140x190 marjana schottMarjana Schott

schied zum Ende der 19.Legislaturperiode aud dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren langjährigen parlamentarischen Einsatz.
  
 
  

www.marjana-schott.de
 


Reden

Rede Marjana Schott zur Regierungserklärung „Neuer Blick aufs Alter – wir geben die passenden Antworten“

Rede Marjana Schott am 30. Mai 2017 im Hessischen Landtag

– Es gilt das gesprochene Wort –


Sehr geehrte Damen und Herren,

„Neuer Blick aufs Alter – wir geben die passenden Antworten.“ Auf welche Fragen, wer hat sie gestellt, der Blick oder das Alter? Da bleiben viele Fragezeichen. Was ist neu? Sicher hat sich die Gesellschaft und damit auch die Rentnergeneration diversifiziert. Aber auch schon ausgangs des 20. Jahrhunderts sind nicht alle mit 60 hochdekoriert und gut situiert in Rente gegangen. Ich erinnere nur an die mageren Frauenrenten. Da sollte man nicht nur die Beamten in den Ministerien im Blick haben, Herr Minister. Was sind passende Antworten? Eine passende Antwort wäre gewesen, dass Menschen, die heute in Rente gehen, genügend Geld zum Leben und genügend Unterstützung im Alter haben. Diese Antwort gab uns die Regierungserklärung aber nicht.

Sehr geehrte Damen und Herren,

schauen wir uns die Politik der Landesregierung zur Seniorenpolitik an. Da wären wir schnell fertig. Es gab eine seniorenpolitische Initiative mit Dialogforen 2011/2012. Ist dazu überhaupt etwas herausgekommen, außer einigen Hochglanzbroschüren? Hätte sich jemand erinnert – außer Frau Dr. Sommer -, die eine kleine Anfrage zum Thema gemacht hat? Sozialminister Grüttner hat uns heute über die Ergebnisse des ergebnisoffenen Dialogs informiert. Es gibt eine Broschüre, man engagiert sich bei der Barrierefreiheit und es gibt einen Wettbewerb mit generationenübergreifendem Kochen. Das war‘s!

Die nächste hervorragende Maßnahme der Landesregierung sind die Seniorenpolitische Blätter. Ich muss zugeben, ich habe sie erst jetzt wahrgenommen, als ich die Rede schrieb. Die Hälfte der vierteljährlichen Publikation ist Werbung für die Landesregierung, erstellt werden sie von der Mediengruppe Menthamedia eine Marke der Finanzpark AG, einem Online-Verlagshaus zu den Themen Börse und Finanzen. Ich möchte Ihnen die Themen der aktuellen Ausgabe nicht vorenthalten:
•    Hessen hat Familiensinn
•    Trauercafés geben Angehörigen wieder Halt!
•    Auch beim Frühjahrsputz an Rücken und Gelenke denken!
•    Mein gutes Recht Waren umtauschen: Was geht – und was nicht?
•    Angst vorm Arztbesuch? Das muss nicht sein!
•    Balkon und Garten frühlingsbunt gestalten: So geht’s
•    Hessentag 2017.

Damit sind sie eine echte Konkurrenz zur Apothekenumschau.

Das Engagement bezüglich des Themas Wohnen im Alter ist immerhin in zwei Publikationen gemündet. Es gibt eine landesweite Wohnberatungsstelle in Kassel mit Schulungen von Multiplikator*innen. Das sind sicher sinnvolle Maßnahmen.

Das Land nimmt die rechtlich festgelegte Betreuungs- und Pflegeaufsicht wahr, gibt den Rahmen für die Altenpflegeausbildung, verleiht die Pflegemedaille und veröffentlicht eine Broschüre sowie ein Internetportal zu Pflegeleistungen. Eine umfangreiche Notfallmappe ist leider nur auf Deutsch vorhanden. Jetzt kommt das Thema Senioren bei Hessen hat Familiensinn. Damit wäre eine Regierungserklärung schon zu Ende.  

