140x190 willi van ooyenWilli van Ooyen

schied im Frühjahr 2017 aus dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren langjährigen parlamentarischen Einsatz.
 
   
 

 
  


Reden

Schluss mit der Kürzungs- und Verarmungspolitik in Europa

Herr Präsident, meine Damen und Herren

Es ist höchste Zeit für eine Wende in Europa. Eine Wende, die neoliberale Austeritätspolitik und aggressive Troika-Diktate hinter sich lässt!  Zur Einweihung des neuen Prunkbaus der Europäischen Zentralbank im Frankfurter Ostend sagen wir: Es gibt nichts zu feiern an Kürzungspolitik und Verarmung!

Zwanzigtausend Menschen aus ganz Europa haben diese Feierstunde zum Anlass genommen, ihren friedlichen Widerstand gegen diese europäische Krisenpolitik und gegen deren katastrophale Konsequenzen - besonders für die Menschen im europäischen Süden - zum Ausdruck zu bringen.

Diese EZB ist ein wichtiger Akteur in einer Anti-Europa-Koalition, genannt: Troika - oder auch: die Institutionen! Einer Koalition, die Europa nicht stärkt, sondern ruiniert.

Die EZB steht damit für eine Politik, die wir nicht wollen, weil sie Staaten und Menschen zu neoliberaler Verarmung zwingt. Und weil sie Banken und Zockerbuden schützt und zugleich die europäischen Sozialstaaten ruiniert.

Meine Damen und Herren,

Wer die Folgen neoliberaler Austerität studieren will, der schaue auf Griechenland. Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG Metall hat in seiner Rede bei Kundgebung am 18. März auf dem Frankfurter Römer die Situation so beschrieben:

„Die aufgezwungene Austerität hat Griechenland in einen Ausnahmezustand getrieben:

- die Wirtschaft ist seit Beginn der Krise um ein Viertel geschrumpft,

- die Löhne im öffentlichen Sektor wurden um bis zu 50 Prozent gekürzt,

- die Renten um bis zu 45 Prozent

- das Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps,

- Selbstmordraten und Säuglingssterblichkeit sind signifikant gestiegen!

Dieses fatale Zusammenspiel von Wirtschaftskrise und Sozialabbau hat zu einer sozialen und humanitären Katastrophe geführt.“

Und das vollständig Groteske an all dem: das Kaputt-Sparen des griechischen Sozialsystems und der Wirtschaft hat die Staatsverschuldung Griechenlands weiter dramatisch ansteigen lassen. Lag die Verschuldung Griechenlands 2010 bei 120 % der Wirtschaftsleistung, wird sie aktuell bei rund 180 % gesehen.

Sahra Wagenknecht ging auf der Kundgebung auf dem Römerbergscharf mit dem Verhalten von Finanzminister Schäuble ins Gericht:

„Seit Jahren wird die deutsche Bevölkerung von Finanzminister Schäuble belogen. Die deutschen Steuerzahler haben nicht 'den Griechen' geholfen, wie Schäuble behauptet, sondern deutschen und internationalen Banken.

Die Strukturanpassungsprogramme der Troika waren kein Erfolg, wie Schäuble beteuert, sondern eine Katastrophe für die griechische Wirtschaft.

Auch die Frage von Entschädigungszahlungen für Nazi-Verbrechen ist nach Überzeugung anerkannter Juristen keineswegs abschließend geklärt, wie die Bundesregierung wider besseres Wissen versichert. Schäuble sollte endlich wieder auf den Teppich kommen, statt mit respektlosen Vorwürfen die Zukunft der Eurozone und zig Milliarden Euro an deutschen Steuergeldern zu verspielen.“

DIE LINKE ist dem demokratischen Sozialstaat und der internationalen Solidarität verpflichtet. Weil das so ist, freue ich mich über die verschiedenen Aufrufe auch der Gewerkschaften zur Solidarität mit Griechenland.

Im Aufruf des Europäischen Gewerkschaftsbundes heißt es:

„Mit der neuen griechischen Regierung muss ernsthaft und ohne Erpressungsversuche verhandelt werden, um dem Land eine wirtschaftliche und soziale Perspektive jenseits der gescheiterten Austeritätspolitik zu eröffnen. (...) Europa darf nicht auf der Fortsetzung einer Politik zu Lasten der Bevölkerung beharren, die von der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler unmissverständlich abgelehnt wird. Ein »Weiter so« darf es nicht geben!“

Die Griechen haben alles Recht der Welt, sich gegen die Ausplünderung ihres Gemeinwesens zu wehren. Die EZB ist eine öffentliche Institution mit öffentlichen Aufgaben und öffentlicher Verantwortung. Es ist doch absurd: die EZB bedient die Banken mit billigem Geld zu Niedrigstzinsen, und diese geben es als teure Kredite an die Staaten weiter. Die Banken verdienen – und die Staaten bluten – und mit ihnen die Steuerzahler! Das muss aufhören: Die EZB sollte die Staaten ohne die Zwischenschaltung der Märkte finanzieren dürfen – durch direkte Kredite und zu akzeptablen Bedingungen.

Eine umfassende Demokratisierung der EZB ist unverzichtbar: Die EZB muss verpflichtet werden, die Aufbaupolitik demokratisch legitimierter Regierungen zu stützen.

