140x190 willi van ooyenWilli van Ooyen

schied im Frühjahr 2017 aus dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren langjährigen parlamentarischen Einsatz.
 
   
 

 
  


Reden

Rede zur Frage der Gräberpflege der Sinti und Roma

Rede von Willi van Ooyen am 18. Mai 2016 im Hessischen Landtag

– Es gilt das gesprochene Wort –


Meine Damen und Herren!


Ich halte den grassierenden Antiziganismus und die hiesige wie europaweite Geschichtsvergessenheit, was Sinti-Roma Bevölkerungsgruppen angeht, für schändlich und beschämend.

Die Tatsache, dass die Sinti und Roma seit Jahrhunderten diffamiert, ausgegrenzt, verfolgt, mittels Rassenideologien und „Zigeunerunwesen“,  als „Fahrendes Volk“ geächtet und zwischen den Rädern diverser „Rassenhygieneinstituten“ diffamiert werden, ist keine Vergangenheitsbewältigung.

Diese Bevölkerungsgruppen wurden und werden mit allen Mitteln historisch geächtet und bekämpft, in deren Folge auch jegliche ökonomische, soziale wie auch kulturelle Teilhabe verhindert wurde und wird.

Allein in der Zeit des Faschismus fielen insgesamt geschätzte 500.000 Sinti und Roma unter unmenschlichsten Bedingungen dem systematisch geplanten Rassenwahn zum Opfer. Wir tragen also eine historische Verantwortung gegenüber diesen Menschen, die den Sinti- und Romasbevölkerungsgruppen  angehören. Und wir tragen die Verantwortung,  dass historisch verfestigte  Vorurteile praktisch und faktisch weiterleben.

Deshalb begrüßen wir den Antrag der Landesregierung vom 10.05.2016, der zumindest den Versuch unternimmt, sich dem Problem zuzuwenden. Allerdings haben sich nach unserem Antrag (im Oktober des vergangenen Jahres) die Probleme für die Sinti und Roma verschärft.

Unser Antrag vom 14.10.2015 ging auf die energischen  Bemühungen der Interessenverbände deutscher Sinti und Roma zurück, die ihr Anliegen – auch in Hessen – mehr anerkannt haben wollten und wollen.

In ihrem Antrag vermissen wir jedoch die Bescheidenheit und die Empathie für das Anliegen der Sinti und Roma. Ihr Antrag verschleiert die aktuellen Probleme für diese Bevölkerungsgruppen, indem sie so tun, als sei alles in Ordnung.

 Denn wir tragen selbstverständlich Verantwortung gegenüber der Erhaltung der Gräber der von Faschisten Verfolgten und ermordeten Sinti und Roma. Und wenn wir unserer Pflicht Rechnung tragen, sollte es ebenso als Selbstverständlichkeit behandelt und keine Lobeshymne daraus gemacht werden. Diese Gräber und Gräber von allen Verfolgten des Naziregimes gehören als dauerhaft zu pflegenden Mahnmale zur historischen und politischen Landschaft Deutschlands und unseres kollektiven Gedächtnisses.

Der vom Gräbergesetz vorgesehene Stichtag 13. März 1952 trägt dazu bei, dass paradoxerweise die Gräber von Tätern und deren Angehörigen weiterhin gepflegt werden, während die Gräber von Opfern  fristgemäß beseitigt werden.

Deshalb und aufgrund der seit längerem gestellten Forderung der Interessenverbände deutscher Sinti und Roma fordern wir von der Landesregierung, die für die Pflege, Sicherstellung und Breitstellung hierfür benötigter Mittel.

Dabei darf es sich bei der Bereitstellung von finanziellen Mitteln nicht um eine einmalige Maßnahme handeln. Vielmehr  müssen auch für die kommenden Jahre ausreichende Mittel in den Haushalten eingeplant und Mittel für die Kommunen bereitgestellt werden.

Mit Sorge beobachte ich, wie in unserem Land Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit immer ungehemmter entladen. Mit Wut registriere ich, dass Verantwortliche, ob Politiker oder Medien derartige Stimmungen aufnehmen, bedienen und aufladen.

Zugleich stellen sich viele entschlossen diesen Tiraden entgegen. Ihnen gebührt unser Dank. Sie sind wahre Verfassungsschützer. Denn das Grundgesetz beginnt aus gutem Grund mit: "Die Würde des Menschen ist unantastbar!" Aller Menschen, nicht nur selbsternannter ‚Deutscher'.

Es ist eine Ironie der  Geschichte, dass ausgerechnet die Sinti und Roma, die als Minderheiten so viel Elend erduldet haben, jetzt wieder von der brutalen Abschiebepraxis am meisten betroffen sind.

Den verheerenden Auswirkungen der aktuellen deutschen und europäischen  Außenpolitik und der langen und schmerzhaften Austeritäts- und Abschottungspolitik, dem menschenrechtsverletzenden Grenzregime und der immer mehr rassistischen Abschiebepraxis dürfen wir nicht widerstandslos zusehen.

Die Berichte von Betreuungs- und Beratungsstellen, von kirchlichen Einrichtungen, Verbände, EU-Menschenrechtskommissaren, Amnesty International und Pro Asyl lassen keinen Zweifel zu, dass die Abschiebungen unter äußerst inhumanen und menschenrechtsbeugenden Bedingungen vollzogen werden. Seit der Einstufung von Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien im Sommer 2014 und Albanien, Kosovo und Montenegro im Oktober 2015 als ‚Sichere Herkunftsländer'  sind auch hier die Sinti und Roma die Hauptleidtragenden.

Die mehrfache Diskriminierung lässt diese Menschen verzweifeln. Familien, die seit 20 Jahren hier lebten, werden den Abschiebeeskapaden ausgesetzt. Christliche Gemeinden sind von unter Kirchenasyl Schutzsuchenden überlaufen.

Wir wissen, dass es keine ‚sicheren Herkunftsländer' in den Balkanstaaten gibt.  Zwangsräumungen mit der Folge der Obdachlosigkeit, abgebrannte geplünderte Roma-Siedlungen, Zugangsverweigerung zu sauberem Trinkwasser, Bildung und medizinischer Versorgung in Balkanstaaten sind die Realität.

Und wenn jene Indizien stimmen, was zweifelsohne der Fall ist, wieso werden Familien zu tausend abgeschoben, ohne größere Wahrnehmung der Öffentlichkeit? Wann wollen wir letztendlich mit diesem Ausmaß der Menschenverachtung, Entrechtung und Vernichtung der menschlichen Würde aufhören?

Wir sollten ein Zeichen der Wiedergutmachung setzen. Es wird aber nicht ausreichen, die Gräber der Verfolgten zu würdigen. Aber in Erinnerung an die Opfer und das aktuelle Leid der Sinti und Roma sollten wir alles unterlassen, was die Diskriminierung dieser betroffenen Menschen verlängert.