140x190 marjana schottMarjana Schott

schied zum Ende der 19.Legislaturperiode aud dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren langjährigen parlamentarischen Einsatz.
  
 
  

www.marjana-schott.de
 


Reden

Rede zur Großen Anfrage der SPD „Kinderbetreuung in Hessen“

Rede Marjana Schott am 31. August 2017 im Hessischen Landtag

– Es gilt das gesprochene Wort –

Es fängt schon gut an. Allein auf Seite zwei und drei gibt es acht Fragen ohne Antworten. Die Landesregierung weiß nicht, wie gut Hessen mit Kindertagesstättenplätzen versorgt ist. Da hat sich die Landesregierung mit dem Kifög elegant aus der Affäre gezogen. Jetzt kann sie an Hand der Statistik keiner mehr kritisieren, dass es nicht genügend Plätze gibt.

  1. Platzangebot
Schließlich gibt es ja einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz zumindest bis zum Beginn der Schulpflicht. Immerhin ist bekannt, das ein Viertel der unter Dreijährigen in einer Kindertageseinrichtung betreut wird und 83 Prozent der über Dreijährigen. Interessant ist in dem Zusammenhang der Landkreis Kassel, der demnächst fast 100 Prozent der zweijährigen Kinder in der frühkindlichen Bildung haben will. Diese Anstrengung verdient Hochachtung, wenn man vergleicht, dass es ansonsten nur 54 Prozent sind. Die Bemühungen der Träger und Kommunen, mehr Kinder ab dem ersten Lebensjahr in der Einrichtung zu betreuen, verdienen Unterstützung durch das Land. Alle Kreise haben hier Bedarf angemeldet. Kinder können so frühzeitig die Erfahrung einer größeren Gemeinschaft machen, sie werden von gut ausgebildeten Fachkräften gefördert, sie machen viele neue Erfahrungen, die für ihre Persönlichkeitsentwicklung und den Schulbesuch notwendig ist. Deshalb erstes Ziel: mehr Plätze zur Verfügung stellen und Eltern gewinnen, ihre Kinder in die Kita zu bringen.

  1. Personalquote

Das zentrale Thema bei der Qualität der frühkindlichen Bildung ist der Einsatz von genügend gut qualifiziertem Personal. Es ist durchaus positiv, dass das pädagogische Personal innerhalb von acht Jahren um ein Viertel mehr geworden ist. Allerdings sind die Herausforderungen auch viel größer geworden. Es gibt mehr Kinder unter drei Jahren, die eine höhere Betreuungsquote haben. Kinder sind mehr Stunden in der Kita, somit braucht man auch mehr Personal. Inklusion braucht mehr Personal, Sprachförderung braucht mehr Personal. Da bleibt nicht mehr viel an Qualitätsverbesserung übrig. Es ist ja eher so, dass in den Kommunen, die Schwierigkeiten mit ihrem Haushaltsausgleich und/oder Schulden haben, seit der Einführung des Hessischen Kifög der Personalschlüssel reduziert wird.

Dies führt aber zu einer hohen Belastung des Personals, das dann entweder sich eine andere Arbeitsstelle sucht oder die Arbeitszeit reduziert. Ein Siebtel der Fachkräfte sind auch noch befristet angestellt, was nicht zur Arbeitszufriedenheit und Kontinuität beiträgt. Besonders peinlich ist die Antwort auf die Frage nach dem Fachkräftebedarf und wie ihn die Landesregierung decken will. Erst einmal weiß sie nicht, wie viele gebraucht werden. Ich werde Ihnen diese Arbeit nicht abnehmen, dass sie das aber in ihrem Ministerium nicht leisten können, kann ich nicht glauben. Wobei sich die Landesregierung bereits bei der demografischen Rendite der Schulen verrechnet hat. Ich habe es gestern bereits gesagt, wir werden den Fachkräftemangel nicht beheben, wenn wir nicht die Bedingungen in der frühkindlichen Bildung verbessern. Dazu gehört die Bezahlung, auch die Möglichkeiten, die Ausbildung zu durchlaufen, ohne durch Familie finanziert zu werden. Da gehört aber in erster Linie ein gutes Arbeitsklima mit einer hohen Personalkontinuität und einer guten Personalausstattung dazu. Wenn man in der Arbeit immer auf dem Zahnfleisch läuft, kommt es schneller zu Erkrankungen, zu Mehrbelastungen der Kolleg*innen und in der Folge chronischen Erkrankungen, Kündigungen und Berufswechseln.