Viele der Probleme in Griechenland sind auch hausgemacht! Sie sind Folge eines Systems, in dem die Eliten die wirtschaftlichen Reichtümer und die politische Macht untereinander aufgeteilt haben. Jahrzehnte lang!

Ich frage:

Warum sollen die Werftarbeiter, die Hotelangestellten, die Kranken, die Rentnerinnen und Rentner und Arbeitslose dafür zahlen? Und vor allem: Warum hilft man der neuen Regierung nicht, mit dieser Vergangenheit zu brechen? Wer die Vergangenheit in Griechenland beklagt, der muss den Neuanfang stützen! Alles andere ist Heuchelei.

Es ist doch offensichtlich: An Griechenland soll ein Exempel statuiert werden. Wer den Ausbruch aus dem Gefängnis der Austerität wagt, wird zur Strecke gebracht. Ein Warnschuss für progressive Bewegungen in anderen Ländern, etwa in Spanien und Portugal.

Der Regierungs- und Politikwechsel in Griechenland ist keine Katastrophe, er ist vielmehr eine historische Chance. Nicht nur Griechenland und die sogenannten Schuldenstaaten, die ganze EU leiden unter dem Austeritäts-Regime. Und deshalb ist die Unterstützung der Griechen keine politische Wohltätigkeit, sondern Solidarität im legitimen Eigeninteresse!

Deshalb haben wir hier in Hessen angefangen, Griechenland-Solidaritätskomitees zu gründen.

Meine Damen und Herren,

Papst Franziskus hat in Evangelii Gaudium dazu geschrieben: „Heute wird von vielen Seiten eine größere Sicherheit gefordert. Doch solange die Ausschließung und die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft und unter den verschiedenen Völkern nicht beseitigt werden, wird es unmöglich sein, die Gewalt auszumerzen. (…) Wenn die lokale, nationale oder weltweite Gesellschaft einen Teil ihrer selbst in den Randgebieten seinem Schicksal überlässt, wird es keine politischen Programme, noch Ordnungskräfte oder Geheimdienste geben, die unbeschränkt die Ruhe gewährleisten können.“

Das ist die bedrückende und nüchterne Wahrheit. Das Recht auf Widerstand ist ein demokratisches Grundrecht! Und es gilt auch in Europa und auch gegenüber der Macht des großen Geldes

Wir stehen zu Europa, zu seiner großen Idee der Überwindung von Grenzen, von Vorurteilen und von Nationalismus. Zu den Idealen der französischen Revolution - zur Idee einer Region des Wohlstandes, der Demokratie und der Solidarität! Und zur Idee der Öffnung nach außen und einer Rolle als ziviler Konfliktschlichter in der Welt.

Deshalb sagen wir auch in diesem Zusammenhang: beendet endlich Kriege und Gewalt, Abrüstung ist das Gebot der Stunde.

Spart endlich – europaweit – an der Rüstung!

Statt eines neuen „Kalten Krieges“ brauchen wir eine neue Entspannungspolitik und eine europaweite Kooperation. Wir wollen keine „Wirtschafts-NATO“ - wie das TTIP

Dies wird das Anliegen der diesjährigen Ostermärsche sein, zu denen ich auch sie in allen Teilen Hessens gerne einlade. Wir müssen Europa umbauen, wir müssen es moralisch, friedlich und demokratisch neu gründen! Europa wird sich wandeln, oder es verspielt seine Zukunft. Ein anderes Europa ist möglich, Schritte in diese Richtung sind benennbar:

Nicht Sozialabbau, Sozialaufbau muss die Leitlinie der Politik werden. Das gilt für die europäischen Länder wie für die Institutionen der EU. Die europäische LINKE hat ein europaweites Investitions- und Aufbau- Programm vorgeschlagen.

Durch dieses könnten Aufbauinvestitionen in bedürftigen Regionen der EU finanziert werden: im Gesundheitssektor, im Feld öffentlicher Dienste und Infrastruktur und nicht zuletzt zum ökologischen Umbau der Industrie!

Und dazu muss das Geld da geholt werden, wo es im Übermaß vorhanden ist – und wo es privaten Luxus, statt gesellschaftlichen Nutzen stiftet! Es ist höchste Zeit für eine radikale Umverteilung zulasten des gigantischen Vermögens- und Kapitalbesitzes! Zum Beispiel durch eine Vermögens- und Erbschaftssteuer. Oder durch eine länderübergreifende Finanztransaktionssteuer. Sie könnte alleine in Deutschland bis zu 44 Milliarden Euro für öffentliche Aufgaben erbringen!

Also: Es fehlt nicht an Alternativen, es fehlt an politischem Willen. Und dieser fehlende Wille wird nicht von alleine kommen. Wir vertrauen nicht allein auf die Kraft des Arguments und gar auf die Einsicht der Herrschenden. Ohne politischen Druck wird sich nichts bewegen!

Oder wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung schrieb: „Das ökonomistische Europa existiert, das sozial-solidarische Europa nicht. Das ist der Mühlstein am Hals der europäischen Zukunft.
Wer davor warnt, dass Sparpolitik nicht die Würde von Menschen und Nationen zerstören darf, der ist kein Depp, sondern ein Europäer. (…)

Europa braucht friedlich-zornige Proteste. Die gerechte Verteilung des Reichtums, den diese fordern, fördert den inneren Frieden.“