140x190 marjana schottMarjana Schott

schied zum Ende der 19.Legislaturperiode aud dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren langjährigen parlamentarischen Einsatz.
  
 
  

www.marjana-schott.de
 


Reden

Rede zum Setzpunkt der LINKEN „Rechte von Kindern und Jugendlichen ernst nehmen und verwirklichen“

Rede Marjana Schott am 28. Juni 2017 im Hessischen Landtag

– Es gilt das gesprochene Wort –


Sehr geehrte Damen und Herren,

vor 25 Jahren wurde die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland ratifiziert. Den sog. „Ausländervorbehalt“, der ausländische Kinder und Jugendliche von seinen aus der UN-Kinderrechtskonvention resultierenden Verpflichtungen ausschloss, hat die Bundesregierung nach langjähriger Kritik, u.a. vom dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes 2010 zurückgenommen.
Aber wie sieht es aus mit der Umsetzung dieser Konvention im Recht und in der Wirklichkeit?

Im Grundgesetz gibt es nur Aussagen über Kinder, aber nicht für sie, außerdem finden sich in zwei Landesverfassungen keine Kinderrechte. Das sind Hamburg und Hessen.

Sie haben sicher alle in den letzten Tagen den Hessentag besucht. Dort konnten Sie eine deutliche Verletzung der Kinderrechte beobachten. Kinder jeglichen Alters konnten Panzer, Flug- und Fahrzeuge der Bundeswehr erklettern, ihnen wurde der Dienst in der Armee schmackhaft gemacht – und dies in einem ausgedehnten Gelände in Rüsselsheim. Was hat der UN-Ausschuss über die Rechte des Kindes zur Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland am 31.01.2014 beschlossen?

„Die Aufnahme von Kindern in die Bundeswehr sollte nicht vor dem 18. Lebensjahr geschehen. Jegliche Art von an Kinder gerichteten Werbekampagnen der Bundeswehr soll verboten werden.“ Das scheint die hessische Landesregierung aber nicht zu interessieren. Vor Ort wurde das Thema durchaus auch von den eigenen Parteimitgliedern viel kritischer gesehen und die Präsenz der Bundeswehr in Schulen und bei Festen als nicht vereinbar mit Jugendschutz und Kinderrechten angesehen.
DIE LINKE hat Ende März eine Kinder- und Jugendrechtetagung durchgeführt. Dort wurde an Hand von vier Kinder- und Jugendrechten die Diskussion mit Vereinen und Jugendverbänden, Expert*innen aus der Jugendhilfe, aus den hessischen Bildungs- und kommunalen Einrichtungen diskutiert.

Da wäre zuerst das
1. Recht auf Unverletzbarkeit
Hierbei beziehe ich mich auf Artikel 19, den Schutz vor Gewaltanwendung, Misshandlung, Verwahrlosung, der die Staaten auffordert, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen.

Das erinnert mich an die kürzlich stattgefundene Anhörung im Ausschuss für Soziales und Integration des hessischen Landtages, die sich mit den Medikamenten- und Impfversuchen an Heimkindern beschäftigte. Diese haben in den 50er bis 70er Jahren stattgefunden, man weiß vieles nicht darüber und man weiß nicht, wie man einen neuerlichen Missbrauch von Kindern, die schutzbefohlen sind, verhindern kann. Selbst die sehr naheliegende Unterstützung der Ombudsstelle für Kinder- und Jugendrechte wird von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt. Seit 1. Juni arbeitet diese jetzt unter der Trägerschaft des gleichnamigen Vereins unabhängig von Organisationen. Die Information, Beratung und Begleitung von Kindern und Jugendlichen zur Stärkung und Sicherstellung ihrer Rechte - vor allem in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie Pflegefamilien geht leider ohne Unterstützung des Landes weiter. Wenn die Aktion Mensch nicht zwei Jahre lang die Förderung übernehmen würde, wäre Schluss damit gewesen. Die Landesregierung stellt sich hier seit Jahren ohne nachvollziehbare Begründung stur. Wollen Sie in 20 Jahren wieder einen Fonds auflegen, weil herauskommt, dass es zu Menschenrechtsverletzungen kam?

In Hessen fehlt ein Konzept und eine Strategie für eine systematische, fachliche Beratung von Opfern von sexuellem Missbrauch und der Fachberatung von allen, die mit diesen Kindern zu tun haben. In jeder größeren Stadt bzw. zumindestens in jedem Kreis soll eine Fachberatungsstelle mit jeweils drei Beraterinnen vorhanden sein.

Nicht nur in Hessen werden Kinder aus dem Unterricht geholt, um abgeschoben zu werden. Nicht alle Fälle wurden so bekannt, wie die junge Frau aus der Wetterau, der Berufsschüler aus Nürnberg und die in Duisburg geborene 14jährige. Sie werden von der Polizei in der Schule abgeholt, in ein Flugzeug gesetzt und das Herkunftsland ihrer Eltern abgeschoben. Wie sagte es eine Mitschülerin zum Ordnungsamt: "Wie kann das Land etwas tun, das mich am Staat zweifeln lässt?"

