140x190 marjana schottMarjana Schott

schied zum Ende der 19.Legislaturperiode aud dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren langjährigen parlamentarischen Einsatz.
  
 
  

www.marjana-schott.de
 


Reden

Bedarfsdeckende sanktionsfreie Grundsicherung statt Hartz IV – als erster Schritt müssen 2017 die Regelsätze deutlich erhöht werden

Rede von Marjana Schott am 13. Oktober 2016 im Hessischen Landtag

DIE LINKE bringt heute diesen Antrag ein, weil wir an Ihre soziale Verantwortung appellieren wollen, meine Damen und Herren!

Die vom Bundesarbeitsministerium vorgelegten Neuberechnungen der Regelsätze bei Hartz IV und der Sozialhilfe verschlechtern die Lage der betroffenen Menschen und sichern ihnen nicht den notwendigen Lebensunterhalt, wie es Artikel 28 der hessischen Verfassung beschreibt.

Lassen Sie mich hier insbesondere erläutern, warum wir beantragen, dass Hessen im Bundesrat den Änderungen der Regelsätze beim SGB II und SGB XII nicht zustimmen sollte.
Warum wir stattdessen anregen, dass von Hessen eine Bundesinitiative ausgehen soll, die das Existenz- und Teilhabeminimum gewährleistet – also eine bedarfsdeckende Grundsicherung - wie mit Artikel 1 des Grundgesetzes zu vereinbaren ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat der Bundesregierung am 23. Juli 2014 Vorgaben gemacht. Damals wurden zwar die Regelsätze als „derzeit noch mit dem Grundgesetz vereinbar" bewertet. Doch in wesentlichen Punkten verlangte das Gericht, dass der Gesetzgeber dringend nacharbeiten muss.

Und jetzt, da die Regelsätze vom Bundesarbeitsministerium überarbeitet wurden, bestehen die Unterdeckungen in den meisten der genannten Bereiche leider weiter.
Ich möchte nachdrücklich auf die Bedeutung dieser Versäumnisse hinweisen: Die weiterbestehende Unterdeckung schließt mehr Menschen von der gesellschaftlichen Teilhabe aus und verschärft das Armutsrisiko.

Ein wachsender Teil der Bevölkerung ist schon arm oder von Armut bedroht.
In Nordhessen liegt die Armutsquote mit 16,3 Prozent über dem bundesweiten Durchschnitt; in der Rhein-Main-Region beträgt sie 12,5 Prozent. Hartz 4 und Grundsicherung sind also kein Problem von unbedeutenden Randgruppen, die – wie landläufige Vorurteile unterstellen – zu ungebildet und zu faul zum Arbeiten sind und zu viel Alkohol konsumieren.

Von Armut betroffen sind Beschäftigte im Niedriglohnsektor - aber auch Akademiker, die jahrelang nur in Hilfsjobs beschäftigt werden.

Vor allem aber steigen die Kinderarmut und die Armut im Alter.
Im Durchschnitt leben fast 17 % der hessischen Kinder unter 18 Jahren in Familien, die arm sind, das heißt sie verfügen über weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens der Bevölkerung. Gleichzeitig leben mehr als 14 Prozent in Familien, die SGB II Leistungen beziehen, in Städten wie Offenbach, Wiesbaden, Kassel, Frankfurt und Darmstadt bewegt sich die Spanne von 34 bis 20 Prozent. Dabei fällt auf, es sind besonders die Familien mit kleinen Kindern, bei denen die Eltern Grundsicherungsleistungen beantragen müssen. Das ist auch kein vorübergehendes Problem, die Zahlen steigen in Hessen und fast 60 Prozent dieser Kinder sind drei Jahre und länger mit der Situation konfrontiert, dass nie genügend Geld vorhanden ist, um die wichtigsten Bedürfnisse der Familie zu erfüllen.

