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70 Jahre Hessen und Hessische Verfassung Verfassungsauftrag ernst nehmen – für ein gerechtes Wirtschaftssystem eintreten


Anlässlich der Sondersitzung zu ‚70 Jahre Hessen und Hessische Verfassung‘ erklärt Janine Wissler, Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag:
 
„Die Hessische Verfassung war die erste Landesverfassung, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland verabschiedet wurde. Bemerkenswert ist das klare Bekenntnis zum Frieden, zum Antifaschismus, zur Gleichheit und Freiheit der Menschen, zu sozialen Rechten und zur Beschränkung wirtschaftlicher Macht.

Der  70. Jahrestag des Inkrafttretens der Hessischen Verfassung ist auch Anlass sein, kritisch zu hinterfragen, in welcher Verfassung Hessen heute ist und wie weit die Errungenschaften und Ziele, die in der Verfassung verankert sind, verwirklicht wurden. Denn zwischen Verfassungsanspruch und Wirklichkeit klafft leider eine gewaltige Lücke.
 
Wir leben in einem Land, in der die einen mit Wohnraum spekulieren, während andere kein Obdach haben. Wir leben in einem Land, in der das Vermögen zweier hessischer Familien die Staatsverschuldung des Bundeslandes übersteigt. Wir leben in einem Land, in der Banker mit Milliarden jonglieren, während sich viele Kinder im Schatten der Bankentürme ihr Schulessen nicht leisten können.
 
 Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass – neben der Lehre: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus - eine politische Neuordnung auch eine wirtschaftliche beinhalten muss. Nicht nur von SPD und KPD, sondern bis in die Reihen der Union wurde die Auffassung vertreten, dass ‚das kapitalistische Wirtschaftssystem den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden‘ sei, wie es im Ahlener CDU-Parteiprogramm von 1947 hieß.

In der Hessischen Verfassung wurde eine Neuordnung der Wirtschaft verankert, die die Demokratisierung und Gemeinwohlorientierung ins Zentrum stellt. In Artikel 38 heißt es: ‚Die Wirtschaft des Landes hat die Aufgabe, dem Wohle des ganzen Volkes und der Befriedigung seines Bedarfs zu dienen. Zu diesem Zweck hat das Gesetz die Maßnahmen anzuordnen, die erforderlich sind, um die Erzeugung, Herstellung und Verteilung sinnvoll zu lenken und jedermann einen gerechten Anteil an dem wirtschaftlichen Ergebnis aller Arbeit zu sichern und ihn vor Ausbeutung zu schützen.‘

‚Sinnvoll lenken‘ heißt, es eben nicht dem Markt zu überlassen, wie wir es ja auch seitens anderer Fraktionen im Landtag häufig hören. Der Reichtum, der gesellschaftlich produziert wird, soll gerecht verteilt werden und nicht in den Taschen weniger landen. Denn kein Mensch kann sich ein Millionenvermögen aus eigener Arbeit verdienen.
Und in Artikel 39 heißt es: ‚Jeder Missbrauch der wirtschaftlichen Freiheit – insbesondere zu monopolistischer Machtzusammenballung und zu politischer Macht – ist untersagt. Vermögen, das die Gefahr solchen Missbrauchs wirtschaftlicher Freiheit in sich birgt, ist auf Grund gesetzlicher Bestimmungen in Gemeineigentum zu überführen.‘
Was würde es wohl bedeuten, wenn wir diesen Verfassungsartikel umsetzen würden? Was würde es bedeuten für Konzerne wie E.on und RWE, Amazon oder die in Hessen ansässige Eigentümerfamilie von BMW?“

Das Wort Privatisierung hingegen tauche in der Hessischen Verfassung gar nicht auf, so Wissler. Weder in Bezug auf Kliniken, noch in Bezug auf Justizvollzugsanstalten und anderes, was in den letzten Jahren ausverkauft worden sei.

Wissler: „Auch bei Artikel 47, den Besteuerungsgrundsätzen, klaffen Verfassungstext und Realität leider sehr weit auseinander. Darin heißt es, dass Vermögen und Einkommen progressiv nach sozialen Gesichtspunkten besteuert werden. Doch in der Realität werden Vermögen seit 1997 gar nicht mehr besteuert.
 
Wichtig ist, auf eine weitere Errungenschaft in der Verfassung hinzuweisen, die leider insbesondere von denen selten genannt wird, die uns gerne unterstellen, wir würden nicht auf dem Boden der Verfassung stehen: Das in der Hessischen Verfassung und später im Grundgesetz festgeschriebene Asylrecht.  In der Hessischen Verfassung heißt es in Artikel 7: ‚Fremde genießen den Schutz vor Auslieferung und Ausweisung, wenn sie unter Verletzung der in dieser Verfassung niedergelegten Grundrechte im Ausland verfolgt werden und nach Hessen geflohen sind.‘
 
Um es konkret zu machen: Wer die Hessische Verfassung ernst nimmt, darf Menschen nicht nach Afghanistan abschieben. Rassismus und Vorurteile bekämpft man am besten durch eine Willkommenskultur. Und es gilt, um es mit den Worten des früheren Ministerpräsidenten Georg-August Zinn zu sagen: ‚Hesse ist, wer Hesse sein will.‘ Das sollte nicht zuletzt auch die Menschen einschließen, die vor Terror und Krieg geflohen sind und sich darum bemühen, hier Fuß zu fassen und ein neues Leben zu beginnen.“

Hinweis: Rede von Janine Wissler in der Plenar-Sondersitzung anbei.

Pressestelle DIE LINKE. Fraktion im Hessischen Landtag
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