140x190 marjana schottMarjana Schott

schied zum Ende der 19.Legislaturperiode aud dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren langjährigen parlamentarischen Einsatz.
  
 
  

www.marjana-schott.de
 


Reden

Klimaschutz in Hessen: Klimaschutz muss sozial und ökologisch sein. Umweltministerin trickst bei CO2-Bilanz

Rede von Marjana Schott am 21. März 2017

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte/r Frau/Herr Präsident/in,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Gäste,

Drei Jahre nach der Ankündigung eines Klimaschutzplans trägt die Umweltministerin nur Absichtserklärungen vor. Ihr Vortrag besteht aus Ankündigungen – eine Agentur hier, Unterstützung dort und Förderungen für die Wirtschaft – selbstverständlich klimaneutral.
• Kein Wort darüber, wo wir bei der Minderung des Treibhausgasausstoßes stehen,
• kein Wort darüber, wie viel Tonen CO2 eingespart werden müssen,
• kein Wort darüber, welche Sektoren wie viel Einsparen müssen,
• kein Wort darüber, wann der Kohleausstieg kommen muss, um die Klimaschutzziele zu erreichen
• und kein Wort darüber, wie wir den Verkehr bis 2050 klimaneutral realisieren wollen.
• keine Strategie, wie sie die Mehrheit der Menschen beim Klimaschutz mitnehmen will.

Wir müssen feststellen:
Bis heute frühe hat die Landesregierung überhaupt noch keinen Plan vorgelegt, den man hätte überprüfen und bewerten können.

Klimaschutz braucht mehr Verbindlichkeit
„Sie werden von uns noch die Entwürfe für ein zweites, ein drittes und ein viertes hessisches Zukunftsenergie- und Klimaschutzgesetz auf den Tisch gelegt bekommen. Denn wir wollen Sie dazu bringen, dass endlich etwas geschieht.“1

1 Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Kurzintervention zur Rede des Abg. Müller (Heidenrod) betreffend Erstes Hessisches Zukunftsenergie- und Klimaschutzgesetz, GesetzEntw Drs 18/350, PlPr 18/10 12.05.2009 S.581-582

Sagte 2009 in diesem Plenarsaal der heutige grüne Minister Tarek Al-Wazir der CDUgeführten
Landesregierung. Neun Jahre später erhalten wir von einer Regierung mit zwei grünen Ministern diese
unverbindliche Ankündigung eines Plans.

Zu Recht haben Sie einen rechtlich verbindlichen Klimaschutz gefordert. Das muss in
ein Gesetz, haben sie gesagt und jetzt schieben sie den Klimaschutz unverbindlich am
Parlament vorbei.

„Klimaschutzministerin“ nannte sich Priska Hinz 2015 in Paris. In der gleichen Tragödie
hatten wir auch schon einmal eine Klimakanzlerin. Wenn Sie nicht konkret werden können, weil Sie sich mit der CDU-Fraktion nicht einigen konnten, wollen wir an dieser Stelle etwas nachhelfen.

Wo stehen wir bei der Verminderung der Treibhausgase?
Bei der Bilanzierung der klimarelevanten Emissionen behauptet die Landesregierung, dass
bereits eine Senkung um 26 Prozent erreicht worden sei.

Bei dieser Rechnung wurden aber – laut Vorstudie zum Klimaschutzplan2 – die Emissionen
für die Stromimporte nach Hessen nicht berücksichtigt. Das ist doch absurd. Stellen Sie sich vor, wir würden in Hessen keine einzige Kilowattstunde erzeugen und den gesamten Strom importieren.

Das Ergebnis in der CO2-Bilanz wäre eine klimaneutrale Stromversorgung. Das ist Bilanzfälschung, was die Landesregierung macht! Bilanziert man auch den importierten Strom, hat Hessen in 24 Jahren laut BUND Hessen erst eine Senkung der CO2-Emisionen um 12 Prozent erreicht, nicht 26.

Wenn wir bis 2025 40 Prozent der CO2-Emisionen einsparen wollen – das ist das Ziel der
Landesregierung – muss der Ausstoß jedes Jahr um dreieinhalb Prozent gesenkt werden.
Aktuell schaffen wir noch nicht mal ein halbes Prozent.

„Ein Plan, ein Ziel: Hessen wird klimaneutral!“
Nur mit Werbesprüchen wird das nicht gelingen!