Und mehr als 14 % der hessischen Rentnerinnen und Rentner gelten als arm. Diese Zahlen werden in dem Maße steigen, in dem Grundsicherungsempfänger_innen in das Rentenalter kommen, da seit einigen Jahren keine Rentenbeiträge mehr für diese abgeführt werden. Bei dieser Personengruppe haben wir den größten Teil an verdeckter Armut. Menschen, die ihr ganzes Leben gearbeitet und für die Gesellschaft aktiv waren, schämen sich zum Sozialamt zu gehen und Grundsicherungsleistungen zu beantragen.
Die Landesregierung betont immer, dass Hessen wirtschaftlich gut da steht. Trotzdem wächst die Gefahr, in Armut abzurutschen.

Meine Damen und Herren,
Einer Verschärfung der Armut und einer weiteren Spaltung der Gesellschaft kann niemand tatenlos zusehen. Es liegt auch in der politischen Verantwortung dieses Landtags, dass eine Sozialpolitik gemacht wird, die Armut verringert.

Das ist mit den vorliegenden Änderungen der Regelsätze im Sozialgesetzbuch nicht der Fall. Diese werden im Übrigen nicht nur von uns kritisiert. Stellvertretend für viele Organisationen und Institutionen der Wohlfahrtspflege möchte ich die Kritik des Deutschen Caritasverbandes zitieren: „Es ist entscheidend, dass die Grundsicherung fair berechnet wird." Der Verband ist aufgrund eigener Berechnungen der Auffassung, dass die Beträge derzeit zu niedrig sind. So sagt der Präsident Dr. Peter Neher: „Der Regelbedarf für Erwachsene sollte um rund 60 Euro pro Monat erhöht werden. Auch dann wäre das Leben der Grundsicherungsempfänger weiterhin von Knappheit geprägt, aber die Erhöhung würde ihnen ein wenig mehr Spielraum in ihrem Alltag verschaffen und den Stress mildern, der dem materiellen Mangel folgt." Ich hoffe, Sie haben mir gerade zugehört, immerhin habe ich den Präsidenten des Caritasverbandes zitiert. Andere Organisationen kommen auf höhere Beträge, die erforderlich sind, alle kritisieren aber den aktuellen Gesetzesentwurf.

Es gibt zwar ein paar kleine Verbesserungen, der Regelsatz für Kinder von 6 bis 14 Jahren wurde erhöht, auch wenn dieser noch nicht ausreichend ist. Ein Teil der Menschen mit Behinderung hat jetzt eine kleine Entlastung. Dennoch bleibt eine wesentliche Unterdeckung bei Behinderten, die alleine, in einer Wohngemeinschaft oder einer Einrichtung leben. Viel schwerer wiegen aber die Probleme bei der Neuberechnung der Regelsätze.

2011 wurde die Referenzgruppe für die Berechnung der Regelsätze geändert. Man nimmt nicht mehr die 20 Prozent der Ärmsten sondern nur 15 Prozent. Einbezogen in diese Referenzgruppe sind die Personen, die Alg-II-Leistungen bekommen, weil ihr Einkommen zu gering ist und die Personen, die keinen Antrag stellen, aber trotzdem arm sind. Allein dieser statistische Eingriff kostet jeden Grundsicherungsempfänger nach Berechnung des Paritätischen 20 Euro im Monat. Dass kein Alkohol und keine Tabakwaren im Regelsatz enthalten sind, dafür bekommt man in manchen Kreisen sicher Applaus. Mein Problem ist allerdings die unredliche Berechnung, es wurde keine Sonderauswertung bei sozusagen enthaltsamen Haushalten vorgenommen, um deren Konsumverhalten zu analysieren. Der Betrag für Alkoholika wurde einfach mit Mineralwasser ersetzt, das um zwei Drittel günstiger ist. Diese Manipulation spart noch einmal 17,44 Euro. In der Kategorie Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen ist man hingegangen und hat gerechnet, was die Referenzgruppe dafür ausgibt und wie viel das Essen kostet, wenn man es zu Hause zubereitet. Und schwupp hat man wieder 19,64 Euro gespart. Das Weltbild einer Bundesregierung, die dies klein gerechnet ist klar: Grundsicherungsempfänger_innen haben sich nicht in Cafés zu treffen oder an Imbissstuben etwas zu essen zu holen, ein Familienbesuch im Restaurant soll für sie unerreichbar sein. Hoffentlich erinnern Sie sich bei ihrem nächsten Arbeitsessen oder Treffen mit Freunden daran, dass es dabei nur um die Aufnahme von Lebensmittel geht. Das sind nur die neuen Änderungen, die nach Berechnung des Paritätischen zu 55 Euro Unterschied Grundsicherung führen. Es hätte nicht zu einer Erhöhung von 5 sondern von 60 Euro kommen müssen.

