140x190 marjana schottMarjana Schott

schied zum Ende der 19.Legislaturperiode aud dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren langjährigen parlamentarischen Einsatz.
  
 
  

www.marjana-schott.de
 


Reden

Regierungserklärung Gesundheit 25.11.14

Herr Präsident,

sehr geehrte Damen und Herren,

kaum ein Handlungsfeld in der Politik ist so vielen Reformen unterworfen, wie die Gesundheitspolitik, wie viele Gesundheitsreformen wir bereits erlebt haben, lässt sich nicht mehr zählen. Dies hat dazu beigetragen, dass der Begriff Reform inzwischen mit Mehrkosten und Verschlechterungen verbunden wird. Wenn ich nur an die unsägliche Debatte um die Praxisgebühr erinnern darf bis diese endlich wieder abgeschafft wurde. Festgestellt wurde, sie hatte keine Steuerungsfunktion, hat lediglich die Arztpraxen beschäftigt und die gesetzlich Versicherten gequält.

Thema: ambulante Versorgung mit Hausärzt_innen

Deutlich wird das Versagen des privatwirtschaftlich organisierten Gesundheitswesens bei der Niederlassung von Ärzt_innen und Psychotherapeut_innen. Es gibt Regelungen für die Niederlassung, die von Anfang der 90er Jahre stammen. Keiner kann so richtig sagen, warum es genau so viele Ärzt_innen pro Einwohner_innen sein soll, man wird darauf verwiesen, dass Herr Seehofer dies einmal einführte. 2012 wurden die Messzahlen und die Einheiten durch den gemeinsamen Bundesausschuss geändert. Jetzt soll auf  1671 Einwohner_innen ein Hausarzt oder eine Hausärztin kommen. Dies funktioniert aber immer weniger, da Medizinstudierende weniger daran interessiert sind, eine Landarztpraxis, selbst wenn sie sich in einer 30.000 Einwohner_innenstadt nahe Frankfurt befindet, zu übernehmen. Da spielen mehrere Gründe eine Rolle: Die soziale und kulturelle Infrastruktur muss stimmen. Ohne Kita, ohne Grundschule keine Arztpraxis, ein Theater sollte ebenfalls am Feierabend erreichbar sein. Gerade Ärztinnen wollen Teilzeit arbeiten und sehen keine Möglichkeit eine 60-Stunden-Woche am Arbeitsplatz zu leisten. Junge Ärzt_innen fühlen sich alleine in einer Praxis überfordert, gerade angesichts besserer Information der Patient_innen und zunehmender Anforderungen, ohne kollegiale Unterstützung eine Praxis zu führen. Ein Arzt, eine Ärztin möchte ein Privatleben haben und nicht alle bekommen ein Darlehen, um eine Praxis mit Ablöse und allen anderen Kosten zu übernehmen.

Dies führt bereits jetzt dazu, dass Menschen Probleme haben einen Hausarzt oder eine Hausärztin in näherer Umgebung zu finden, von einer freien Arztwahl ist dann sowieso nicht mehr die Rede. 16 Mittelbereiche haben bereits eine Versorgung unter 100%, dies reicht bis zu 75% der Normalversorgung. Weitaus problematischer ist allerdings die zukünftige Entwicklung. Nahezu die Hälfte der Hausärzt_innen ist älter als 55 Jahre, bis 2020 werden 40% der Arztpraxen in Hessen eine Nachfolge benötigen. Da reicht es nicht mehr, ein paar Euro zur Verfügung zu stellen, um vier Praxen in besonders benachteiligten Gebieten in Hessen zu fördern, dieser Beitrag der Landesregierung ist nicht einmal der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Es ist viel mehr notwendig gemeinsam mit den Ärztevertretungen und den Universitäten Konzepte für eine Ansiedlung von Allgemeinmediziner_innen zu entwickeln. Mehr Studienkapazitäten und Weiterbildungsstellen sind ein wichtiger Schritt. Interessant finden wir den Aufkauf einer Gemeinschaftspraxis in Oberramstadt durch den Kreistag, solche Ansätze sollen überprüft und den Kommunen die Ressourcen und den Freiraum zur Verfügung gestellt werden, sich für Medizinische Versorgungszentren oder Anstellung von Ärzt_innen einzusetzen.

