140x190 barbara cardenasBarbara Cárdenas

hat zum 31.10 2016 Ihr Mandat im Hessischen Landtag aus persönlichen Gründen niedergelegt.

Die Fraktion dankt Ihr für Ihren mehr als achtjährigen parlamentarischen Einsatz.



  


Reden

Rede zum Landesaufnahmegesetz

– Es gilt das gesprochene Wort –


Die Landesregierung will die Pauschalen, die das Land den Gebietskörperschaften für die Aufnahme von Geflüchteten zahlt, anheben, wie sie es bereits Ende vergangenen Jahres angekündigt hatte.

Auch die Sozialdemokraten, die ja in der aktuellen Legislaturperiode nominell eine Oppositionspartei sind, tragen diese Initiative mit.

Nachdem die SPD erst im vergangenen Dezember gemeinsam mit CDU und Grünen Asyl-bezogene Etatanträge zum Haushalt 2016 gestellt hatte, worauf der Kollege Thorsten Schäfer-Gümbel sichtlich stolz war, stellt sich allmählich die Frage, in welcher Rolle sich die hessischen Sozialdemokraten im Gefüge von Regierung und Opposition sehen.

Ganz offensichtlich möchte die SPD mitverantwortlich dafür sein, was in Hessen auf dem Gebiet der Flüchtlingspolitik gemacht wird. Ich finde das ein wenig bedauerlich. Ich hatte bislang den Eindruck, dass nicht nur wir, sondern auch die SPD einen Bedarf sieht für einen grundlegenden Wandel hin zu einer besseren, zu einer menschenwürdigen Asylpolitik in Hessen.

Meine Damen und Herren, die Erhöhung der Pauschalen war schon lange überfällig. Die jahrelange Unterfinanzierung der Flüchtlingsaufnahme hat viele hessische Kommunen in finanzielle Bredouille gebracht und ihnen den politischen Gestaltungsspielraum genommen.

Ich begrüße es daher, dass der Bund sich zu seiner Verantwortung bei der Flüchtlingsaufnahme bekannt hat und sich seit Anfang des Jahres zumindest in Höhe von monatlich 670 Euro je Asylsuchenden an der Finanzierung beteiligen will.

Ich gehe davon aus, dass diese strukturelle Beteiligung des Bundes ein wesentlicher Grund dafür war, dass die Landesregierung nach jahrelanger Verweigerungshaltung gegenüber den Forderungen der kommunalen Spitzenverbände endlich eingelenkt hat.

Meine Damen und Herren, ich bin weiterhin der Ansicht, dass eine vollständige Erstattung der den Kommunen entstandenen Aufwendungen per Einzelnachweis der sachgerechte und bessere Weg wäre.

Denn auch nach der aktuellen Erhöhung decken die Pauschalen nur einen Teil der Kosten ab. Es fehlen etwa Mittel, um Wohnungen und Unterkünfte zu akquirieren - dies können die meisten Kommunen und Kreise nicht aus eigenem Personalbestand leisten. Es fehlen die Mittel für zusätzliches Personal für Verwaltung, für Sachbearbeitung und die Öffentlichkeitsarbeit.

Meine Damen und Herren, wir wissen, dass in den Kommunen in den letzten Jahren massiv Personal abgebaut wurde. Die Ausweitung der genannten Aufgaben führt jetzt dazu, dass andere Aufgaben nicht mehr angemessen erledigt werden können, es zu zahlreichen Überstunden kommt und sich viele kommunale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überfordert fühlen.

Meine Damen und Herren, noch ein Wort zu der Zusammensetzung der Pauschalen. Land und Spitzenverbänden haben für die Sozialbetreuung 30 Euro pro Monat und Flüchtling vereinbart. Eine Sozialarbeiterstunde beim Caritasverband etwa kostet aber 39,50 Euro. Das heißt, nicht einmal eine Stunde pro Monat soll pro Person vorhanden sein. Bei der Fülle an Aufgaben - angefangen von der Belegung und Organisation der Unterkünfte, der Ausstattung der Wohnungen und Zimmer, der Begleitung der Personen und Familien, der Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen etc. – ist kaum vorstellbar, wie die Arbeit unter diesen finanziellen Rahmenbedingungen bewältigt werden soll.

