140x190 marjana schottMarjana Schott

schied zum Ende der 19.Legislaturperiode aud dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren langjährigen parlamentarischen Einsatz.
  
 
  

www.marjana-schott.de
 


Reden

Rede zur Hausberatung Einzelplan 08 „Kinder in Hessen sollen nicht in Armut aufwachsen müssen“

Rede Marjana Schott am 12. Dezember 2017 im Hessischen Landtag

– Es gilt das gesprochene Wort –


Sehr geehrte Damen und Herren,

es ist schade, dass Sie so lange gebraucht haben, Herr Minister Grüttner, um den Sozialbericht herauszugeben. Vielleicht, ja vielleicht hätten sie nach einer intensiven Diskussion doch noch die eine oder andere Änderung am Sozialhaushalt vorgenommen. Nachdem ich die Empfehlungen der Landesregierung im Bericht gelesen habe, ist meine Hoffnung allerdings gering.

Ja, lassen Sie uns über die Armut von Familien sprechen. Wer Kinder hat, hat ein höheres Risiko arm zu sein. Ganz besonders gilt dies für Alleinerziehende. Bei drei und mehr Kindern haben sie kaum mehr als die Hälfte des Haushaltsnettoäquivalenzeinkommens. Besonders Haushalte mit Kindern zwischen 14 und 18 Jahren sind arm. Dass das kein statistischer Trick ist, wissen alle, die mit Kindern in dem Alter leben oder gelebt haben. Man sieht das deutlich bei den Grundsicherungsleistungen, die für Jugendliche nie ausreichen. Wie wollen Sie mit 35 Euro im Jahr Schuhe für einen jungen Mann kaufen? Kaufen Sie ein Paar billige, dann sind sie schnell kaputt, davon abgesehen, dass sie schlecht sommers wie winters angezogen werden können. Kaufen Sie teurere, wächst er schnell raus. Oder wie wollen sie einen Heranwachsenden mit 140 Euro im Monat mit Essen und Getränken versorgen? Das funktioniert doch nicht. Kinder und Jugendliche kosten Geld und dies wirkt sich auf nicht üppige Familieneinkommen aus. Finden wir dazu Maßnahmen im Haushalt? Fehlanzeige.

Familien mit Migrationshintergrund sind eher arm. Warum wohl? Weil die Eltern oft genug die schlechter bezahlten Jobs übernehmen oder arbeitslos sind.

Arbeit schützt vor Armut nicht. Auch wenn der Job-Boom beschworen wird, viele Menschen verbleiben trotzdem in SGB II Bezug, da das Familieneinkommen nicht zum Überleben reicht. Hier sind allerdings mehr Maßnahmen erforderlich, als wir in einen Haushaltsantrag schreiben können. Wir fordern allerdings, es den Bundesländern Thüringen, Baden-Württemberg und NRW nachzumachen und die passiven Leistungen der Grundsicherung zu nutzen, um Arbeitsplätze im Gemeinwohlsektor zu schaffen. Es wird Zeit, dass die Bundesregierung diesem Konzept zustimmt. Somit könnte ein öffentlicher Beschäftigungssektor geschaffen werden, der notwendige Tätigkeiten – da gibt es vor Ort eine Menge – mit existenzsicherndem Einkommen verbindet.

Sinnvoll wäre es gewesen, wenn Sie unseren Antrag auf einen Landesaktionsplan gegen Kinderarmut aufgegriffen hätten. Zentraler Bestandteil ist die Einführung einer Kindergrundsicherung. Wir müssen garantieren, dass kein Kind und kein Jugendlicher in Hessen unter dem Existenzminimum leben muss. Dieses muss über familienergänzende Leistungen garantiert werden. Natürlich gehört mehr dazu.

Das können Sie in unseren Haushaltsanträgen nachlesen. Wir beginnen bei der Geburt, eigentlich schon vorher. Die Landesregierung muss für den Ausbau Früher Hilfen sorgen. In jeder Stadt, in jeder Gemeinde soll Eltern frühzeitig Unterstützung und Beratung angeboten werden, wenn sie Kinder bekommen oder wenn sie zuziehen.

Das geht weiter bei den Kindertagesstätten. Sie müssen beitragsfrei sein und die Zuwendungen an die Kommunen müssen erhöht werden, ohne das Geld wieder beim KFA abzuziehen. Natürlich geht dies bei den Ganztagsschulen und der kostenlosen Schülerbeförderung weiter.

Auf der kommunalen Ebene, im Land wie in den Schulen ist es notwendig, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auszubauen. Immer noch weigert sich die Landesregierung die Ombudsstelle Kinderrechte mit zu finanzieren. Dabei brauchen Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, sich an Dritte bei Problemen und in Krisensituationen zu wenden.