Die Unterstützung und Entlastung von Ärzt_innen durch qualifiziertes Krankenpflegepersonal wäre ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Hier gibt es ja bereits einige Modelle, da ist es an der kassenärztlichen Vereinigung dies im ganzen Land zuzulassen, so dass die Arbeit dieser – nennen wir sie mal – Gemeindeschwestern und –pflegern - abrechnen zu können.

Fragwürdig ist die Verteilung der Gelder der Krankenversicherten. Hausärzt_innen haben keine Planungssicherheit, die sprechende Medizin wird wesentlich schlechter vergütet als die Apparatemedizin. In Dänemark beispielsweise erhält jeder Arzt, jede Ärztin pro eingeschriebenem Patienten/Patientin einen festen Satz, mit dem sie kalkulieren können.

Thema: ÄBD
Der ärztliche Bereitschaftsdienst war in den letzten Monaten eine Quelle von Protesten, Unterschriftensammlungen, Demonstrationen, Beschlüssen in Gemeindeparlamenten, Gesprächen und vielem mehr. Die kassenärztliche Vereinigung vollzieht mit der Begründung, ansonsten keine Ärzt_innen auf dem Land finden zu können, eine Reform, die auf mehr Widerstand als Zustimmung stößt. Nicht nur Patient_innen sprechen sich gegen die Zumutung aus, in einer Telefonzentrale ihre Krankheitsgeschichte zu erläutern, meilenweit zur nächsten Bereitschaftspraxis zu fahren bzw. nicht zu wissen, an wen man sich eigentlich wenden sollen. Erschwert wird dies durch einen ausgedünnten Personennahverkehr auf dem Land, ohne PKW bzw. jemanden, der sich bereiterklärt im Krankheitsfall zu fahren, ist man angewiesen auf einen Hausbesuch zu warten. Nicht wenige reagieren im Krankheitsfall am Wochenende, indem sie in die Notfallambulanz des nächstgelegenen Krankenhauses gehen. Krankenhäuser und Rettungsdienste bestätigen diese Entwicklung. Das ist aber auch nicht verwunderlich, da gerade im Krankheitsfall viele Menschen nicht in der Lage sind am Telefon zweckdienliche Hinweise zu geben, egal ob Deutsch ihre Muttersprache ist oder nicht. Dies bedeutet aber für die Kliniken, dass ihre Notfallambulanzen für die wirklichen Notfälle verstopft sind, die Wartezeiten extrem lang sind und viele Leistungen nicht abgerechnet werden können. Dies ist eine zusätzliche Belastung für die Krankenhäuser auf dem Lande.

Aber auch die Begründung der KVH ist nicht nachvollziehbar. Zumindest in Südhessen sind es meistens Ärzt_innen, die speziell diese Dienste absolvieren und die anderen zahlen dafür ihren Obolus. Viele Ärzt_innen haben selbst gegen diese „Reform“ protestiert. Die mangelnde Bereitschaft Korrekturen anzubringen ist wenig bürger_innenfreundlich.

Die Kommunen haben sich bereit erklärt hier zu einer Lösung aktiv beizutragen. Sie würden Rettungsdienst- und Bereitschaftsdienstzentralen zusammenlegen und von dort aus die Hausbesuche und Rettungsdiensteinsätze steuern. Es ist sowieso nicht erklärbar, warum parallele Strukturen nebeneinander her existieren. Der Aufwand könnte verringert werden, die lokale Versorgung der Bevölkerung professionell organisiert werden. Dann könnte auch der Rettungsdienst sich seinen eigenen Aufgaben zuwenden und hätte weniger Probleme mit den Einsatzfristen.

Thema: fachärztliche Versorgung

Bei der fachärztlichen Versorgung hat man es sich leicht gemacht. Von einer Unterversorgung wird erst gesprochen, wenn die Versorgung unter 50% gerät, das heißt, wenn weniger als die Hälfte der als ausreichend angesehenen Anzahl von Ärzt_innen im Kreis oder bei spezialisierten Ärzt_innen in einem größeren Einzugsbereich vorhanden ist.

