Janine Wissler
Fraktionsvorsitzende
Raum: 217 M
0611 350 60 73
www.janine-wissler.de
Sprecherin für: Energie, Forschung, Fremdenverkehr, Gentechnologie, Kultur, Verkehrspolitik, Wirtschaft, Wissenschaft u. Kunst, Mittelstand
Reden
Atomkonzerne dürfen sich nicht aus der Verantwortung stehlen
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!
Atomkraft ist sicher, umweltfreundlich und billig – das bekam man jahrzehntelang von der Atomlobby und ihren politischen Freunden zu hören. Dass Atomkraft sicher ist, hat spätestens der zweite Super-GAU in nur 25 Jahren widerlegt – ein Ereignis, das eigentlich nur alle 10 Millionen Jahre einmal passieren dürfte. Dass Atomkraft alles andere als umweltfreundlich ist, belegen das radioaktiv verseuchte Wasser vor der Küste von Fukushima und die Umweltzerstörung durch den Uranabbau.
Das Argument, Atomkraft sei billig, dass die Atomkonzerne über Jahrzehnte hinweg wie eine Monstranz vor sich hergetragen haben, widerlegen sie gerade selbst. Wenn die Atomenergie nämlich so kostengünstig wäre, wie man immer behauptet hat, würden die Konzerne ihre Atomkraftwerke wohl kaum an den Staat übergeben wollen.
EON, RWE und EnBW wird die Abwicklung der Atomkraftwerke zu teuer. Der Betrieb lohnt sich nicht. Deswegen rufen sie jetzt nach dem Staat. Da fragt man sich wirklich, ob die Herren in den Vorstandsetagen noch ganz bei Trost sind. Über Jahrzehnte hinweg bereichert man sich schamlos auf Kosten der Stromkunden und der Steuerzahler, und jetzt will man sich aus der Verantwortung stehlen. Der Aufbau der Atomenergie hat Milliarden gekostet. Wie viel das Ende kosten wird, ist heute noch nicht absehbar. Dieselben Politiker, die in anderen Debatten gern über Generationengerechtigkeit sprechen, haben offensichtlich keine Skrupel, den nächsten Generationen immense Kosten und hoch radioaktiven Müll zu hinterlassen, der über Hunderttausende von Jahren sicher verwahrt werden muss und für den es immer noch kein Endlager gibt.
Es ist noch lange nicht Schluss. Es werden bis 2022 weiter Atomkraftwerke betrieben und es wird damit auch weiter Atommüll produziert. Nun wollen die Konzerne ihre Atomkraftwerke loswerden. Sie wollen die Risiken auf die Allgemeinheit übertragen und eine Art Bad Bank für Atomkraftwerke schaffen. Dabei gilt im Umweltrecht das Verursacherprinzip.
Es liegt in der Verantwortung der Betreiber, die Atomkraftwerke sicher zurückzubauen. Das wird eine teure und aufwendige Angelegenheit. Die Kosten für den Rückbau der deutschen AKW werden auf 40 bis 60 Milliarden € geschätzt. Die Erfahrungen zeigen: Bisherige Rückbauten waren immer teurer als vorher angenommen.
Diese Kosten wurden oft zu einem großen Teil der Allgemeinheit aufgehalst, wie beispielsweise bei der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe. Die Kosten verdreifachten sich, und am Ende zahlte der Staat mehr als 80% davon, weil die Rücklagen nicht ausgereicht haben.
Auch die prognostizierten Kosten für die Räumung der Asse stiegen über die Jahre immer weiter. Leider hat die Große Koalition 2009 ins Atomgesetz geschrieben, dass für diese Kosten der Bund aufkommen soll.
Bisher haben die Konzerne insgesamt 35 Milliarden € an Rückstellungen gebildet, und zwar durch Aufschläge auf den Strompreis, also bezahlt durch die Stromkunden. Auch das sollte man nicht vergessen.
Diese Rückstellungen sind steuerfrei, und vor allem können sie völlig frei investiert werden. Das heißt also, dieses Geld ist überhaupt nicht sicher. Es heißt vor allem auch, dass die Konzerne gleich doppelt profitieren: Zum einen sparen sie Steuern, und zum anderen müssen sie auch weniger Kredite aufnehmen, weil sie mit diesem Geld arbeiten können. Damit ist das Problem Folgendes: Die Rücklagen sind nicht sicher. Das Geld ist beispielsweise in Kohlekraftwerken oder in Beteiligungen an anderen Unternehmen angelegt. Sollten diese Geldanlagen an Wert verlieren, sollten Konzerne in wirtschaftliche Schieflage geraten oder sogar Pleite gehen, wäre dieses Geld futsch. Das ist ein Risiko, das man endlich ausräumen muss.