Es gibt allerdings tatsächliche Herausforderungen in der Politik für ältere Menschen, schließlich haben wir es mit einer sehr heterogenen Bevölkerungsgruppe zu tun – da hat der Sozialminister durchaus recht, sollte aber den Blick auf alle Bevölkerungsgruppen ausweiten. Da ist die Hochaltrige, die bei ihren Enkeln lebt, da ist der 70-Jährige Chef, der seine Firma nicht im Stich lassen will, da ist die ältere Witwe, die schon längst Grundsicherungsleistungen beantragen müsste, wenn das nicht so schambesetzt wäre, da ist das Ehepaar, das die Hälfte des Jahres in der Türkei oder Marokko lebt, da sind die jungen Alten, die entweder durch die Welt radeln oder vor Ort ehrenamtlich Deutschunterricht für Flüchtlinge machen, da ist aber auch der Demenzerkrankte, den seine Ehefrau nicht mehr pflegen kann und vor der Entscheidung für eine Heimunterbringung steht.

Wie titelt die aktuelle VdK-Zeitung? „Rentner haben weiterhin das Nachsehen. Kürzungsfaktoren und hohe Abschläge bremsen die Alterseinkommen spürbar aus.“

Der VdK weiß, wovon er spricht, wenn die Abschaffung der Abschläge bei den Erwerbsminderungsrenten fordert – im Übrigen gemeinsam mit der LINKEN und die steigenden Zuzahlungen bei Medikamenten kritisiert.  

Dies führt dazu, dass bei den Rentnerinnen und Rentnern die Armut innerhalb von zehn Jahren von 10,7 auf 15,9 Prozent gestiegen ist. Das ist ein Zuwachs um 50 Prozent. Lag die Armutsquote von Rentnerinnen und Rentnern vor zehn Jahren noch weit unterhalb der durchschnittlichen Armutsquote, liegt sie nun seit zwei Jahren bereits darüber – hier irrt der Sozialminister genauso wie bei den Ursachen für Altersarmut. Es trifft nicht nur die von ihm genannten Gruppen, es trifft viele Frauen mit niedrigen Renten aufgrund geringerer Einkommen, es trifft häufig die Generation der in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Eingewanderten, obwohl sie hart gearbeitet hat und es trifft diejenigen, die oft durch die Arbeit krank und erwerbsunfähig wurden. Rentnerinnen und Rentner entwickeln sich zu einer besonderen Risikogruppe der Armut. Es gibt eben viele, die nicht bis 67 arbeiten können und mit Abschlägen in Rente gehen müssen.

Während auch hier im Hause häufig über einen „Missbrauch“ sozialer Leistungen diskutiert wird, bleibt ein sehr viel größeres soziales Problem meist unbeachtet: die Nichtinanspruchnahme sozialer Leistungen. Viele zehntausende Menschen in Hessen haben Anspruch auf Sozialleistungen, ohne ihn geltend zu machen. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Stolz, Scham, die Angst vor einem Unterhaltsrückgriff auf Angehörige, Angst vor Behörden und ihren bürokratischen Abläufen, mangelnde Informationen und vieles andere mehr kann dazu beitragen, dass solche Leistungen nicht beansprucht werden, obwohl die Betroffenen sie bitter nötig hätten. Expert*innen kommen auf eine Dunkelzifferquote von 68 Prozent bei älteren Menschen. (Armutsbericht Parität)

Alles das gilt für die heutigen Rentnerinnen und Rentner. Diejenigen, die ab 2030 in Rente gehen wollen, erhalten nur 43,7 Prozent des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens und werden Altersarmut ganz persönlich kennenlernen. Gerade wenn ihnen in ihrem Erwerbsleben das Geld gefehlt, privat vorzusorgen, wobei dies eher die Gewinne der Versicherungskonzerne als die Alterseinkommen sichert.
Das Rentenniveau muss wieder auf 53 Prozent angehoben werden. Statt einer Deutschlandrente muss jede und jeder eine gesetzliche Mindestrente erhalten, die vor Armut im Alter schützt. Die gesetzliche Rente muss wieder den Lebensstandard sichern, ohne dass die Menschen auf private Vorsorge verwiesen werden. Nach einem harten Arbeitsleben muss man sorgenfrei und in Würde in den Ruhestand gehen können."