Allerdings tritt selbst diese Form der Unterversorgung – manchmal kommt man sich auch in Hessen vor wie in einem Entwicklungsland – für die Augenärzt_innen im Odenwaldkreis und für Kinderpsychiater_innen in Osthessen und in der Region Starkenburg ein. Während in Osthessen zumindest nach der letzten Statistik kein_e Kinder- und Jugendpsychiater_in niedergelassen ist, fehlen in der Region Starkenburg sieben Kinder- und Jugendpsychiater_innen. Und dies bei zunehmenden psychischen Erkrankungen und Problemen bei Kindern und Jugendlichen. Kein Wunder, dass die Kliniken über den Andrang stöhnen und nicht wissen, wie sie diesem begegnen sollen. Mehr als 20 Kinder- und Jugendpsychiater_innen könnten sich in Hessen noch niederlassen, das wäre eine Steigerung um 50% der tatsächlich tätigen Kolleginnen und Kollegen.

Aber auch bei den Fachärzt_innen haben wir den demografischen Faktor – hier können wir ihn ja mal bemühen. Bis 2020 suchen 33% der Kinderarzt-, 31% der Augen- und Urologie-, 27% der Gynäkologie- und 26 % der HNO-Praxen einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin. Ein Facharzt muss nicht unbedingt im Ort vorhanden sein, allerdings soll er oder sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln innerhalb von einer halben Stunde erreicht werden können. Die Koordination der Facharztbehandlung sollte im Regelfall durch den Hausarztpraxis erfolgen. Dies bedeutet aber, dass die hausärztliche Versorgung so qualifiziert ist, dass es keine unnötigen Überweisungen gibt, dass die Befunde anschließend sorgfältig mit dem Patienten/der Patientin ausgewertet und nächste Schritte festgelegt werden. Dazu ist allerdings eine entsprechende Bezahlung erforderlich, so dass nicht weitere Untersuchungen erfolgen müssen, um die geleistete Arbeitszeit abrechnen zu können.

Thema: Hebammen

Der Start ins Leben ist entscheidend für eine gute Entwicklung. Sind die Eltern von Armut und Krankheiten betroffen, sind sie in der Lage gut mit dem Säugling umzugehen, haben sie die genügend Beistand und Unterstützung, um ihrem Kind einen guten Start zu ermöglichen? Das sind die Fragen, die die Zukunft eines jungen Menschen entscheiden können. Wesentliche Hilfen leisten hierbei die Hebammen, die in der Geburtshilfe tätig sind, aber auch die Familienhebammen. Die Kenntnis über Geburt und alles, was danach kommt, ist aufgrund geringerer Kinderzahlen, aber auch aufgrund der Entfernung zu den Herkunftsfamilien, die meist der geforderten Flexibilität geschuldet ist, in den jungen Familien immer geringer geworden. Die Geburtsstationen der Kliniken und die Hebammen spielen bei Geburtsvor- und nachbereitung eine wichtige Rolle. Jetzt erleben wir aber eine Unterversorgung bei den Hebammen, viele freiberufliche Kolleginnen geben ihre Praxis, ihren Beruf auf, weil sie nicht mehr davon leben können. Einerseits ist die Vergütung wesentlich zu gering, andererseits steigen die Haftpflichtprämien ins Unermessliche, da die Regressforderungen immer höher werden. Nur noch eine Haftpflichtversicherung hat sich bundesweit bereit erklärt dieses Risiko zu versichern, für den nächsten Sommer sind bereits Erhöhungen der Prämien um 20 % angekündigt. Somit werden diese auf ca. 6000 Euro pro Jahr steigen, obwohl der Bundesgesundheitsminister angekündigt hat, dass die Krankenkassen keine Regressforderungen mehr an die Hebammen bzw. deren Versicherungen stellen können. Eine Lösung steht noch aus, diese kann nach aktuellen Erkenntnissen nur in einem Fonds für Haftpflichtschäden bestehen, wie ihn DIE LINKE im Bundestag dieses Jahr beantragt hat. Auch in Hessen gibt es erhebliche Probleme und wir verlieren immer mehr Entbindungsstationen.

Als Linke sind wir sind der Meinung, dass die Versorgung werdenden Mütter und ihrer Kinder im Mittelpunkt der Betrachtung stehen muss und nicht ob es noch wirtschaftlich ist, eine Entbindungsstation zu betreiben. Hier macht sich besonders deutlich, dass der Gesundheitsbereich nicht dem Markt unterworfen werden darf. Das heißt nicht, dass nicht auch wir für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Geld stehen, aber zuerst kommt eben der Mensch und dann das Geld.