Meine Damen und Herren, problematisch ist nicht nur, was im Gesetzesentwurf steht, sondern auch, was im Entwurf fehlt. In diesem Gesetzesentwurf steht kein Wort zu verbindlichen Mindeststandards, die bei der Unterbringung von Geflüchteten gelten sollen.

Nach wie vor ist es so, dass die Landesregierung jegliche Verantwortung von sich weist, wenn es darum geht, menschenwürdige Kriterien bei der Aufnahme, Unterbringung und Betreuung von Asylsuchenden zu definieren und die Einhaltung dieser Kriterien zu überwachen.

Gerade von der SPD, die im vergangenen Jahr mit einer solchen Initiative an die Öffentlichkeit ging, hätte ich bei diesem Thema mehr Einsatz erwartet, und nicht eine derart vorbehaltlose Unterstützung einer Regierungsinitiative.

Meine Damen und Herren, auch Regelungen im Hinblick auf besonders schutzbedürftige Personen wie Traumatisierte oder Menschen mit Behinderungen sucht man in diesem Gesetzesentwurf vergeblich. Die EU-Aufnahmerichtlinie, die Mindeststandards bei der Unterbringung von schutzbedürftigen Personengruppen setzt, hätte spätestens im Juli 2015 in nationales Gesetz umgesetzt werden müssen. Andere Bundesländer haben im Gegensatz zu Hessen reagiert. Brandenburg etwa hat entsprechende Bestimmungen in seinen Entwurf für ein neues Landesaufnahmegesetz aufgenommen. Wir wissen, insbesondere auf Kinder wirkt sich die monatelange Unterbringung in Lagern und Massenunterkünften katastrophal aus. Räumliche Enge und Lärm  sind für sie extrem belastend. Hinzu kommen ein erhöhtes Infektionsrisiko und die Gefahr von Übergriffen.

Eine Betriebserlaubnis nach dem Kinder- und Jugendhilferecht, die ansonsten in jeder Einrichtung erforderlich ist, in der Kinder untergebracht werden, ist in Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende nicht erforderlich. Kind ist nicht gleich Kind in Deutschland. Ich hätte mir in einer Änderung des Landesaufnahmegesetzes gewünscht, dass eine Regelung aufgenommen wird, die diesen skandalösen Zustand endlich beendet.   

Meine Damen und Herren, Asylsuchende werden in Hessen auf Grundlage von Quoten verteilt, die sich primär an der Einwohnerzahl der jeweiligen Orte orientieren. Die jeweilige Quote verringert sich jedoch gemäß den Bestimmungen der Verteilungsverordnung, je mehr ausländische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in einem Landkreis bzw. einer kreisfreien Stadt wohnen. Ich meine: Hier sind Überfremdungsphantasien ganz offensichtlich zu geltendem Recht geworden. Wir wissen doch alle, dass gerade in Städten und Gemeinden wie Frankfurt, Offenbach und auch Dietzenbach, Kreisstadt im Kreis Offenbach und meine Heimatstadt seit Beginn der 90er Jahre, mit den höchsten Ausländeranteilen in Hessen, die sog. Willkommenskultur oftmals besser ausgeprägt ist als in Städten und Gemeinden mit einem geringen Ausländeranteil. Ich halte diese Regelung für diskriminierend, sie sollte ersatzlos gestrichen werden. Maßgebliche Aspekte bei der der Verteilung sollten vielmehr humanitäre Gründe und persönliche Bedürfnisse der Betroffenen sein.  

Vielen Dank.