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Waffenembargo gegen die Türkei, jetzt! - Rüstungsatlas Hessen neu aufgelegt: DIE LINKE geht mit friedenspolitischen Positionen in den Landtagswahlkampf

 

Mit dem ‚Rüstungsatlas Hessen' will die Fraktion DIE LINKE die Arbeit von Gruppen und Organisationen der Friedensbewegung unterstützen und zudem im Landtagswahlkampf auch in friedenspolitischer Hinsicht klar Position beziehen. Dazu erklärt Jan Schalauske, europa- und friedenspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag:

„Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse in Nordsyrien wird deutlich, welche Brisanz Rüstungsexporte sowie skandalöse Militär- und Polizeihilfen haben.

DIE LINKE ist entsetzt, dass türkische Truppen derzeit einen völkerrechtswidrigen Angriff auf die selbstverwaltete Region Afrin im Norden Syriens verüben. Dass dies mit deutschen, teils in Hessen produzierten Waffen geschieht, wirft ein Schlaglicht auf eine verheerende Rüstungsexportpolitik, die auch einen klaren Hessen-Bezug hat. Konkret: Der in Kassel ansässige Rüstungskonzern Krauss-Maffei-Wegmann stellt die Geschütztürme für die Leopard 2-Panzer her, die derzeit Dörfer und Städte in Nordsyrien attackieren.“

Die Rüstungsexport-Praxis der Bundesregierungen unterschiedlichster Couleur habe in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine verhängnisvolle Rolle gespielt, so Schalauske. Beispiel Türkei: Obwohl laut Menschenrechtsorganisationen Misshandlungen und Folter in Polizeistationen und Gefängnissen traurige Realität seien und kurdische Dörfer unter Einsatz deutscher Waffen bombardiert würden, sei Deutschland nach den USA dennoch größter Waffenlieferant der Türkei.

Schalauske: „Derzeit tritt das Erdogan-Regime in Ankara die Meinungsfreiheit und andere Grundrechte mit Füßen. Journalistinnen und Journalisten sowie unzählige Oppositionelle, die dem Regime ein Dorn im Auge sind, werden festgenommen und verschwinden in Gefängnissen. Am Tag, als der deutschtürkische Journalist Deniz Yücel aus der Haft entlassen wurde, hat ein türkisches Gericht sechs andere Journalisten zu lebenslanger Haft verurteilt. Angesichts solcher haarsträubenden Zustände und vor dem Hintergrund des Angriffs türkischer Truppen auf das kurdische Selbstverwaltungsgebiet in Nordsyrien ist ein Waffenembargo längst überfällig.“ 

Lühr Henken, einer der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und Autor der Broschüre, ergänzt:

„Kassel ist das Zentrum der hessischen Rüstungsproduktion. Dort konzentriert sich ungefähr die Hälfte der Beschäftigten. Krauss-Maffei-Wegmann ist der größte hessische Rüstungsbetrieb und hat allein in Kassel 1.400 Beschäftigte. Aus diesem Werk wurden sämtliche Panzertürme für die Leopard 2–Kampfpanzer geliefert, so auch in die Türkei.

Aktuell sind es 104 Leopard 2 für die Bundeswehr, die von der Industrie zurückgekauft und in Kassel modernisiert werden. Exportiert wird, was und wohin es irgend möglich ist. So werden gerade 62 Leopard 2 des Typs A7+ nach Katar ausgeliefert, für 56 weitere gibt es eine Option. Das Sultanat Oman hat Interesse an 70 Leopard 2 bekundet und Krauss-Maffei-Wegmann beteiligt sich an einer Ausschreibung für Indien über 2.610 Kampfpanzer im Wert von 12 Milliarden Dollar.

Der zweitgrößte Rüstungsbetrieb in Hessen ist Rheinmetall in Kassel mit etwa 1.000 Beschäftigten. Hier werden in einem Gemeinschaftswerk von Rheinmetall und KMW komplett neu entwickelte Schützenpanzer PUMA hergestellt. Die Bundeswehr soll davon bis zum Jahr 2020 350 Exemplare erhalten, die Hälfte davon kommt aus Kassel, die andere aus Unterlüß bei Celle. Sie sind mit einem Stückpreis von 14 Millionen Euro die teuersten Schützenpanzer der Welt und haben im Wesentlichen zwei Funktionen: Einsetzbar sind sie für Panzergrenadiere im Krieg zusammen mit Kampfpanzern, aber infanteristisch Stadtkampf und zur Niederschlagung von Aufständen.