Thema: Krankenhäuser

Das gilt auch für unsere Krankenhäuser. Alleine die Betrachtung der Zahlen zu den Krankenhäusern im hessischen Gesundheitsreport macht uns auf eine problematische Entwicklung aufmerksam. Die Bettenzahl sinkt, während gleichzeitig die Anzahl der Fälle steigt, die Verweildauer sank in zwanzig Jahren um mehr als 40%, das ärztliche Personal nimmt zu, das nichtärztliche Personal nimmt ab, wenn auch nicht mehr in dem erschreckenden Maße wie in den Jahren zuvor. Das heißt, es werden wesentlich mehr Patient_innen durch weniger Betten in viel kürzerer Zeit geschleust, nicht umsonst spricht man von blutigen Entlassungen. Während viel operiert wird, ist anscheinend immer weniger Pflegepersonal erforderlich. Das kann mir niemand erklären. Gerade bei einem schnellen Patient_innenwechsel ist das Pflegepersonal stark gefordert. Sie müssen ständig Aufnahmen und Entlassungen vorbereiten und durchführen, sie müssen in kürzester Zeit dafür sorgen, dass alle erforderlichen Untersuchungen und Behandlungen durchgeführt werden können und die Menschen in der Lage sind die Klinik schnell wieder zu verlassen. Kein Wunder, dass es überall Protest und Aktionen von Pflegekräften gibt, auch wenn diese eigentlich keine Kraft und Zeit mehr haben, um ihrem Protest Ausdruck zu geben, da die Arbeitsbelastung über Hand nimmt.

Die Landesregierung verweigert hier hartnäckig, Regelungen für Personalmindeststandards zu treffen. Wir fordern die Landesregierung auf ihre Blockadehaltung aufzugeben und im Interesse der Hessinnen und Hessen dem Preisdruck durch Lohndumping ein Ende zu machen, indem verbindlich Personalstandards geschaffen werden. Qualität in der Behandlung und Pflege und Hygiene können nur mit mehr Personal sichergestellt werden. Alle Studien weisen das nach.

Stattdessen gehören nach dem DAK-Report  2012 die Pflegeberufe erneut zu den Branchen mit höchsten Krankenständen mit steigenden Ausfallzeiten durch psychische Erkrankungen sowie Muskel- und Skeletterkrankungen, die nicht selten in dauerhafter Erwerbsunfähigkeit enden.

Das heißt der Mangel an Pflegekräften bzw. die eingesparten Kräfte gehen zu Lasten der Beschäftigten und der Patientinnen und Patienten. Der Abbau von Pflege- und sonstigem Personal ist die Möglichkeit, die die unterfinanzierten Öffentlichen und die profitorientierten Privaten nutzen, um Kosten zu senken. 43 % der Allgemeinkrankenhäuser arbeiten defizitär, bei den kleinen Häusern mit bis zu 250 Betten sind es 57%.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Hier geht es um die originäre Landesaufgabe zur Versorgung der Bevölkerung. Mit der letzten Novellierung des Landeskrankenhausgesetzes hat Hessen allerdings die Planungsmacht abgegeben, das Budget gedeckelt und budgetiert. Damit hat es sich jeglicher Verantwortung und Planungshoheit entzogen. Die Krankenhäuser sind bezüglich der Investitionsmittel chronisch unterfinanziert.  Der Anteil der Krankenhausfinanzierung der Länder ist auf knapp 4 Prozent gesunken. Laut Ärztezeitung werden die Länder für Krankenhausbauten und die Anschaffungen medizinischer Großgeräte 2014 zusammen voraussichtlich weniger als drei Milliarden Euro aufwenden. Das sind nach Ansicht von Krankenhausvertretern mindestens drei Milliarden Euro im Jahr zu wenig.

Ökonomen des Rheinisch Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung gehen davon aus, dass sich der Investitionsstau in den Kliniken bereits auf mehr als 15 Milliarden Euro beläuft, die Krankenhausgesellschaft spricht sogar von 50 Milliarden Euro. In Zeiten des Schuldenbremsendogmas gleicht auch Hessen diese Last nicht aus.