Dass das geht, sieht man in Österreich, dort zahlen die Arbeitgeber 12,55 Prozent des Lohns in die Rentenkasse. Dort  gibt es auch eine Erwerbstätigenversicherung. Das heißt, alle Menschen mit Erwerbseinkommen zahlen in die Rentenversicherung ein, auch Selbstständige, Freiberufler, Beamte und selbstverständlich alle Abgeordneten, Minister*innen und Staatssekretäre. Mit 65 geht man abschlagsfrei in die Rente.

In den vergangenen Jahren waren 22 Prozent der Verstorbenen jünger als 70 Jahre. Vor allem die Armen müssen früher sterben. Nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts sterben arme Frauen 8,4 Jahre früher als ihre wohlhabendsten Altersgenossinnen. Die armen Männer müssen sogar 10,8 Jahre eher gehen. Und darum ist jede Forderung nach der Rente erst ab 67 oder noch später zynisch, da sie armen Menschen nicht einmal ein paar Jahre Ruhestand gönnt.

Auch die einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente aus Steuermitteln gibt es in Österreich. Wer in Österreich auch nur einen Cent Rentenanspruch hat, erhält als Single mindestens 1038 Euro Rente, mit mindestens 30 Beitragsjahren sind es sogar 1167 Euro, umgerechnet auf zwölf Monate.

Für solche Reformen sollte sich Hessen auf der Bundesebene stark machen. Bis dahin hat die Landesregierung die Verantwortung, die Folgen der Armut erträglich zu machen. Das bedeutet, sie muss alles dafür tun, dass eine Teilhabe auch für arme Menschen möglich ist. Sie hat gemeinsam mit den Kommunen die Aufgabe, für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Sie muss dafür sorgen, dass Menschen den Zugang zu den ihnen zustehenden Sozialleistungen erhalten, sie muss dafür sorgen, dass Mobilität möglich ist, dass sie barrierefrei und kostenlos ist – evtl. vorübergehend durch eine Teilhabekarte, mittelfristig in Zusammenarbeit mit den Kommunen und den Verkehrsverbünden durch ein Umlageverfahren.

Sehr geehrte Damen und Herren,
die Statistik zeigt deutlich, die ältere – über 65 jährige – Bevölkerung lebt eher in den ländlich strukturierten Regionen Hessens. Dies bedeutet aber, dass sie die volle Wucht der mangelhaften Infrastruktur trifft.

Eigentlich wollte die Landesregierung regionale Atlanten zur gesundheitlichen Versorgung herausgeben. Daraus ist scheinbar nichts geworden.

Somit kann ich auch nur auf die Zahlen vor drei bis vier Jahren eingehen. Schon damals waren fast ein Drittel der Hausärztinnen und –ärzte 60 Jahre und älter. 2017 sollen bereits 1102 Ärztinnen und Ärzte einen Nachfolger suchen und 2020 sollen es 1575 sein. Wenn Hausärzte mit 65 Jahren ihre Praxis abgeben, liegt der Wiederbesetzungsbedarf 2020 bei 40% in Hessen.
Bereits jetzt ist es in nicht wenigen Kommunen schwierig, einen Hausarzt oder -ärztin zu finden, der oder die noch Kapazitäten frei hat und vielleicht auch noch Hausbesuche macht bei bettlägerigen oder nicht mobilen Patientinnen und Patienten. Wenn die bisherige hausärztliche Versorgung nicht mehr funktioniert, erscheint am Horizont die Wunderwaffe der Telemedizin. Ich mir kann mir vorstellen, wenn Assistentinnen bei älteren Menschen vor Ort sind, über Internet Daten überliefern und mit dem Arzt/der Ärztin Kontakt aufnehmen. Ich sage dies bewusst in der weiblichen Form, weil hier wieder eine Berufsgruppe geschaffen wird, die so wenig verdient, dass das nur Frauen machen werden. Es wird aber nur in bestimmten Fällen möglich sein, dass die Seniorinnen und Senioren ihre Daten selbst übermitteln. Die Anzahl der Über-achtzig-Jährigen, die online-Banking machen und mit ihren Enkel*innen chatten, ist noch nicht sehr hoch. Diejenigen sind von Informationen und Zugängen abgehängt, die keinen Internetzugang haben und das sind viele arme Menschen und viele Seniorinnen und Senioren.

