140x190 marjana schottMarjana Schott

schied zum Ende der 19.Legislaturperiode aud dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren langjährigen parlamentarischen Einsatz.
  
 
  

www.marjana-schott.de
 


Reden

Rede zum Antrag von CDU/BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend „Verantwortungsvolle Sozialpolitik für alle Menschen“

Rede von Marjana Schott am 19. Mai 2016 im Hessischen Landtag
Drucksache 19/3370

– Es gilt das gesprochene Wort


Sehr geehrte Damen und Herren,

es ist uns durchaus bewusst, dass Ihre Setzpunkte dazu da sind, damit die Landesregierung sich selbst loben kann. Heute liegt uns allerdings ein unterirdisches Zusammenfügen von Dingen, die weder abschließend Sozialpolitik sind noch eine irgendwie geartete Handlungsorientierung oder auch Veränderungsbedarf aufzeigen, vor. Das ist doch Verschwendung von Lebenszeit, was Sie mit uns machen, sehr geehrte Damen und Herren von den Grünen. Ich weiß, Sie müssen auch Ihre Klientel bedienen, dem muss erklärt werden, wie großzügig die Landesregierung dank ihrer Beteiligung geworden ist. Aber alle Erklärungen helfen nicht, alle Wiederholungen machen die Welt und ganz konkret Hessen mit schwarzgrün nicht gerechter.

Da ich aber schon mal hier stehe und mir die Zeit genommen habe, will ich sie nutzen, um Sie auf die Realität aufmerksam zu machen. Nach Ihrer Auffassung sollen wir hier im Landtag festellen, dass auch in einer Gesellschaft mit hohen Sozialstandards weiterhin mit präventiven Maßnahmen gegen Armut und soziale Ausgrenzung und für Chancengerechtigkeit gearbeitet werden muss. Das würde ich ja fast tun, wenn ich auch der Meinung bin, dass hohe Sozialstandards gerade dazu da sind, Armut zu verhindern. Wenn Sie jetzt Schweden oder Norwegen meinen würden, könnte ich Ihnen sogar zustimmen. Wenn wir uns allerdings die Zahlen zu Altersarmut heute und morgen – ab 2030 wird mit 50 Prozent der Bevölkerung gerechnet, die steigenden Armutsquoten in Hessen und insbesondere die hohen Zahlen bei Kindern und Jugendlichen anschauen, ist es zynisch von hohen Sozialstandards zu sprechen, damit grenzen Sie immer größere Teile der Gesellschaft bewusst aus Ihrer Wahrnehmung und Politik aus. Inzwischen sind die Ausgaben für soziale Sicherheit in Deutschland in Prozent zur Wirtschaftsleistung niedriger als im EU-Durchschnitt (Quelle Eurostat), vor uns liegt beispielsweise u.a. die Slowakei. Eine wirklich wirkungsvolle Sozialpolitik würde beispielsweise dazu führen, dass Menschen keine schlechten Arbeitsverhältnisse eingehen und aushalten müssen, aus lauter Angst arbeitslos zu werden und in Hartz IV Bezug abzugleiten. Da kann ich aber nichts erkennen, im Gegenteil, Hartz IV wird in diesem Hause, mal abgesehen von den ganz vorsichtigen Absetzbewegungen bei der SPD, immer noch als gut und sinnvoll angesehen. Gut und wirkungsvoll für die Unternehmer und Arbeitgeberinnen, die Menschen unter Druck setzen können. Aber nicht gut und sinnvoll für Menschen in sozialen Notlagen. Oder wollen Sie uns die Tafeln als wirkungsvolles Sozialsystem verkaufen? Wir sind doch inzwischen mehr bei der Nothilfe als bei gerechter Sozialpolitik angekommen. Dafür bräuchten wir einen höheren Mindestlohn, eine gerechte Besteuerung, bei der die Vermögenden den Sozialstaat finanzieren, damit er funktionsfähig wird.

Aber lassen Sie uns zu Hessen kommen. Ein paar Worte zu den von Ihnen genannten, sogenannten Errungenschaften. Das Sozialbudget wurde erhöht. Wie oft feiern Sie sich dafür? Wenn die Initiativen für jedes Ihrer Hurra-Rufe Geld bekämen, wären sie besser dran. Das Sozialbudget hat nur den Umfang eines Viertels von dem, bevor es durch Koch in der Operation düstere Zukunft gekürzt wurde. Viele Initiativen und Einrichtungen sind nicht mehr da, andere Leistungen werden aus den klammen kommunalen Kassen finanziert. Da ist es zwar schön, dass die Träger das Geld zusätzlich bekommen, reicht aber nicht eine wirkungsvolle Armutsprävention auf kommunaler Ebene aufzubauen.

