittelversorgung verbessern und finanzierbar halten“,

08.06.2016). Die Ausbildung ist also längst nicht mehr aktuell und vermittelt nicht mehr die Kompetenzen, die erforderlich sind, um das Leistungsspektrum abzubilden. Hier gibt es dringenden Handlungsbedarf. Die Ausbildung muss dringend modernisiert werden, da ansonsten auch auf die künftigen Jahrgänge diese Kosten zukommen werden.

Es gibt neben der Schulgeldfreiheit somit weitere Baustellen, die dringend bearbeitet werden müssen, sonst werden wir nicht viel zu wenige Heilmittelerbringer*innen, die diese wichtige Aufgabe erbringen. Dabei habe ich noch nicht von den Verordnungen und den Restriktionen, denen Ärzt*innen bei der Ausstellung unterworfen sind, gesprochen. Alles keine Themen, bei denen man sich als Land einfach raushalten kann und sagen, das müssen die Verbände regeln. Diese stehen starken Krankenkassen entgegen und benötigen Unterstützung durch die Politik. Das erwarten wir auch von der hessischen Landesregierung.

Es gilt das gesprochene Wort.