Bis 2040 muss der CO2-Ausstoß der Industrienationen gegenüber 1990 um 95 Prozent
reduziert werden. Das lässt sich aus dem Pariser Abkommen ableiten, das können Sie – Frau
Ministerin – in der Greenpeace-Studie von 2016 zum Pariser Abkommen3 nachlesen. Es ist
völlig unverständlich, warum die hessische Landesregierung glaubt, 10 Jahre länger Zeit zu
haben. Alle OECD-Länder müssen ihren Treibhausgasausstoß 10 Jahre früher auf null
gebracht haben als der globale Durchschnitt. 2050 gilt nur für Entwicklungsländer.
Sehr geehrte Frau Ministerien, auch wir glauben, dass Hessen noch viel
Entwicklungspotential hat. Aber ein Entwicklungsland ist Hessen sicher nicht.

2 Endbericht Vorstudie Klimaschutzplan 2025 Hessen
3 Greenpeace 2016: Was bedeutet das Pariser Abkommen für den Klimaschutz in Deutschland

Für Hessen gilt daher das Jahr 2040!

Wie wir letzte Woche vom Umweltbundesamt und den Grünen erfahren haben, sind wir
derzeit noch nicht einmal auf einem Reduktionskurs. Der Ausstoß von Treibhausgasen in
2016 hat zu und nicht abgenommen. Der Treiber ist der Zuwachs des Verkehrs, der
gestiegene Verbrauch von Diesel und Kerosin.

Was ist zu tun? Am Frankfurter Flughafen sind knapp die Hälfte aller Passagierflüge kürzer
als 800 Kilometer. Der Anteil der Passagierflüge, deren Ziele mit der Bahn unter vier Stunden zu
erreichen wären, liegt um die 13 Prozent. Ein ökologischer und auch ökonomischer
Wahnsinn, diese 60.000 Flugbewegungen nicht einzusparen. Viele Tausend Tonnen CO2
weniger, weniger Fluglärm und weniger Luftschadstoffe.

Mit 28 Milliarden Euro wird der Luftverkehr jährlich subventioniert4.

Anstatt die Verlagerung von Kurzstreckenflügen umzusetzen, schaut Minister Al-Wazir zu,
wie Fraport die zu hohen Kapazitäten am Frankfurter Flughafen mit Billigfliegern füllt.

Dadurch gibt es noch mehr Kurzstreckenflüge!

Was haben Sie die letzten drei Jahre getan, Herr Minister? Warum - warum schafft es ein
grüner Verkehrsminister nicht, die Fraport, die sich mehrheitlich in öffentlicher Hand
befindet, an einen Tisch mit einem anderen Staatskonzern zu zwingen und sich über ein
Verfahren zur Verlagerung von Kurzstreckenflügen in Deutschland zu verständigen?
In Anbetracht der Herausforderungen brauchen wir größere Würfe und mehr Mut für
Veränderung. Und die heißen Verlagerung von Kurzstreckenflügen und Nulltarif für alle
Hessen_innen. Sozialticket, Schülerticket, Senioren- oder Jobticket usw. Das kann man alles
machen, aber einen wirklichen ökologischen und sozialen Fortschritt mit wenig
Verwaltungsaufwand bringt der aus Steuergeldern, Abgaben oder Umlagen finanzierte
ÖPNV.

Der Nulltarif gehört in den Klimaschutzplan!

Kommen wir zum Kohleausstieg.
Jedes Kohlekraftwerk ist ein Bremsklotz für die Energiewende und eine noch viel schwerere
Last für Klimaschutz und Gesundheit. Die deutschen Braun- und Steinkohlekraftwerke
verursachen aktuell knapp 80 Prozent der gesamten CO2-Emissionen des Stromsektors.
Das Kohlekraftwerk Staudinger muss so schnell wie möglich still gelegt werden. Auch das
haben die Grünen 2008 gefordert. Nach den Berechnungen des WWF vom Januar dieses
Jahres5 muss das Kraftwerk bereits bis 2023 vom Netz.

Verhandeln Sie mit der Betreibergesellschaft! Machen Sie deutlich, dass in spätestens sechs
Jahren mit der Kohleverstromung in Hessen Schluss sein muss! Erarbeiten Sie gemeinsam mit Gewerkschaften und Konzern einen Plan, wie die 170 Beschäftigten des Kohlekraftwerks mit
erhobenem Haupt weiterhin in der Energieversorgung arbeiten können und warten sie nicht
auf den Bund.