Auch Kinderbetreuung ist Sozialpolitik, das wäre richtig, wenn das Kifög dafür sorgen würde, dass die Qualität ausgebaut würde. Dies ist aber nicht der Fall. Wenn die meist klammen Kommunen nicht einen Personalschlüssel über dem Kifög zur Verfügung stellen würden, sähe es noch düsterer als jetzt aus. Bereits jetzt sind Erzieher und Erzieherinnen nicht mehr bereit, zu den schwierigen Arbeitsbedingungen zu arbeiten. Dies führt zu weiterem Personalmangel. Die Elternbeiträge entwickeln sich geradewegs nach oben. Ihre viel gepriesene Wahlfreiheit heißt allerdings, das sich Familien entscheiden können, ob Frauen zu Hause bleiben und die Kinder betreuen oder ober ob sie arbeiten und ihr Gehalt in die Kinderbetreuung stecken. Nur einmal möchte ich etwas zu der unsäglichen Familienkarte sagen. Welche Leistungen sind damit verbunden? Es gibt eine Unfallversicherung bis Schuleintritt, eine private Organisation wird beworben, die Babysitter oder Au-pair besorgt, dann gibt es Werbung für Hipp, Fraport, ADAC und viele andere Firmen. Die kostenlose Nummer gegen Kummer des Kinderschutzbundes würde man sicher auch im Internet oder auf Plakaten finden. Es ist eine echte Leistung, für die man sich täglich loben sollte, wie Sie hier für Firmen und gewinnträchtige Vereine staatliche Werbung erbringen.

Dass Sie sich für Ihre Schulpolitik nicht loben sollten, wissen Sie eigentlich selbst, sonst müssten Sie nicht so oft die Maßnahmen wieder zurück nehmen. Selbst die Bertelsmann-Stiftung kritisiert Hessen wegen des minimalen Umfangs des Ganztagsschulangebots, der Pakt für den Nachmittag hilft da nichts und kommt zudem kaum voran. Es gäbe mehr zu sagen zu dem Wildwuchs der Sprachförderprogramme in den Kitas, zu den geringen Kapazitäten für Seiteneinsteigerkurse oder dass Sie es nicht mal gewagt haben, den Schulbesuch für Jugendliche, die neu nach Deutschland kommen, zeitlich auszudehnen. Wenn Sie allerdings behaupten, dass es die individuellen Probleme sind, dass Langzeitarbeitslose keine Stelle finden, finde ich das sehr perfide. Tatsache ist doch, dass es zu wenige Arbeitsplätze für die jeweiligen Arbeitslosen gibt und dann Menschen bevorzugt werden, die nicht so lange aus dem Betrieb raus sind. Weil man weiß, dass Arbeitslosigkeit krank macht. Deshalb muss man Arbeit fördern und nicht Arbeitslosigkeit, das heißt, es müssen Arbeitsplätze gerade im öffentlichen Sektor wieder geschaffen werden statt Arbeitsplätze abzubauen. Sie können in dieser Frage gerne nach Thüringen schauen, diese haben zumindest mal einen Fuß in die Tür bekommen, indem Sie Arbeit statt Arbeitslosigkeit fördern. Sie schaffen es aber nicht einmal ein kleines Arbeitsprojekt für Drogenabhängige zu fördern.

Gute Sozialpolitik würde für Wohnungen sorgen, wir wissen, dass wir bis zum Jahr 2020 40.000 neue Wohnungen in Hessen brauchen.

Für eine gute Sozialpolitik fehlen weitere wichtige Dinge. Sogar im Haushalt steht eine Teilhabekarte, die zwar Armut nicht abbaut, sondern eher die Auswirkungen abmildert, dazu ist aber nichts passiert.

Eine flächendecke Versorgung mit Hebammen und Frühen Hilfen würde genauso dazu gehören. Laut Landesregierung sieht sie sich aber bei der Geburtshilfe überhaupt nicht zuständig. Nicht, dass Herr Grüttner als Entbindungspfleger herhalten sollte, sondern er sollte eher dafür sorgen, dass jede Frau (und jeder Vater) mit einer Hebamme die Geburt vorbereiten, durchführen und nachbereiten kann.

Zu einer guten Sozialpolitik gehört auch eine Jugendhilfe, die genügend Mittel zur Verfügung hat, um präventiv zu arbeiten und nicht die Kommunen in die Situation bringt, dass sie teure stationäre Aufenthalte finanzieren müssen, weil zuvor einfach kein Geld da war, um vorzusorgen. Zu einer guten Sozialpolitik gehört die längst fällige Unterstützung der Ombudsstelle für Kinderrechte, die Kinder und Jugendliche in Jugendhilfefragen unterstützt. Zu einer guten Sozialpolitik gehören unabhängige Arbeitslosenberatungseinrichtungen, damit Menschen ihre Rechte kennen und selbstbewusst ihren Platz auf dem Arbeitsmarkt finden können, wenn es ihn denn gibt. Zu einer guten Sozialpolitik gehört eine Reform aller Programme, die mit der Verwaltung von Arbeitslosigkeit zu tun haben. Wir müssen nicht nur hier weg von der Projektitis, die weder den Betroffenen noch den Mitarbeitenden noch den Trägern dient. Hier wurde ein prekärer Arbeitsmarkt geschaffen, der beim aktuellen Arbeitskräftemangel in diesem Segment besonders schwierig zu organisieren ist. Zu einer guten Sozialpolitik gehören Hilfen für Menschen bei Armut im Alter, gehört eine gute Versorgung von Flüchtlingen mit Wohnungen und Beratungsstellen sowie ausreichenden Sprach- und Integrationsangeboten, zu einer guten Sozialpolitik gehört noch einiges mehr.

Ich möchte enden mit einem Zitat des Armutsforschers Christoph Butterwegge:

„Entweder sind Staat und Gesellschaft bereit, erheblich mehr Geld auszugeben, oder die Kluft zwischen Arm und Reich wird sich drastisch vertiefen. Betreibt die Bundesregierung (und hier können wir die hessische Landesregierung durchaus mit erwähnen) weiterhin Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung, gefährdet sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie.“