Sehr geehrte Damen und Herren, ein Umsteuern im Sozialhaushalt ist auch bei dem Umgang mit Flüchtlingen notwendig.

Mit den Asylrechtsverschärfungen der vergangenen Monate wurden drakonische Sanktionsmechanismen eingeführt und Rechtsmittelfristen drastisch verkürzt. Das deutsche Asylrecht mit seinen aufenthaltsrechtlichen Bezügen ist inzwischen selbst für Fachleute schwer durchschaubar.

Mit dieser Rechtsmaterie also müssen Geflüchtete zurechtkommen, selbst wenn sie erst seit wenigen Tagen in Deutschland sind. Dabei hat das Asylverfahren für diese Menschen oftmals existentielle Bedeutung. Erhalten sie keinen Schutzstatus, riskieren sie Abschiebung in Kriegsgebiete und Folterstaaten. Und leider sind die Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht selten fehlerhaft und müssen angefochten werden.

Daher denken wir, dass alle Geflüchteten, die nach Hessen kommen, Zugang zu einer gebührenfreien juristische Beratung haben sollten. Bislang wird diese enorm wichtige Arbeit etwa von Mitarbeitenden des Diakonischen Werks, des Deutschen Roten Kreuz oder von studentischen Initiativen geleistet, ohne dass sich das Land in irgendeiner Form an den Kosten beteiligt.

Wir sehen hier auch das Land in der Pflicht. Es sind Mittel erforderlich für eine unabhängige Asylverfahrensberatung in den hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen und den ihnen zugeordneten Außenstellen, insbesondere für die Vermittlung von Informationen zum Asylverfahrens, für Hilfestellungen bei der Asylantragstellung und Informationen zu Verfahren gemäß der Dublin-III-Verordnung.

Wir denken, dass diese Beratungstätigkeit unterstützt werden sollte durch einen Rechtshilfefonds, damit Asylsuchende bei Bedarf auch gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen können.

In vielen Kommunen Hessens sind Flüchtlinge gezwungen, jahrelang in überfüllten Gemeinschaftsunterkünften zu leben, die oftmals abseits der Wohngebiete liegen. Bedürfnisse von Einzelpersonen oder Familien nach Wohnraum, Privatsphäre und Gemeinschaftsräumen werden kaum berücksichtigt. In diesen beengten Verhältnissen sind Konflikte wegen Lärms sowie um Koch- und Waschgelegenheiten vorprogrammiert. Besonders Kinder leiden unter diesen Verhältnissen.

Für die Landesregierung ist das Thema Unterbringung ein reiner Kostenfaktor, der als Pro-Kopf-Pauschale mit den Gebietskörperschaften ausgehandelt wird. Obwohl die Flüchtlingsunterbringung in die Zuständigkeit des Landes fällt, ist die Verantwortung hierfür an die Kreise und Städte ausgelagert. Eine Bedarfsanalyse, welche Mittel für eine an menschenrechtlichen Standards orientierte Unterbringung erforderlich sind, fehlt komplett. Die Landesregierung muss endlich umdenken, wenn mit der Massenunterbringung von Flüchtlingen integrationspolitische Fehler aus dem Vergangenheit nicht widerholt werden sollen. Deshalb fordern wir verbindliche Mindeststandards für menschenwürdige Aufnahme und eine an diesen Standards orientierte Vollfinanzierung.

Es gäbe sicher mehr zu dem Sozialhaushalt zu sagen, aber auch zu den viel zu geringen Investitionsmitteln für die Krankenhäuser oder die mangelhafte Ausstattung der Altenpflegeschulen, die sich aber auf die Berufeneuordnung vorbereiten müssen. Ich will es damit bewenden lassen.
Zum Schluss möchte ich Prof. Dr. Christoph Butterwegge zitieren:

„Zu einer Zeit, in der Geld nicht bloß so wichtig ist wie noch nie, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, sondern auch so ungleich verteilt ist wie noch nie, weil sich Einkommen und Vermögen stärker als vorher bei einem besonders kapitalkräftigen Bevölkerungsteil konzentrieren, fehlt immer mehr Menschen, die arm oder von Armut bedroht sind, die Möglichkeit zur gesellschaftlichen, politischen und sozialen Partizipation. Wenn man unter Inklusion die gleichberechtigte Teilhabe der Menschen … aller … Wohnbürger am gesellschaftlichen Leben versteht, z.B. an Bildungsprozessen, kulturellen und sportlichen Ereignissen sowie den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen eines Landes, brauchen die Armen zu ihrer Verwirklichung genügend materielle Ressourcen und erheblich mehr Finanzmittel, als sie der Wohlfahrtsstaat … gewährt.“