4 Umweltbundesamt: Umweltschädliche Subventionen (23.02.2017)
5 Stromsystem – Kohleausstieg 2035; WWF-Studie, Januar 2017

Klimaschutz ist eine ökologische und soziale Herausforderung

Weil wir in den letzten 20 Jahren im Klimaschutz kaum vorangekommen sind, ist die
verbleibende Zeit für ein Umsteuern sehr kurz. Nur fünf Jahre geben uns die meisten
Experten, die entscheidenden Reformen auf den Weg zu bringen. Da hilft nur ein großer
Wurf, nicht zuletzt, um auch anderen Ländern zu zeigen, was möglich ist. Und noch scheint
es möglich, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf unter zwei Grad zu begrenzen.
Wir haben schon lange das Wissen und auch ökonomisch die Möglichkeit, unsere Zukunft
klimaneutral, umweltschonender, gerechter und demokratischer zu gestalten. Und sehr viele
Menschen sind bereit dazu. Die schwarz-grüne Landesregierung deutlich nicht. Sie traut den
Menschen nicht viel zu und nimmt zu viel Rücksicht auf die Profitinteressen von Industrie
und Wirtschaft.

Nur wer Klimagerechtigkeit ernst nimmt und nach Lösungen sucht, die andere nicht
übervorteilen, die Reichtum verteilen und die soziale Schere schließen helfen, hat eine
Chance, Klimaschutz durchzusetzen. Die betrogenen Massen werden die Bemühungen zum
Klimaschutz nicht akzeptieren, wenn sie merken, dass Politik gegen ihre Bedürfnisse steht.
Klimagerechtigkeit ist in dem hessischen Klimaschutzplan ein blinder Fleck.

An keiner Stelle geht die Ministerin auf das Problem ein, dass unser Wirtschaftssystem mit
seiner Wachstumslogik, dem überbordenden Konsum und der Reichtumsverteilung den
Klimawandel befördern.

Die große soziale Ungerechtigkeit und der Klimawandel sind beides Folgen des
Neoliberalismus. Die Deregulierung hat nicht nur die Wirtschaft heißlaufen lassen,
sondern auch das Klima!

Der Neoliberalismus hat die Ungleichverteilung von Reichtum extrem gesteigert. Er ist nicht
nachhaltig, er zerstört unsere natürlichen Lebensgrundlagen genauso wie den sozialen
Zusammenhalt in unseren Gesellschaften.

Die Globalisierungskritikerin Naomi Klein brachte es auf den Punkt, als sie den 25.000
Menschen auf der Frankfurter Blockupy-Kundgebung an die EZB gerichtet zurief – ich
zitiere:
"Ihr seid die wahren Randalierer. Ihr zündet zwar keine Autos an, doch ihr setzt die
ganze Welt in Brand."6

6 Naomi Klein, 18.03.2015 auf dem Frankfurter Römer.

Angesichts der fortgeschrittenen Umweltzerstörung wird es nicht genügen, den Kapitalismus
irgendwie grün zu machen oder einfach zum früheren sozialdemokratischen Modell des
Marktes zurückzukehren.

Papst Franziskus schreibt dazu in seiner Umweltenzyklika – ich zitiere:
„ [...] die Umwelt ist eines jener Güter, die die Mechanismen des Markts nicht in
angemessener Form schützen oder fördern können‘. Wieder einmal ist es gut, eine
magische Auffassung des Marktes zu vermeiden, die zu der Vorstellung neigt, dass
sich die Probleme allein mit dem Anstieg der Gewinne der Betriebe oder der
Einzelpersonen lösen“ [Enzyklika 190]

Einen umfassenden gesellschaftlichen Konsens – meine Damen und Herren – werden wir nur
erzielen, wenn wir mehr Gerechtigkeit bei der Aufteilung der Lasten für den Klimaschutz
haben. Das gilt zwischen den Industriestaaten und den Staaten des globalen Südens genauso
wie innerhalb Deutschlands.