Somit kommen wir zu unserem zweiten Ziel: Die Kitas brauchen eine ausreichende Personalausstattung. Das Kifög muss dringend in Bezug auf die Leitungsfreistellung und die mittelbare pädagogische Arbeit nachgebessert werden.

  1. Elternbeiträge
Interessant sind auch die Betreuungszeiten. Mehr als ein Drittel, genau gesagt 36 Prozent, sind für mehr als 45 Stunden in der Woche angemeldet, das wäre dann ein Ganztagsplatz, der hoffentlich auch eine Ganztagsarbeit möglich macht. Die Zahlen zeigen aber auch, dass mindestens 56 Prozent der Eltern auch im nächsten Kita-Jahr ihre Elternbeiträge leisten müssen. Da wird es sich auch mal eine Gemeinde geben, die die Eltern auch für die restliche Zeit frei stellt, aber mehr Gemeinden, die eine Beitragserhöhung planen. Aber sicherlich wird es demnächst mehr Kinder geben, die sechs Stunden Betreuungszeit nutzen.

Es bleiben aber große Unterschiede in Bezug auf die Elternbeiträge im Land. Bei den unterdreijährigen gibt es Unterschiede zwischen 75 Euro und 700 Euro im Monat. Das sind 933 Prozentpunkte. Bei der Überdreijährigen kostet der teuerste Platz ohne Verpflegungsgeld 300 Euro. Da wir wissen, dass einige Kitas kostenfrei sind, lässt sich das schon nicht mehr rechnen. Gleiche oder nur ähnliche Lebensverhältnisse stellt das Land mit dieser Politik nicht her. Witzig finde ich auch die Bemerkung, dass „über die Ausweitung der Beitragsfreistellung im Gesamtkontext der Entwicklungen und Anforderungen in der Frühkindlichen Bildung und Erziehung entschieden werden müsse“. Da war nicht die frühkindliche Entwicklung der Maßstab, sondern der Bundestagswahlkampf und die Landtagswahl im nächsten Jahr.  

Deshalb drittes Ziel: Kitas kostenfrei machen, damit es für Eltern keine finanzielle Frage mehr ist, ob ihr Kind die Vorteile der vorschulischen Bildung nutzen kann.

  1. Kosten der Kitas
Wer trägt sie aktuell? Ich hoffe, wir sind uns einig: vorwiegend die Kommunen. Aus dem Evaluationsbericht wissen wir, dass es durchschnittlich 59 Prozent bei den kommunalen Einrichtungen sind, bei den freien Trägern sind es knapp 50 Prozent. An manchen Orten sind es aber bis zu 75 Prozent der Kosten. Auch wenn das Kifög die Kommunen prozentual leicht entlastet, steigen die Aufwendungen in den Kommunen durch die Bereitstellung von mehr Plätzen und Angeboten. Das ist aber ihre gesetzliche Pflicht. Wie sieht es mit der Gegenfinanzierung dieser Verpflichtung aus? Die Regierungsparteien und die Landesregierung werden jetzt wieder mit nichtssagenden Summen um sich werfen – nur verbal selbstverständlich, nicht mit Geldscheinen. Es ist aber nicht einmal ersichtlich, welche Mittel vom Land und welche vom Bund kommen. Es ist auch keine Nettigkeit, dass das Land die Kinderbetreuung finanziell unterstützt. Schließlich hat es die Aufgabe, die kommunale Selbstverwaltung zu finanzieren und nicht völlig ausbluten zu lassen und die Kommunen zu Taschengeldempfängern zu degradieren, wie es mit Schutzschirm und Hessenkasse gemacht wird. Denn weder aus Gewerbe- und Grundsteuer und auch nicht aus den Elternbeiträgen ist eine gute frühkindliche Bildung zu finanzieren. Immerhin steht in Artikel 137, Absatz 5 zum Thema Kommunale Selbstverwaltung: „Der Staat hat den Gemeinden und Gemeindeverbänden die zur Durchführung ihrer eigenen und der übertragenen Aufgaben erforderlichen Geldmittel im Wege des Lasten- und Finanzausgleichs zu sichern. Er stellt ihnen für ihre freiwillige öffentliche Tätigkeit in eigener Verantwortung zu verwaltende Einnahmequellen zur Verfügung.“ Wenn jetzt die Beitragsbefreiung wiederum teilweise aus dem kommunalen Finanzausgleich finanziert werden soll, und den Kommunen die Elternbeiträge nicht vollständig ersetzt werden, geht die Konnexität vollständig zum Teufel. Da hätte man es doch mal so wie in Rheinland-Pfalz und Thüringen machen und die tatsächlichen Ausfälle durch die Elternbeiträge erstatten sollen.