In dem Fall hätte nämlich allein der Staat die finanzielle Verantwortung für den Rückbau und auch für die Lagerung. Offenbar hat die Hessische Landesregierung überhaupt keine Ahnung und auch kein Interesse daran, zu erfahren, wie hoch die Rücklagen für den Rückbau des Atomkraftwerks in Biblis sind. Auf eine Anfrage der SPD-Fraktion hat die Umweltministerin geantwortet, die Höhe der Rückstellungen für den Rückbau von Biblis sei ihr zwar nicht bekannt, man gehe aber davon aus, dass ausreichend große Rückstellungen gebildet wurden. Unterschrift: Priska Hinz.
Ich muss sagen: Das ist ein bemerkenswert großes Vertrauen, das ein grün geführtes hessisches Umweltministerium in RWE setzt, und das, obwohl es gerade von diesem Konzern verklagt wird.
Sie glauben, RWE hat da vorgesorgt, die haben ausreichende Rückstellungen gebildet. Sie halten es offensichtlich nicht für nötig, einmal nachzufragen und sich anzuschauen, wie das genau aussieht. Frau Ministerin, diese Blauäugigkeit gegenüber den Atomkonzernen kann ich bei einer GRÜNEN überhaupt nicht nachvollziehen.
Die Anti-Atom-Bewegung fordert schon lange, dass man den AKW-Betreibern die Rückstellungen wegnimmt und sie in einem öffentlich-rechtlichen Fonds sichert, damit sie nicht verloren gehen. Aber damit ist es für die Konzerne nicht getan. Die finanzielle Verantwortung muss natürlich weiter bei den Atomkonzernen, also bei den Verursachern, liegen. Wenn die Rücklagen nicht ausreichen, müssen sie dafür aufkommen und nicht die Allgemeinheit.
Das, was E.ON, RWE und EnBW jetzt vorschlagen, ist aber etwas ganz anderes. Sie wollen die Kostenrisiken vollständig auf den Staat übertragen und sich mit einer viel zu niedrigen Summe freikaufen. Im Gegenzug ist man so großzügig, auf die Klagen gegen den Atomausstieg verzichten zu wollen. Damit wollten sich die Konzerne nämlich den Atomausstieg versilbern lassen und sich weiter auf Kosten der Steuerzahler bereichern. In Hessen klagt RWE gegen das Land, weil das zuständige Ministerium nicht in der Lage war, Biblis rechtssicher stillzulegen.
An der Stelle muss ich noch einmal sagen: Es war das Vorgehen der Bundesregierung und der Hessischen Landesregierung, das den Betreibern für genau diese Klagen Tür und Tor geöffnet hat. Genau davor hat die Opposition damals gewarnt.
Statt im Bundestag ein wasserdichtes Ausstiegsgesetz vorzulegen, hat man – ohne jede Rechtsgrundlage – ein dreimonatiges Moratorium verkündet. Das ist nichts anderes als eine Einladung an die Konzerne, zu klagen und sich hier Geld zurückzuholen.
Natürlich – das will ich überhaupt nicht in Abrede stellen – ist das Verhalten von RWE an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Aber es waren eben die Bundes- und die Landesregierung, die diesen Weg überhaupt erst ermöglicht haben. Herr Ministerpräsident, Sie können zum x-ten Mal sagen, Sie hätten alles richtig gemacht: Das hilft Ihnen leider überhaupt nicht, wenn die Verwaltungsgerichte in diesem Land das anders sehen.
Es ist nicht so, dass wir es hier mit Not leidenden Unternehmen zu tun hätten. Jahrzehntelang strichen die Konzerne Milliardengewinne ein. Allein zwischen 2000 und 2013 schütteten RWE, E.ON und EnBW 60 Milliarden € an ihre Aktionäre aus. Das war nur durch staatliche Subventionen möglich, die der Atomlobby in den letzten Jahrzehnten in den Rachen geworfen wurden. Umso dreister ist der aktuelle Vorstoß.
Aber man muss ehrlich sagen, so abwegig ist die Forderung der Konzerne leider nicht. In den Vorstandsetagen der Atomkonzerne hat man offensichtlich sehr genau beobachtet, wie die Politik in der Finanzkrise mit den Banken umgegangen ist. Die sind ihren Giftmüll losgeworden, und die Banken konnten die Risiken auf die Steuerzahler abwälzen.