Vor dem Hintergrund der Unterfinanzierung steigt bei den Krankenhäusern der Anreiz zur Leistungsausweitung, um die Kosten decken zu können. Und da sind wir bei den nicht selten überflüssigen Operationen, ob es die neue Hüfte ist oder die Bandscheiben-OP oder, oder. Weder dem Gesundheitssystem und überhaupt nicht den Patientinnen und Patienten ist es zuzumuten, sich unnötigen Eingriffen zu unterziehen, nur um die Finanzen des Krankenhauses in den Griff zu bekommen. So machen nicht nur Krankenhauskeime das Krankenhaus zu einem gefährlichen Ort für Menschen.

Wesentlich ist es den Krankenhäusern Zuschüsse von Seiten des Landes zukommen zu lassen, so dass sie die notwendigen Investitionen vollständig davon bestreiten können. Die Kostenerstattung für die Behandlung muss vollständig für den laufenden Betrieb genutzt werden und damit insbesondere das Personal finanziert werden.

Als Linke sind wir der Meinung, dass  das Land in Absprache mit den Kommunen und den Gesundheitskonferenzen dafür zu sorgen hat, dass eine ausreichende Versorgung im ganzen Land vorhanden ist. Auch in ländlichen Regionen müssen Menschen die Möglichkeit haben, in kürzerer Zeit eine geeignete Klinik zu erreichen. Gerade kleine Krankenhäuser vor Ort auf dem Land haben eine wichtige soziale Bedeutung. Sie sind wesentlich dafür, dass nicht immer mehr Menschen vom Land in die Stadt ziehen, weil sie sich Sorgen um ihre gesundheitliche Versorgung machen. Allerdings müssen hierfür die Krankenhäuser neben der stationären auch an der ambulanten und pflegerischen Versorgung teilnehmen können. Dies wäre eine sinnvolle Aufgabe für die landesweite Planung und die regionalen Gesundheitskonferenzen, um eine an der Bevölkerung orientierte sektorenübergreifende Gesundheitsversorgung zu installieren. Damit gäbe es auch die Chance, eher gesundheitsfördernde Aspekte ins Gesundheitswesen einziehen zu lassen statt lediglich auf Bettenzahlen und Einnahmesteigerung durch Eingriffe zu achten. Patientenorientierte Qualitätsergebnisse wären beispielsweise die Verringerung der Sterblichkeit, die Erhaltung von Gesundheit, der Grad der Wiederherstellung von Gesundheit, die Angemessenheit von genutzten Ressourcen, etc.

Schließlich sind wir mit Prof. Wulf Dietrich, dem Vorsitzenden des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte einig, dass „Krankenhäuser … in öffentliche Hand [gehören] und … nicht privaten Trägern überlassen werden [dürfen]. Fortschritt in der Medizin darf nicht vom Gewinndenken privater Konzerne und der Dividendenerwartung der Aktionäre abhängen“.

Thema: Kind und Krankenhaus

Dies wären schon ausreichende Gründe, um an dem System etwas zu ändern. Ganz besonders deutlich wird es aber, wenn es um Kinder geht. Wie der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin Prof. Dr. Norbert Wagner betont, wird es besonders bei der Pädiatrie deutlich, dass das marktwirtschaftliche System nicht funktioniert. Lukrativ sind planbare Prozeduren, dazu gehört die Kinder- und Jugendmedizin, die zu 50% Notfälle hat, aber nicht. Und da ist es nicht verwunderlich, wenn der Träger der Klinik die gewinnbringenden Stationen ausbaut auf Kosten der weniger gewinnträchtigen. Die Unterfinanzierung ist bei den Kinderkliniken besonders hoch: Herr Wagner macht eine düstere Rechnung auf: „Zwei Drittel der Kliniken waren im vergangenen Jahr defizitär, 11 % der Klinken weisen einen Verlust von mehr als 20 % auf den Umsatz aus, diese Kliniken, und darunter sind auch Universitätskinderkliniken, sind per definitionem insolvent! In der Konsequenz wird an allen Ecken und Enden gespart, so dass es quietscht. Und in der Kinder- und Jugendmedizin bedeutet das Personalabbau. Natürlich wird jedes Kind im Notfall versorgt, aber die Zeit fehlt: um das Kind in Ruhe gemeinsam mit Assistenz des Pflegepersonals zu untersuchen, die Blutentnahme unter ruhigen Bedingungen, das ausführliche Gespräch mit den Eltern über Diagnose und Therapie, die Einschätzung des psychosozialen Hintergrunds, der so wichtig ist, wie wir … wissen; all das ist eben nicht ausreichend möglich.“ Es darf nicht sein, dass kranke Kinder und Jugendliche die Verlierer in einem schlecht überlegten Krankenhausfinanzierungssystem sind, welches auf falsche Anreize setzt.