Das hilft es nicht, wenn die Tagesschau auf ihre App hinweist, wenn man keine Ahnung hat, was das ist.
Aktuell schließen die Sparkassen viele Filialen in Wohngebieten, auch diejenigen, die nur noch mit einem Terminal ausgestattet sind. Dies führt dazu, dass Senior*innen ihre Geldgeschäfte nicht mehr selbständig erledigen können oder lange, beschwerliche Wege mit Bus und Bahn vor sich haben. Wenn man kein Online-banking benutzen will oder kann, erhöhen sich die Kontoführungsgebühren eklatant. Das trifft Menschen mit geringer Rente. In ihren Stadtteilen und Wohnorten befinden sich keine Einkaufsmöglichkeiten mehr. So sind sie darauf angewiesen, dass Kinder oder Enkel mit ihnen einkaufen gehen oder ihnen die Einkäufe mitbringen, alles dies schränkt die die Selbständigkeit stark ein. Wenn die Kinder und Enkel überhaupt da oder bereit sind. Wenn die nämlich in Hamburg oder Kalkutta leben – heutzutage muss man ja flexibel sein – bleiben nur noch teure Bringdienste oder wenn man Glück hat eine ehrenamtliche Hilfe von der Kirche oder dem Generationenverein.

Hier ist das Land gefordert, für eine gute Infrastruktur zu sorgen und die ärztliche Versorgung sicherzustellen. Wenn sie auch von der kassenärztlichen Vereinigung organisiert werden muss, das Land hat aber die Aufgabe, den Rahmen dafür zu schaffen. Auch für vernünftige Bereitschaftsdienste und wohnortnahe Krankenhäuser. Das tut sie aber nicht. Im ersten Fall will sich die Landesregierung nicht mit der KV anlegen und im zweiten Fall ist der Sozialminister der Meinung, dass kleinere Häuser auf dem Land geschlossen gehören. Das trifft ganz besonders die ältere Bevölkerung.
Flächendeckend in Hessen benötigen Seniorinnen und Senioren Anlaufstellen, wo sie Beratung bezüglich Hilfen und sozialer Fragen erhalten, wo es Angebote für Jung und Alt gibt, wo sie sich an Aktivitäten beteiligen können, wo sie Hilfe zur Selbsthilfe erhalten oder auch nur Treffpunkte sind, wo man, ohne viel Geld ausgeben zu müssen, mal einen Kaffee trinken, ein Gespräch suchen oder ein Gesellschaftsspiel machen kann.