Jetzt gibt es aber die Positionen, die seit langem unterfinanziert sind.

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben, fortlaufend zu prüfen, ob das Existenzminimum bei den Leistungen für Energie noch gedeckt ist. Die steigende Zahl von Stromabschaltungen, 2014 waren es 352.000 bundesweit, zeigt, dass da etwas nicht stimmt. Energieversorgung ist eine elementare Sache, ohne Strom gibt es kein Licht, oft genug keine Heizung und kein Warmwasser, keine Kühlung und keine Möglichkeit sich Essen oder ein Heißgetränk zuzubereiten. Energiesperren aus Armutsgründen müssen untersagt werden. Die Stromkosten sind aber in den letzen Jahren massiv gestiegen. Nach Berechnungen der Internetvergleichsplattform Check24 muss ein Einpersonenhaushalt bei einem durchschnittlichen Verbrauch etwa 9 Euro mehr ausgeben als der Regelbedarf für Strom vorsieht.

Ich kann Ihnen das für alle Kategorien der Regelsatzberechnung vorrechnen, da fehlt aber die Zeit, deshalb nur noch drei Themen.

32,90 Euro für Verkehrsausgaben ist ein Hohn. Die Bundesregierung geht davon aus, dass ein Grundsicherungsempfänger keinen PKW benötigt. Für die, die arbeiten, gäbe es ja den Mehrbedarf. Fände ich ja wunderbar, wenn man überall in Hessen ohne PKW mobil sein kann. Ganz Sportliche können es ja im Vogelsbergkreis mit dem Fahrrad probieren, beispielsweise einzukaufen oder zum Arzt zu fahren. Dieses müssen sie sich allerdings müssen von irgendjemandem schenken lassen, denn für die Anschaffung sind genau 81 Cent im Monat vorgesehen. Um ein gebrauchtes Fahrrad von 180 Euro zu erstehen, müssten Sie 222 Monate sparen. Im öffentlichen Nahverkehr kommen sie mit dem vorgesehenen Betrag in Höhe von 26,44 Euro aber nicht weit. 2,20 kostet die Fahrt mit der Sammelkarte in Wiesbaden, das heißt, sie können sechs Mal im Monat den Bus benutzen.
Bei der Anschaffung von existenznotwendigen, langlebigen Konsumgütern oder von Brillen gibt es schon nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes eine deutliche Unterdeckung. Da bleibt den meisten nichts anderes übrig, als ein Darlehen aufzunehmen und dieses beim Jobcenter abzustottern und wieder fehlen 30 Euro im Monat mehr.

Aber lassen Sie uns noch zu den Kindern kommen.
Die Berechnung der Kinderregelsätze ist abenteuerlich. Sind es bei den Einpersonenhaushalten immer noch 2206 Haushalte, macht die Referenzgruppe bei den Ehepaaren mit einem Kind bis sechs Jahre nur 243, bis unter 14 Jahre nur 130 und bis 18 Jahre nur 89 Haushalte aus. Sie würden doch jede wissenschaftliche Untersuchung mit einer solchen minimalen Basis als unzureichend zurück weisen. Das Mindeste wäre eine Plausibilitätsüberprüfung, die doch jedem vernünftigen Menschen klar macht, dass einem jungen Mann zwischen 14 und 18 Jahren 35 Euro im Jahr nicht ausreichen, um Schuhe zu kaufen.