„Rettet die Kinderstation“ ist die Überschrift eines Plakates, einer Kampagne, welches in vielen Kinderkliniken aushängt und auf die bedrohliche Lage hinweist. Die Erhaltung der Kinderkrankenpflege ist ein Thema, aber auch Modelle für die flächendeckende allgemeinpädiatrische Versorgung sowie die spezialärztliche ambulante Versorgung chronisch kranker Kinder zu erreichen.

 

Thema: Altenpflege

Und nicht zuletzt werden die Menschen älter, somit nimmt auch die Pflegebedürftigkeit zu. In Hessen werden ca. drei Viertel der ungefähr 200.000 Pflegebedürftigen zu Hause versorgt. Mehr als die Hälfte aller Pflegebedürftigen werden ausschließlich von Angehörigen und Bekannten versorgt. Dies ist eine ungeheure Leistung, die weitgehend von Frauen erbracht wird, häufig von denjenigen, die sich ebenfalls um eigene Kinder kümmern müssen und oft genug berufstätig sind. Wenn Familien weiter auseinanderdriften, wie es bereits zu beobachten ist, wenn die Anzahl der Demenzerkrankungen zunimmt, die oftmals nicht mehr in der Familie betreut werden können, dann ist absehbar, dass ein weiterer Bedarf an Pflegekräften entstehen wird.

Bereits jetzt ist absehbar, dass die Pflege durch die Familie nicht mehr in dem bisherigen Maße geleistet werden kann. Laut einer aktuellen Untersuchung der TK pflegt jede_r vierte alleine, lediglich ein Drittel von diesen gibt den eigenen Gesundheitszustand als gut oder sehr gut an. Die Hälfte aller im häuslichen Umfeld Pflegenden fühlt sich oft körperlich erschöpft, 60% geben an, dass es sie viel von ihrer eigenen Kraft kostet. Mehr als ein Drittel fühlt sich hin – und hergerissen zwischen den Anforderung der Pflege und Job sowie eigener Familie. Ausschlaggebender Grund für die Übernahme der Pflegeaufnahme ist für die Hälfte der Pflegenden das Pflichtgefühl, bei den über 66 jährigen sind es sogar 61%. Dieses Pflichtgefühl und der familiäre Zusammenhalt nehmen aber bei jüngeren Generationen ab. Gerade die zunehmende Anzahl an Demenzerkrankungen fordert Pflegende enorm. In Hessen sollen dies bis 2010 125.000 Personen sein.

Die bisherige Unterstützung von Pflegenden ist nicht ausreichend, um diese kräftezehrende Aufgabe weiterhin zu leisten. Notwendig sind Strategien zur Vereinbarung von Beruf und Pflege: Ganze 135 Pflegende von mehr als zwei Millionen bundesweit nutzen im Jahr die Möglichkeit des Familienpflegezeitgesetzes, sich von der Arbeit für die Pflege von Angehörigen freistellen zu lassen. Das ist genauso wenig der große Wurf wie die Charta des Landes zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege, bei der 50 Unternehmen eine unverbindliche Absichtserklärung unterzeichnet haben, zu mindestens gibt es schon mal eine Webseite.

Wir brauchen Pflegeversicherungsleistungen, mit denen tatsächlich gute Unterstützungsleistungen für häusliche Pflegende organisiert werden können. Es müssen mehr und bessere Ansprüche auf professionelle Pflege- und Assistenzarbeit geben, die die Pflegenden unterstützt, damit die Verantwortung nicht einseitig den Familien und letztlich vor allem Frauen zugeschoben wird. Es führt deshalb kein Weg daran vorbei, die Leistungen der Pflegeversicherung auszubauen und anzuheben. Eine gerechte und solidarische Finanzierung über die solidarische Gesundheitsversicherung schafft die Grundlage dafür.  Wir fordern eine sechswöchige bezahlte Pflegezeit für Erwerbstätige, wenn ein Pflegefall neu in der Familie auftritt, Teilzeitvereinbarungen und flexible Arbeitszeitregelungen für diejenigen, die dauerhaft die Pflege übernehmen wollen. Nur mit einer echten Arbeitszeitverkürzung unter Lohnausgleich ist die Sorge für Kinder und Pflegebedürftige tatsächlich zu erbringen.