• Die Befreiung vieler großer Firmen von der EEG-Umlage geht überhaupt nicht.
• Dass Automobilhersteller über viele Jahre bei Verbrauch und Schadstoffausstoß
betrügen, in Deutschland aber nicht zur Rechenschaft gezogen werden, ist ein Skandal.
• Dass die vielen Menschen, die in Hessen täglich den ÖPNV benutzen, aber jedes Jahr
steigende Fahrpreise erhalten, ist ungerecht. Die Quittung für ihre umweltfreundliche
Mobilität erhalten sie jedes Jahr beim Fahrplanwechsel. Gleichzeitig werden schwere
Dienstwagen oder Kohleverstromung subventioniert.

Das sind Schieflagen, Fehlanreize und Ungerechtigkeiten, die beendet werden müssen!
Kein Wort dazu in der Regierungserklärung.

Warum dürfen heute noch Wohnungen ohne Solarzellen und solarthermischen Anlagen
gebaut werden? Das geht nicht mehr im Jahre zwanzig nach Kyoto. Warum subventionieren
wir eine klimaschädliche Landwirtschaft, die billige Produkte für den internationalen
Agrarmarkt produziert. In Hessen gemästete Schweine und Hühner zerstören anderswo die
Produktion. Das ist inakzeptabel im Jahre zwei nach Paris. Nein – das war schon immer
inakzeptabel. Und warum diskutieren wir über die Blaue Plakette, um relativ wenigen
Dieselfahrzeugen die Einfahrt in unserer Städte zu verbieten, wo wir ab 2030 ausschließlich
elektrisch, und das vor allem mit Bussen und Bahnen unterwegs sein müssen?

Klimaschutz darf die Gerechtigkeitslücke nicht noch vergrößern. Und das ist möglich, wenn
wir beispielsweise einen ÖPNV für alle aus der Besteuerung von Kapitalgeschäften
finanzieren. Wenn wir die Mehrkosten für öffentlichen Wohnungsbau im Passivhausstandard
aus der Vermögens- oder Erbschaftssteuer finanzieren.

Umverteilung für den Klimaschutz und für mehr soziale Gerechtigkeit. Das ist der Weg,
den wir einschlagen müssen, so gewinnen wir die Menschen für den Klimaschutz!

Der Umbau unserer Infrastruktur für den Klimaschutz muss mit sozialen Verbesserungen,
mehr Lebensqualität und mehr Mitbestimmung für die Mehrheit der Menschen in unserem
Land einhergehen und nicht mit noch mehr Anreizen für die Industrie. Das sind die
Vorrausetzungen, die einen gesellschaftlichen Konsens für den Klimaschutz tragen!

Die Luxusökologie der Grünen verschärft eher die sozialen Gegensätze. Frau Ministerin: Die
Latte-Macchiato-Bourgeoisie am Prenzlauer Berg oder im Frankfurter Nordend ist nicht die
Avantgarde der Klimabewegung. Der Green New Deal mit seiner Wachstumslogik treibt die
Anhäufung von Reichtum weiter voran und verschärft soziale Gegensätze. Das ungebremste
Anhäufen von Reichtum in den Händen weniger ist nicht nur unsozial. Es ist auch
klimaschädlich!

Klimafreundliche Ernährung oder artgerechte Tierhaltung werden nur dann zur
dominierenden Produktionsweise, wenn die Haushaltseinkommen der Putzfrauen, Pförtner und Sicherheitskräfte hoch genug sind, damit sie sich diese Nahrungsmittel auch leisten
können. Und sie werden sich nur dann durchsetzen, wenn die Interessen der mächtigen
Fleisch- und Agrarlobby beschnitten werden. Auch davon haben wir kein Wort gehört.
Umverteilung und soziale Gerechtigkeit sind eine zentrale Voraussetzung für den
Klimaschutz und das nicht nur in Deutschland sondern weltweit.

Was die Koalition aus CDU und Grünen hier vorgelegt hat, ist nicht geeignet die
Klimaschutzziele zu erreichen. Weil die Experten vom Bund für Umwelt und Naturschutz
Hessen gesehen haben, dass die Arbeit des Umweltministeriums nicht zielführend ist, haben
sie einen eigenen Klimaschutzplan für Hessen erstellt.

Dessen Ziele und Maßnahmen sollte sich die Landesregierung zum Vorbild nehmen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

7 BUND Hessen (2017): Klimaschutzplan Hessen 2040