140x190 marjana schottMarjana Schott

schied zum Ende der 19.Legislaturperiode aud dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren langjährigen parlamentarischen Einsatz.
  
 
  

www.marjana-schott.de
 


Reden

Rede zur Seniorenpolitik

Rede von Marjana Schott zum Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Seniorenpolitik als wichtiger Baustein – Miteinander füreinander zwischen Jung und Alt – Erfahrungswerte nutzen – Lebensqualität und Selbstbestimmung erhalten, Drucksache 19/2897 und dem Antrag der SPD betreffend Ausbildung der Altenpflege stärken – Inflationsausgleich für alle Auszubildenden gewähren, Drucksache 19/2901

– Es gilt das gesprochene Wort –

16.12.2015

Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident,

wir diskutieren hier heute einen Antrag, wenn man das Dokument überhaupt so nennen kann; den man auch betiteln könnte mit die „Lobeshymne der Regierungsfraktionen auf die eigens gestellte Regierung“.

Währenddessen haben gestern fünfzig überwiegend ältere Bürgerinnen und Bürger versucht, der Landesregierung 21.000 Unterschriften zum Erhalt des Luisenkrankenhauses in Lindenfels im Odenwald zu übergeben. Lindenfels hat nur knapp 5000 Einwohner_innen, das Krankenhaus versorgt allerdings die Umgebung. Der Bürgermeister und die engagierten Bürger_innen wollten einem sichtlich gelangweilten Mitarbeiter des Ministeriums aufzeigen, was es für Patientinnen und Patienten bedeutet, wenn sie im Krankheitsfall eine halbe bis drei viertel Stunden bis in die nächste Klinik fahren müssen.

Wohl gemerkt mit dem PKW auf sommerlichen Straßen. Natürlich ist dies nicht nur ein Thema für ältere Menschen, aber diese sind ganz besonders auf eine wohnortnahe Gesundheitsversorgung angewiesen. Einmal weil sie nicht so mobil sind und zum zweiten, weil sie als Besucher- und Patient_innen häufiger Kliniken aufsuchen müssen als junge Menschen. Statt diese Menschen, die so engagiert für den Erhalt Ihrer Klinik kämpfen, zu unterstützen und sie für ihren Einsatz zu loben, erfuhren sie nur, dass ihre Unterschriften an den Eigentümer der Klinik weitergeleitet werden sollen. Das veranlasste die Unterstützerinnen und Unterstützer des Luisenkrankenhauses geradewegs ihre Unterschriften wieder einzusammeln und mitzunehmen. 

Dies ist die Politik, die die hessische Landesregierung macht. Sie lässt die Schließung kleiner, defizitärer Krankenhäuser und interessiert sich nicht für die Gesundheitsversorgung in der Fläche.

Aber lassen Sie uns zu den anderen Themen kommen, die Seniorenpolitik ausmachen. Lassen Sie uns an konkreten Strategien und präzisen Maßnahmen arbeiten, anstatt, wie in Ihrem Antrag geschehen, hier nur heiße Luft abzulassen.

Konkret und für ein würdevolles Leben im Alter unbedingt notwendig sind in erster Linie höhere Renten. Das Ziel der Mitbestimmung, Teilhabe, kurzum Inklusion lässt sich nicht erreichen, wenn es an Grundsicherung für die älteren Bürgerinnen und Bürger fehlt. Das wäre doch mal ein Ding, wenn sich Hessen im Bund für die Erhöhung des Rentenniveaus auf mindestens 53 Prozent, für eine existenzsichernde, eine solidarische Mindestrente aussprechen und gegen die fortschreitende Privatisierung von Altersvorsorge einsetzen würde. Die Rente muss zur Wahrung des Lebensniveaus reichen und das ist in viel zu vielen Schicksalen nicht der Fall.

Altersarmut ist hierzulande die harte und traurige Realität. Mit diesem Problem vor der Haustür vom Ziel sprechen, ein Altern in Würde ermöglichen zu wollen, ist schlichtweg heuchlerisch und zeugt von vielem, nur nicht von Respekt vor älteren Generationen. Immer mehr Seniorinnen und Senioren arbeiten in einem Minijob. Dies hat in vielen Fällen nichts damit zu tun, dass es ihnen zu Hause zu langweilig ist. Im Gegenteil: viele sind auf das Geld angewiesen. Ein Zeichen dafür ist, dass sich die Zahl der Rentnerinnen und Rentner im Grundsicherungsbezug in zehn Jahren verdoppelt hat. Viele ältere Menschen scheuen aber den Weg zur Grundsicherungsbehörde. Hier wäre der Einsatz der Landesregierung für einen würdevollen Umgang mit älteren Generationen gefragt.

Eine Anmerkung, weil wir morgen wieder über die Gleichberechtigung von Frauen und Männern sprechen werden: Das Armutsrisiko von Frauen im Alter ist besonders groß. Niedriglöhne, Erwerbsunterbrechungen und Familienarbeit ziehen niedrige Renten mit sich – wesentlich niedriger als die der Männer. Das ist doppelte Diskriminierung, der umgehend entgegen gewirkt werden muss.

Vor dem Hintergrund niedriger Renten und dem Risiko der Altersarmut grenzt es an Dreistigkeit, beispielsweise im Rahmen der Initiative „Durchstarten mit 60“ davon zu sprechen, den Erfahrungsschatz von Seniorinnen und Seniorinnen praktisch nutzbar machen zu wollen. Nicht wenige müssen mit 60 durchstarten, um weitere sieben Jahre oder auch noch mehr erwerbstätig zu bleiben. Wir sehen gerade jetzt, dass aber auch viele bereit sind, nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben aktiv zu bleiben, sich zu engagieren und ihre Erfahrung weiterzugeben. Das muss entsprechend und mit aller Nachdrücklichkeit gewürdigt und geschätzt werden. Die Wirklichkeit sieht leider oft anders aus.