Pflegebedürftige und ihre Angehörigen brauchen unabhängige, wohnortnahe, flächendeckende Beratung. Da reichen die Pflegestützpunkte in Hessen nicht aus.

 

Wie sich die Unterwerfung des Gesundheitssystems unter die Gesetze des freien Marktwirtschaft oder sagen wir lieber des Kapitalismus darstellt, sehen wir in Zusammenhang mit dem verhandelten Freihandelsabkommen TTIP mit den USA. Nur einige Hinweise, was auf uns und die Kosten im Gesundheitswesen zukommt, wenn TTIP unterschrieben wird. Beispielsweise ist die Laufzeit von Patenten in den USA meistens länger. Somit ist zu befürchten, dass auch hier die Laufzeiten verlängert werden und vor den wesentlich günstigeren Generika geschützt sind. Das kostet die Krankenkassen und die Verbraucher_innen eine Menge Geld. Nicht einmal die Pharma-Hersteller bestreiten, dass nach zehn Jahren die Kosten für Entwicklung und Markteinführung hereingekommen sind, bei einigen Präparaten spricht man davon, dass sich die Investition bereits im zweiten Jahr amortisiert hat. Weiterhin ist zu befürchten, dass durch TTIP das hohe Niveau des Arbeitsschutzes auf die niedrigeren US-Standards abgesenkt werden und auf betriebliche Prävention verzichtet werden könnte. Vorstellbar sind auch hier Klagen von Unternehmen vor Schiedsgerichten – schließlich kostet der Arbeits- und Gesundheitsschutz die Unternehmen viel Geld. Es ist zu befürchten, dass das Werbeverbot für Medikamente, das in den USA nicht gilt, aufgehoben wird, außerdem ist es fraglich, ob die höheren Standards bei der Zulassung von Medikamenten und Hilfsmitteln erhalten werden können.

Statt das Gesundheitswesen den Bedingungen des Marktes zu unterwerfen, fordern wir ein Gesundheitssystem, das sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert.

Wir brauchen eine Umwelt ohne ständige hohe Lärm- und Schadstoffemissionen, die es uns erlaubt gesund zu bleiben. Das geht nicht bei einem ständigen Ausbau des Flughafens und der Ablagerung von Salzhalden, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Wir brauchen eine soziale Infrastruktur, so dass Familien und Lebensgemeinschaften in der Lage sind sich gesund zu ernähren, sich um ihre Kinder zu kümmern und ohne ständigen Druck ihr Leben gestalten können. Das geht nicht bei einem Hartz IV Satz, von dem man nicht leben kann, bei Arbeitsverhältnissen, die schlecht bezahlt und krankmachend sind.

Wir brauchen ein Gesundheitssystem, das die notwendigen Leistungen erbringt, so dass Menschen gesund bleiben oder gesund werden können. Das geht nicht, wenn es mehr Geld für technische Apparate statt für Diagnose und sprechende Medizin gibt.

Wir brauchen den Arzt/die Ärztin und die Gemeindepflegekraft vor Ort, die den Patient_innen helfen sich im Gesundheitsdschungel zu Recht zu finden. Das geht nicht, wenn es keine Anreize für Medizinstudierenden gibt, eine Allgemeinmedizinpraxis zu übernehmen.

Wir brauchen Fachärzt_innen und Hebammen, die für alle erreichbar sind. Das geht nicht, wenn der Verteilungskampf um die Gelder  zu Lasten der wenn die Hebammen so schlecht bezahlt werden und Kinderärzt_innen beispielsweise nicht vorhanden sind.

Wir brauchen genügend gut ausgebildetes und gut bezahltes Pflegepersonal, das seine Aufgabe in der Alten- wie in der Krankenpflege ohne Druck wahrnehmen kann. Das geht nicht, wenn auf Kosten des Personals gespart wird.

Wir brauchen Allgemeinkrankenhäuser in allen Kreisen, kommunale Kliniken, die gut vernetzt und finanziert sind, und spezialisierte Häuser mit hoher Qualität. Das geht nicht, wenn das Land den Kliniken zu wenig Geld für die Investitionen zur Verfügung stellt.

Wir brauchen ein Gesundheitssystem, das nicht den Markt, sondern den Menschen gehorcht.