2. Recht auf Bildung

Beim Recht auf umfassende Bildung hatte meine Kollegin Gabi Faulhaber in den letzten Plenarsitzungen die Gelegenheit unsere Positionen zu der schlechten Arbeitssituation der Lehrkräfte an den Schulen, den fehlenden Lehrkräften und fehlenden Ressourcen, der mangelhaften Umsetzung der Inklusion, usw. zu kritisieren. Wenn es in Artikel 29 der UN-Kinderrechtskonvention heißt, dass die Bildung des Kindes darauf gerichtet sein muss, die Persönlichkeit, die Begabung und die geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Kindes voll zur Entfaltung zu bringen, dem Kinde Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten zu vermitteln, dann muss sich noch viel in diesem Lande ändern. Kinder müssen die Möglichkeit haben, eine gute frühkindliche Bildung, auch ohne Einschränkung durch den Geldbeutel der Eltern zu erhalten. Sie brauchen Ganztags- und Gesamtschulen mit einer umfassenden Bildung, das Land muss sich bei der Schulsozialarbeit engagieren und kann auch die Integrationskräfte nicht nur auf die Kommunen abladen.

In der Landesverfassung steht die Lernmittelfreiheit. Das Gesetz regelt aber nur eine teilweise Freiheit: Wenn man mal alle Kosten für Kopien, Ausflüge, Klassenfahrten, Lektüren, Lernhefte, Bastel- und Malutensilien in einem Schuljahr zusammenrechnet, kommt man durchschnittlich auf 500 Euro pro Kind und pro Schuljahr. Dies ist ein Thema, zu dem es nicht nur in armen Familien Konflikte gibt, auch Familien mit mittleren und guten Einkommen, werden stark belastet.
Das führt mich zu dem nächsten Kinder- und Jugendrecht, dem

3. Recht auf soziale Sicherheit

Ich habe viele Menschen bei unserem Hessentagsquiz gefragt, wie hoch sie die Kinderarmut in Hessen vermuten. Die meisten waren über die Höhe, 2015 waren es genau gesagt 18,2 Prozent, sehr erstaunt. Wir wissen auch, dass im letzten Jahr diese Zahlen noch gestiegen sind. Dazu gehören sicher besonders viele der Einwandererkinder, die sowie schon besonders armutsgefährdet sind. Allerdings hat sich auch der Anteil der Kinder ohne Migrationshintergrund trotz heute gefeierter Rekordbeschäftigung, die aber meist nur in prekäre und befristete Beschäftigung führt, nur wenig verringert.

Was Kinderarmut heißt, habe ich bereits beim letzten Plenum ausgeführt: es heißt, nicht die Schule zu besuchen, die geeignet wäre, weil der Weg zu weit ist und die Fahrtkosten nicht übernommen werden. Es heißt, jeden Monat zu erleben, dass nicht genug Geld da ist für Lebensmittel, Hygieneartikel und Schulmaterialien. Es heißt, keine Chance auf einen guten Schulabschluss zu haben, weil die Hilfe zu Hause und das Geld für Nachhilfe fehlen. Es heißt, nicht mit den Freund*innen zusammen etwas unternehmen, nicht das Instrument lernen zu können, nicht an der Jugendfreizeit teilnehmen zu können. Kinder und Jugendliche erfahren frühzeitig, was es heißt ausgegrenzt zu werden, weil man nicht das teure Smartphone oder die teuren Klamotten trägt. Sie erleben die Schmach, die letzten bei der schulischen Essensausgabe sein zu müssen, weil die Eltern das Essensgeld nicht mehr übrig hatten und es somit nur dann etwas zu essen gibt, wenn was übrig bleibt.

4. Recht auf Beteiligung

Das vierte Kinderrecht, das wir uns aus vierzig Artikeln als besonders bedeutend ausgewählt haben, ist das Recht auf Berücksichtigung des Kindeswillens. In Artikel 12 der Kinderrechtskonvention heißt es: „Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.“

Zahlen des Statistischen Bundesamtes von Ende 2015 belegen, dass der Anteil der Aufwendungen für die Kinder- und Jugendarbeit an den Gesamtausgaben der Kinder- und Jugendhilfe mit gerade einmal 4,52 Prozent den niedrigsten Wert seit Inkrafttreten des Kinderund Jugendhilfegesetzes erreicht hat – bei gleichzeitig immer weiter steigenden Anforderungen, was Kinder- und Jugendarbeit leisten kann und soll. Das ist unmittelbare Demokratiegefährdung. Ohne die notwendigen Ressourcen kann die Kinder- und Jugendarbeit ihre Rolle als Akteur der Demokratiebildung nicht einnehmen. Das ist insbesondere auch für den Zugang zu von Armut betroffenen Kindern und ihren Familien von Bedeutung, für die etwa Jugendzentren, Ferienmaßnahmen oder andere Angebote wichtige Anlaufstellen sind. Kinder- und Jugendarbeit bietet die Möglichkeit, demokratische Überzeugungen niedrigschwellig zu vermitteln und zu fördern, es können viele Kinder und Jugendliche erreicht werden.

Jugendverbände engagieren sich sehr aktiv, Kinder lernen bereits demokratische Vorgehensweisen, beteiligen sich an Wahlen, übernehmen Verantwortung, sie lernen sich einmischen. Das muss vom Land unterstützt und gefördert werden.

Ich muss zum Schluss kommen. Obwohl es zu jedem Kinder- und Jugendrecht eine Menge mehr zu sagen wäre. Ich hoffe aber, dass die Landesregierung endlich ihre Versprechen ernst macht und das Thema ernst nimmt. Immerhin haben wir mit unserem Setzpunkt schon einen ersten Erfolg erreicht. Die Landesregierung hat vorgestern eine Kinder- und Jugendrechtsbeauftragte berufen: Dr. Katharina Gerarts, Diplom-Pädagogin und ständige Sachverständige der Enquete Kommission „Kein Kind zurück lassen“. Wir wünschen ihr einen guten Start und dass die Landesregierung bald Zeit hat, sie standesgemäß vorzustellen. Immerhin haben wir mit unserem heutigen Antrag schon einmal inhaltlich vorgearbeitet.