Ärgerlich finde ich auch die Diskussion um die Drittelfinanzierung, wie sie verläuft. Von den Kommunen wird erwartet und von der Kommunalaufsicht sanktioniert, wenn Eltern nicht ein Drittel der frühkindlichen Bildung finanzieren. Das Land ist aber nicht bereit, sich auf einen eigenen Finanzierungsanteil festzulegen, wie es in einer Antwort auf die Große Anfrage heißt.

Somit haben wir das vierte Ziel: Die Hessische Landesregierung muss eine gute Qualität der frühkindlichen Bildung weitgehendst finanzieren und den Kommunen zur Verfügung stellen.

  1. Thema Inklusion
Gut gefällt mir die Aussage der Landesregierung, dass grundsätzlich jede Tageseinrichtung Kindern mit Beeinträchtigungen offen steht. Das ist selbstverständlich. Tatsächlich finden sie sich aber nur in der Hälfte der Einrichtungen wieder. Aus dem Evaluationsbericht wissen wir, dass innerhalb eines Jahres zwei Prozent der Einrichtungen weniger die Pauschale in Anspruch nehmen. Mit dem Kifög und der Integrationsvereinbarung wurde Inklusion nicht gefördert. Die Pauschale ist oft nicht ausreichend, um die Reduzierung der Gruppengröße auszugleichen. Personal wird nicht gefunden, weil die Maßnahmen auf ein Jahr befristet und sehr kleinteilig sind. Solche Arbeitsverhältnisse sind im Übrigen ein Beispiel dafür, wie oft das Land eine Förderung auf den Weg bringt, die dann zu prekäre Arbeitsbedingungen und im der Folge zu Altersarmut besonders bei Frauen führt.

Die Unsicherheit und Unklarheit ist bei Trägern und Einrichtungen gestiegen. Insgesamt muss man sagen, dass die Regelung unbefriedigend und nicht produktiv ist.

Somit kommen wir zu dem fünften Ziel der Kita-Betreuung: Inklusive frühkindliche Bildung muss tatsächlich alle Kitas in die Lage versetzen, alle Kinder gut zu betreuen und zu fördern.

  1. Elternvertretungen
Mit Bayern, Niedersachsen und Sachsen befindet sich Hessen bei den Landeselternvertretungen mal wieder am hinteren Ende des Fortschritts wieder. Alle anderen Bundesländer haben entweder, wie Berlin bereits seit 20 Jahren, ein solches Gremium oder haben die Voraussetzungen für Elternvertretungen auf regionaler und Landesebene geschaffen. Dass eine Landesvertretung eine örtliche Basis benötigt, ist richtig. Die Landesregierung kann aber ohne Probleme die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen und die Bildung regionaler Zusammenschlüsse unterstützen. Wenn sie das will. Wenn sie nicht befürchtet, dass ihr jetzt auch noch die Landeselternvertretungen für die Kitas auf die Füße treten und Forderungen stellen. Das ist ein sechstes Ziel: Rechtliche und tatsächliche Voraussetzungen für regionale und Landesvertretungen der Eltern schaffen.

Das eine oder andere Ziel würde mich noch einfallen, beispielsweise mehr Pädagogik und weniger Bürokratie, ich vermute aber, dass wir uns demnächst wieder mit diesem Thema beschäftigen werden.