Die Große Koalition hat die Banken damals mit Milliarden an Steuergeld unterstützt. Hier trat genau das ein, wovor die SPD in ihrem Antrag völlig zu Recht warnt: Gewinne wurden privatisiert, und die Verluste wurden sozialisiert. Wir haben damals nicht zugestimmt – aber wir waren leider die Einzigen. Auch jetzt ist die Bundesregierung offensichtlich bereit, mit den Konzernen über deren Vorschlag zu reden. In einem Interview mit der „FAZ“ erklärte Bundeskanzlerin Merkel, man werde über das Thema „Kraftwerke und ihre Altlasten“ sicher noch viele Gespräche führen. Im Grundsatz müsse es dabei bleiben, dass die Unternehmen die Verantwortung für die Entsorgung von Atommüll tragen. „Im Grundsatz“ bedeutet – so verstehe ich das –, dass es durchaus Ausnahmen geben kann. Bundeskanzlerin Merkel kündigt auch Gespräche an. Meine Damen und Herren, ich finde, eine klare Absage sieht anders aus.
Der EU-Energiekommissar Günther Oettinger geht sogar noch weiter und erklärt – sprachlich ist das ein bisschen krumm; aber ich zitiere es wörtlich –: „Der Gedanke, der jetzt in die Welt gekommen ist, ist nur vertretbar, wenn man damit auch die Rücknahme von Klagen gegen Deutschland verbindet und so im Grunde genommen zu einer Einigung kommt.“ Ich interpretiere das so, dass Herr Oettinger dem Vorschlag aufgeschlossen gegenübersteht.
Meine Damen und Herren, ich will das an der Stelle noch einmal klar sagen: Wenn DIE LINKE die Vergesellschaftung der Energiekonzerne fordert, lächeln Sie müde und tun das als Spinnerei ab. Aber wenn die Energiekonzerne die Vergesellschaftung ihrer Milliardenverluste fordern, dann kann man natürlich darüber reden. Das ist genau Ihre Logik, und dazu sagen wir: Das kann nicht angehen.
Herr Ministerpräsident, ich hätte es sehr begrüßt, wenn Sie genau zu diesen Äußerungen etwas gesagt hätten. Was gilt denn nun? Gilt das, was Herr Oettinger sagt? Ich hätte es gut gefunden, wenn Sie auch als stellvertretender CDU-Vorsitzender – der Sie ebenfalls sind – zu diesen Äußerungen des EU-Energiekommissars Stellung bezogen hätten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, vieles in Ihrem Antrag ist gut und richtig, und das meiste können wir auch teilen. Aber ich muss leider auch sagen, Sie sollten nicht vergessen, dass Sie an der Bundesregierung beteiligt sind und dass Sie mit Ihrem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel den zuständigen Wirtschafts- und Energieminister stellen. Zudem stellen Sie auch die Umweltministerin. Ich gebe zu, deshalb erschließt es sich mir nicht ganz, warum die Hessische Landesregierung jetzt ein Konzept zur Sicherung der Rückstellungen erarbeiten soll.
Angesichts der drohenden Kosten ist es geradezu ein schlechter Witz, wenn heute ernsthaft über die erneuerbaren Energien als vermeintliche Preistreiber geredet wird. Das machen Teile der Wirtschaft sowie die Vertreter der Union und der FDP gern.
Ich will etwas aus der „Wirtschaftswoche“ von dieser Woche zitieren. Die „Wirtschaftswoche“ ist weder als Zentralorgan der Ökobewegung noch als sozialistisches Kampfblatt bekannt. Dort kann man nachlesen, dass die staatliche Bezuschussung der Atomenergie bisher 201 Milliarden € verschlungen hat. Die Subventionen für Stein- und Braunkohle liegen bei 260 Milliarden €. Die Zuschüsse für die erneuerbaren Energien betragen nicht einmal die Hälfte dessen, was für Atom und Kohle bisher ausgegeben wurde. Nicht mit eingerechnet sind die ökologischen Schäden und die Folgekosten, z. B. durch die Endlagerung bei der Atomkraft und durch die CO2-Belastung bei der Kohlekraft. Diese Kosten lassen sich nicht kalkulieren.
Meine Damen und Herren, die zivile und militärische Nutzung von Atomkraft ist verantwortungslos. Die Kohlekraft belastet das Klima. Deswegen brauchen wir eine Beschleunigung der Energiewende. Das bedeutet eben nicht nur, Kohlekraft und Atomenergie durch Energie aus Wind und Sonne zu ersetzen. Wir brauchen einen Umbau und eine Demokratisierung der Energiewirtschaft; denn gerade dieser Vorstoß der Konzerne zeigt doch, was für eine Macht und was für ein Erpressungspotenzial sie Regierungen gegenüber haben. Deswegen muss die Macht dieser Konzerne gebrochen werden. Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung und die Landesregierung diesen Vorstoß zurückweisen und klarmachen, dass es kann nicht sein kann, dass diese Kosten jetzt dem Steuerzahler aufgebürdet werden.