Rheinmetall in Kassel stellt zudem den Radpanzer BOXER her, der auch zur Niederschlagung von Aufständen geeignet ist. Die Bundeswehr hat davon über 400 bestellt. Es wird reges Interesse am Import der BOXER gezeigt: als mögliche Zielländer werden Ägypten, Australien, Großbritannien, Kuwait, Litauen und Saudi-Arabien genannt.

Rheinmetall in Kassel ist auch Hersteller des Radpanzers FUCHS. In Algerien entsteht gerade eine Fabrik für die Herstellung von etwa 1.000 Stück. Offiziell sollen die Radpanzer zur Grenzsicherung dienen, lassen sich aber auch zur Niederschlagung von Aufständen einsetzen.“

Eine weitere bedeutende Rüstungsfirma sei Fritz Werner in Geisenheim, so Henken. Die Firma verstehe sich als ‚idealer Partner für die Entwicklung und Umsetzung schlüsselfertiger Munitionsfabriken‘ und sei in 60 Ländern aktiv.

Zu nennen sei auch die Zentrale der DB Schenker AG in Frankfurt, die als eine der größten Logistikfirmen der Welt Waffensysteme und Ausrüstungen für die Bundeswehr und die US-Army transportiere. DB Schenker habe hier bundesweit ein Alleinstellungsmerkmal, was auch auf das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in Eschborn zutreffe.

Henken: „Das BAFA erteilt und versagt Ausfuhrgenehmigungen nach dem Außenwirtschaftsgesetz und der Außenwirtschaftsverordnung. Sensitive Voranfragen über Rüstungsgüter entscheidet es nicht selbst, sondern die Bundesregierung. Es erstellt Statistiken über die Ausfuhr von Rüstungsgütern und Kriegswaffen. 2016 lagt Deutschland nach den Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI im wenig schmeichelhaften Ranking der ‚Exporteure des Todes‘ nach den USA und Russland auf dem dritten Platz.

Insgesamt wurden 61 Firmen, die mit Rüstung zu tun haben, in Hessen erfasst. Zur ökonomischen Bedeutung der Rüstungsproduktion: Der Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) -  der Lobbyverband dieser Branche - geht in von einem durchschnittlichen Bruttoinlandsprodukt pro Beschäftigten von 100.000 Euro im Jahr aus. Schätzen wir, dass es etwa 5.000 in der Rüstungsproduktion Beschäftigte in Hessen gibt, so schaffen diese ein BIP von 500 Millionen Euro im Jahr. Das klingt nach viel, ist jedoch gemessen am BIP Hessens in Höhe von 270 Milliarden Euro 2016 wenig, nämlich weniger als 0,2 Prozent. Auch der Anteil an der Zahl der Erwerbstätigen von über 3,4 Millionen in Hessen ist mit 0,15 Prozent marginal.

Mit anderen Worten: Eine sozialverträgliche Konversion von Rüstungsgütern in zivile Produkte, begleitet von einem steuerlich finanzierten umfassenden Konversionsprogramm, wäre gesellschaftlich verkraftbar.“

Schalauske: „DIE LINKE hat 2011, also drei Jahre nach ihrem erstmaligen Einzug in den Hessischen Landtag, den ersten Rüstungsatlas Hessen vorgelegt. Nun liegt eine überarbeitete, aktualisierte Version vor, die zum einen Gruppen der Friedensbewegung wichtige Informationen an die Hand geben soll. Und zum anderen wollen wir deutlich machen, dass wir den Artikel 69 der Hessischen Verfassung weiterhin als Richtschnur unserer politischen Arbeit ansehen. In dem Verfassungsartikel heißt es, entsprechend einem Artikel im Grundgesetz: ‚Der Krieg ist geächtet. (…) ‚Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig‘.

Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete zu liefern sowie Despoten und Folter-Regimen Polizei- und Rüstungshilfe zukommen zu lassen, ist mit diesem Verfassungsartikel schlicht nicht vereinbar. Zusammen mit Organisationen und Gruppen der Friedensbewegung tritt DIE LINKE. ohne Wenn und Aber für ein Ende der skrupellosen Rüstungsexportpolitik ein, damit nicht länger deutsche Waffen in allen Krisen- und Kriegsregionen dieser Welt anzutreffen sind.“

 

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