Auch wenn es in – inzwischen hoffentlich allen kreisfreien Städten und Kreisen – Pflegestützpunkte gibt, ist dies nicht ausreichend für eine gute Versorgung. Notwendig ist gerade eine gute Infrastruktur für dementiell Erkrankte und ihre Angehörigen. Hier gibt es mehr Lücken als Versorgung. Da würde eine Informationsreise nach Rheinland-Pfalz die Augen öffnen, was man im Bereich Pflege, Demenzerkrankungen und Pflegewohngemeinschaften alles machen kann und sollte.
Die Landesregierung hat sich im letzten Jahr bei der Änderung des Gesetzes über Betreuungs- und Pflegeleistungen massiv geweigert, die Möglichkeit für ambulante trägerorientierte Wohngemeinschaften zu eröffnen. Ich habe nicht verstanden, was das soll. Wenn der Sozialminister die Anzahl der Anzuhörenden bei der Novellierung des Gesetzes als Beleg anführt, dass das Gesetz sich bewährt hat, frage ich mich: Was hat er mit den zahlreichen Schreiben der Verbände gemacht, die die Politik dringend gebeten haben, das Gesetz so zu ändern, dass trägerorientierte ambulante Wohngemeinschaften eine Chance haben? In den Müll geworfen? Man kann doch nicht so ignorant sein und dies noch als Bestätigung der eigenen Verhinderungspolitik darstellen.

Warum dürfen Hessinnen und Hessen nicht in den Genuss eines betreuten Wohnens kommen, wenn sie älter sind und lieber in einer kleinen Wohnung statt in einem großen Heim leben wollen. Die Atmosphäre in den Pflegewohngemeinschaften entspricht meist eher dem gewohnten Lebens- und Wohnstandard, die Möglichkeiten individuell auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen ist größer. Ich will nicht verhehlen, dass es hier auch Probleme mit genügend ausgebildeten und qualifizierten Personal gibt, hier ist allerdings die Kritik an die gesamte Organisation der Pflege zu richten, die eine eigene Regierungserklärung wert wäre.

Der Kahlschlag beim sozialen Wohnungsbau trifft insbesondere die älteren Mieterinnen und Mieter. Bei 13.000 Wohnungen, die jährlich aus der Sozialbindung herausfallen, hilft es zu wenig, wenn jährlich 3000 neue Sozialwohnungen in Hessen entstehen. Wichtig wäre allerdings, dass diese bezahlbar und barrierefrei wären, beides ist meistens allerdings nicht der Fall. Ältere Menschen leben häufig in großen Wohnungen und Häusern, die sie nicht mehr bewirtschaften können, ein Umzug kommt aber wegen dem großen Aufwand und großen Ängsten nicht in Frage. Hier sollten staatlich organisierte Agenturen, die teilweise auch geförderte Beschäftigung bieten, Abhilfe schaffen, um evtl. Untermietverhältnisse zu vermitteln oder einen Wohnungswechsel zu managen.

Ein Aspekt des Alters ist auch das Angewiesensein auf Pflege, dies trifft etwa 15 Prozent der über 65-jährigen. Dreiviertel werden zu Hause gepflegt, ein Viertel in einer stationären Einrichtung. Mehr als die Hälfte werden ausschließlich von Familienangehörigen gepflegt. Dies geschieht meist neben der eigenen Familie und dem Beruf und ist eine große Herausforderung, gerade dann, wenn dementielle Erkrankungen vorhanden sind. Hier ist eine deutliche Entlastung der pflegenden Angehörigen erforderlich. Die paar Tage, die man frei bekommt, sind völlig unzureichend. Die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf ist selten gegeben. Dies geht meist zu Lasten der Frauen, Töchter, Schwiegertöchter, Nichten und Enkelinnen. Diese leiden oft an Depressionen, Burn-Out, an Muskel- und Skeletterkrankungen, da ihnen nicht die geeigneten Hilfen angeboten werden oder die Familie keine fremden Pflegepersonen akzeptiert. Die Einrichtungen und Pflegedienste, die sich auf Menschen mit Migrationshintergrund eingestellt haben, sind dünn gesät. Die Hilfen für gerade diese pflegenden Angehörigen gibt es so gut wie nicht.