Besonders deutlich wird die Bedarfsunterdeckung bei Kindern bis sechs Jahre, bei denen nicht einmal der Regelsatz ab 2017 erhöht werden soll. 2,63 Euro haben Sie zur Verfügung, um das Kind pro Tag mit Nahrung und Getränken zu versorgen. Zwei Eisbällchen in einer Wiesbadener Eisdiele pro Monat sind auch nur dann möglich, wenn noch jemand vier Cent zuschießt. Wie es allerdings möglich sein soll, Toilettenpapier, Papiertaschentücher und ähnliche Hygieneartikel, sprich Windeln, auf 3,87 Euro pro Monat zu begrenzen, das muss mir erst mal jemand zeigen. Eine Packung Windeln kostet durchschnittlich das Doppelte. Und die reicht nicht aus.

Besonders viele Kinder in Ein-Eltern-Familien leben in Armut. Hier gibt es einen besonderen Mehrbedarf aufgrund des Umgangs mit dem anderen Elternteil, dieser wird aber bei der Berechnung der Grundsicherung nicht berücksichtigt. Wie die Initiatorin einer aktuellen Petition so schön schreibt, man kann den Bedarf eines Kindes, das in zwei Haushalten lebt, nicht wie einen Braten aufteilen. Kinderzimmer, Kleidung, Vereinsbeiträge und anderes fallen in beiden Haushalten an und reduzieren sich nicht durch Umgang. Lebt ein Kind in zwei Haushalten, ist das teurer. Der alleinerziehende Elternteil spart keine Fixkosten, während das Kind weg ist. Und der Umgangselternteil braucht Mittel, um das Kind versorgen zu können, wenn es bei ihm ist. Die Sicherung des Existenzminimums von Kindern, die in zwei Haushalten leben, kostet deutlich mehr, als bisher sozialrechtlich anerkannt wird.

Natürlich gibt es zu dem neuen Gesetz noch viel mehr zu sagen. Wie sich die Agenda 2010 auf die Arbeitswelt ausgewirkt hat, darüber habe ich am Dienstag gesprochen. Das Ziel dieses Kleinrechnens von Grundsicherungsleistungen ist es Druck auf die Menschen auszuüben, damit sie sich auch den schlechtesten Arbeitsbedingungen unterwerfen müssen. Andere, die nicht einmal ein Arbeitsangebot bekommen, erfahren die dauerhafte Ausgrenzung aus der gesellschaftlichen Teilhabe.

Wir brauchen eine bedarfsdeckende Grundsicherung, die das Existenz- und Teilhabeminimum sicher stellt.
Es muss überwacht werden, ob die Regelsätze den Grundbedarf für Menschen noch gewährleisten. Dies scheint immer weniger der Fall zu sein, da immer mehr Grundsicherungsempfänger Darlehen bei den Ämtern aufnehmen müssen, immer mehr den Strom abgestellt bekommen, es zu Problemen bei der Mietzahlung kommt, weil das Geld woanders gebraucht wird und Obdachlosigkeit droht oder eintritt.

Meine Damen und Herren,

setzen Sie ein Zeichen für eine Wende in der Sozialpolitik!
Machen Sie sich dafür stark, dass Armut abnimmt und nicht weiter ansteigt.
Lehnen Sie im Bundesrat die Änderungen der Regelsätze beim SGB II und SGB XII ab. Dringen sie auf eine Bundesinitiative, die eine bedarfsdeckende Grundsicherung ausarbeitet und damit dem Verfassungsauftrag gerecht wird!

Es gilt das gesprochene Wort.