Ehrenamtliches Engagement in Organisationen, Verbänden und Vereinen oder das Engagement Einzelner wird missbraucht, um hauptamtliche Stellen abzubauen oder sie erst gar nicht zu schaffen. Staatliche Verantwortung wird auf Rentnerinnen und Rentner abgewälzt während der Staat unter dem Strich nicht genug Verantwortung für seine älteren Bürgerinnen und Bürger übernimmt.

Das zeigt sich auch ganz deutlich bei einem Thema, das Schwarzgrün in ihrem Antrag aufgreift: Barrierefreiheit im öffentlichen Raum. Das Übereinkom­men über die Rechte von Men­schen mit Behin­derun­gen, auch bekannt als UN-Behindertenrechtskonvention, wurde ziemlich genau vor 9 Jahren von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen und trat Mitte 2008 in Kraft. Mit der Unterzeichnung verpflichteten sich die Nationen, geeignete Maß­nah­men zu tre­f­fen, um allen Menschen gleichberechtigt Zugang zur physischen Umwelt zu  ermöglichen.

In einer Anhörung zur Änderung des Hessischen Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen auf Initiative der SPD-Fraktion vor wenigen Wochen haben die eingeladenen Vertreterinnen und Vertreter von entsprechenden Interessensverbänden eindrücklich davor gewarnt, Maßnahmen zur Gestaltung eines barrierefreien öffentlichen Raumes unter Finanzierungsvorbehalte zu stellen. Städte und Gemeinden haben den Auftrag, den unterschiedlichen Bedürfnissen und Ansprüchen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner gerecht zu werden. Wie es um die Finanzen und somit Möglichkeiten in Hessens Kommunen bestellt ist, muss ich Ihnen nicht erzählen.

Für jeden Haltestellenumbau, für jede Parkbank, für jedes kulturelle Angebot, für jedes Wohnprojekt oder Modernisierung und für den Verbleib jeder Arztpraxis muss gekämpft werden. Die Wirksamkeit der Seniorenpolitik entscheidet sich in den Kommunen – und die können sich noch so bemühen: es fehlt hinten und vorne an Mitteln, um den anhaltenden demografischen Wandel zu gestalten, um Langzeitarbeitslosigkeit und der Erosion von sozialer Infrastruktur etwas entgegenzusetzen. Seniorenpolitik darf nicht nach Kassenlage in den Kommunen gestaltet werden!

Zunehmendes Alter bedeutet nicht nur Mobilität und Engagement. Die Gruppe der Hochaltrigen ab 80 Jahre wächst am schnellsten. Laut Statistischem Bundesamt wird es 2060 fast so viele über 80-Jährige geben, wie unter 20-Jährige. Das bringt neue Herausforderungen mit sich, was die Pflege angeht. Vor diesen Herausforderungen stehen wir schon heute und damit zu dem Punkt, der uns am meisten aufstößt: Die Landesregierung habe auf Fachkräftemangel in der Pflege reagiert. Ich darf Sie an dieser Stelle auf den Hessischen Pflegemonitor verweisen. Da ist noch ziemlich viel Luft nach oben, was die Ausbildung von Fachkräften angeht. Machen wir uns nichts vor, wir haben einen Pflegenotstand. Um diesen zu beheben, müssten mehr Pflegekräfte ausgebildet werden.

Die Berufsbilder in der Pflege müssen attraktiver gestaltet werden, die Belastung des Pflegepersonals abgebaut werden. Professionelle Pflegerinnen und Pfleger verdienen unsere höchste Anerkennung, die sie de facto von der Gesellschaft kaum erfahren. Ein Indiz dafür ist auch das schmale, für diesen Einsatz viel zu schmale Portemonnaie. Sie begrüßen in Ihrem Antrag die Erhöhung der Schulgeldpauschalen für Auszubildende in der Altenpflege – das ist die erste Erhöhung seit knapp 14 Jahren. 2011 gab es sogar eine faktische Kürzung. Hierbei handelt es sich um einen Inflationsausgleich, der allerdings weder der eigens bestellten Studie noch der Vergleichbarkeit mit der Krankenpflege stand hält.

Die Altenpflegeschulen sind so lange hingehalten wurden, bis Ihnen jetzt 50 Euro im Monat zugesagt wurden. Aber nur für die neuen Auszubildenden, als wäre die Inflation an den Klassen, die bereits in der Ausbildung sind, vorüber gegangen. Hier begrüßen wir den Antrag der SPD, den wir selbstverständlich unterstützen werden.

Dass Wille an allen Ecken und Enden fehlt, zeigt auch die Situation in der Pflegepädagogik. Der Sozialminister bedauert, dass nicht hessische Hochschulen keine Pflegepädagoginnen und -pädagogen ausbilden – außer dem einzigen Masterstudiengang mit 20 Studierenden. Dieses Bedauern ist entschieden zu wenig, wenn man weiß, dass die Schulen jetzt schon keine Lehrkräfte finden und von den vorhandenen bis 2030 65 Prozent ihre Lehrtätigkeit altersbedingt aufgeben werden. Hier gibt es echten Handlungsbedarf.

Lassen Sie Ihren schönen Worten Taten folgen und zwar solche, die tatsächlich ältere Menschen in ihrer Lebensgestaltung unterstützen, Taten, die für soziale Gerechtigkeit und Anerkennung der Lebensleistung der älteren Generation sorgen.