Es gibt in allen Bundesländern inzwischen ein Fachkraftmangel in der Altenpflege. Ein Stellenangebot für eine examinierte Altenpflegefachkraft wird im Bundesdurchschnitt fünf Monate lang nicht besetzt. Das dauert um 70 Prozent länger als bei anderen Berufen. Die Schere zwischen Bedarf und Fachkräften geht weiter auseinander. Dazu kommt, dass viele demnächst in Rente gehen werden. Eine deutliche Mahnung an die Politik wie die Pflegeeinrichtungen ist die Flucht der Beschäftigten in die Teilzeitarbeit, dies sind im stationären Pflegebereich bereits mehr als die Hälfte der Fachkräfte. Nicht einmal die Nachfrage nach Lehrkräften kann in Hessen gedeckt werden, da es keinen eigenen Lehrstuhl dafür gibt.
In den Pflegeeinrichtungen nimmt die Arbeit pro Bewohner*in zu, weil die Menschen erst im späteren Alter in eine stationäre Einrichtung gehen, weil die Krankenhäuser schneller entlassen, weil es mehr demenzerkrankte und multimorbide Bewohnerinnen und Bewohner gibt.

Wenn man denkt, dass sich jetzt das Zahlenverhältnis zwischen Pflegekraft und Bewohner*in entsprechend dieser Anforderungen gebessert hat, sitzt einem Irrtum auf. Es zeigt sich vielmehr, dass die Anzahl der Pflegebedürftigen, die von einer Person in der Pflege und Betreuung zu versorgen ist, von 2,37 innerhalb von zehn Jahren auf 2,46 angestiegen ist. Der Druck in der Pflege nimmt weiter zu, fehlende Kräfte führen zu Arbeitsverdichtung, zu hohen Krankheitsquoten, die zu weiterer Arbeitsverdichtung führen.

Freizeitphasen können nicht mehr eingehalten werden, die Mitarbeiter_innen werden aus der Freizeit gerufen, sie haben keine Möglichkeit mehr für eine Gestaltung ihres Familien- und Privatlebens. Das führt wiederum auch angesichts der unattraktiven Bezahlung dazu, dass sich viel zu Wenige für die Pflegeausbildung entscheiden. Der untaugliche Versuch zur Vereinheitlichung der Pflegeberufe tut ein Übriges dazu, Interessierte von der Pflegeausbildung abzuhalten.

Wir sind gespannt, wie die Landesregierung das Pflegestärkungsgesetz II umsetzen will, das erstmals die Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen normiert. Damit sollte man sich nicht bis zum 30. Juni 2020 Zeit lassen, auch wenn es dann eine andere, hoffentlich sozialere Landesregierung gibt. Wichtig wird es sein, zu kontrollieren und bei Nichteinhaltung zu sanktionieren, die Finanzierung zu sichern und drittens die Umsetzung in den Bundesländern für die Festlegung von Mindeststandards zur Personalbemessung einheitlich gestalten, um einen „Flickenteppich“ von landesgesetzlichen Regelungen zu verhindern.

Besonders stiefmütterlich werden in Hessen die Altenpflegeschulen vom Land behandelt. Wobei diese den Nachwuchs, der so dringend gebraucht wird, gut und umfassend ausbilden soll. Trotz des Altenpflegegesetzes werden den Altenpflegeschulen die angemessenen Kosten nicht erstattet, eine geringe Erhöhung war weder sachgerecht noch ausreichend. Man sollte sich besser an der Förderung der Gesundheits- und Krankenpflege orientieren und den Schulen auf jeden Fall die nicht ausgeschöpften Gelder zur Verfügung stellen. Außerdem braucht man finanzielle Mittel, um über die Ausbildung und den Beruf zu informieren und Seiteneinsteiger*innen die Möglichkeit zu geben, die Ausbildung zu absolvieren.

Es bleiben Fragen, eine davon ist:
Ja, wo ist denn Oma? Der Lehnstuhl ist leer, wenn die Enkelin zu Besuch kommt. Ist Oma beim Flaschensammeln oder bei ihrem Minijob im Supermarkt, um ihre schmale Rente aufzubessern?
Ist das der neue Blick aufs Alter?