Hermann Schaus
Parlamentarischer Geschäftsführer
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Sprecher für: Gewerkschaften, Innenpolitik, Kirchen, Sport, Kommunalpolitik, Antifaschismus
Reden
Rede zur Großen Anfrage der SPD
Hermann Schaus Rede zur Großen Anfrage der SPD
Betreff. Kenntnisstand zu rechtsextremen und neonazistischen Strukturen in Hessen (DS 19/1759)
Herr Präsident / Frau Präsidentin,
meine Damen und Herren,
ich möchte gleich zu Beginn der SPD danken für Ihre Initiative und die Mühe, die sie sich mit der Großen Anfrage gemacht hat.
Die vielen Themenbereiche und Fragen, sind notwendig und wichtig, um rechtsradikale und neonazistische Strukturen in Hessen zu verstehen. Auch DIE LINKE hat immer wieder einzelne Anfragen dazu gestellt. Und zusammen mit dem, was wir im NSU-Untersuchungsausschuss ermitteln, ergibt sich mehr und mehr ein Gesamtbild.
Fakt ist: Alle 30 Sekunden wird in Deutschland eine Straftat durch Neo-Nazis begangen. Darunter 1 bis 2 Gewalttaten pro Tag. Soweit die offizielle Statistik. Das Dunkelfeld – sagen Experten – sei wesentlich größer.
Das heißt: Auch am heutigen Tag werden ein bis zwei Menschen in Deutschland durch Nazis eingeschüchtert, verprügelt, gejagt, alles aus rassistischem Hass. Und morgen wieder.
In Hessen sind es laut Landesregierung pro Monat zwei Gewalttaten. So ist das seit Jahren.
Es sind unschuldige Menschen, oftmals Arme, Geflüchtete, Wehrlose. Jeder der nicht selbst Nazi ist, ist potentiell Opfer: Schwule und Lesben, Linke und Gewerkschafter, Flüchtlinge und Migranten, Christen und engagierte Bürgerinnen oder Bürgermeister.
Wir müssen mit aller Deutlichkeit klarmachen: Rassismus hat in Hessen keinen Platz! Und jeder ist in der Pflicht, sich Rassisten in den Weg zu stellen und Opfern zu helfen!
Die für mich entscheidende Frage ist: Tun wir als Gesellschaft insgesamt genug, um diese Verbrechen zu verhindern und wo dies nicht möglich ist, den Opfern zu helfen und die Täter mit allen Mitteln zu strafen. Ich sage nein. Das tun wir leider nicht.
Woran liegt das? Ich sage es hat historische Gründe, die uns bis heute prägen. Nach Faschismus und Holocaust hat sich in Deutschland eine Kultur der Scham und des Verschweigens entwickelt.
Zudem hat die Entnazifizierung hatte große Lücken, dies hat nicht zuletzt auch das Symposium zur NS-Vergangenheit hessischer Landtagsabgeordneter aufgezeigt .
Heute wissen wir, dass eine Vielzahl von Tätern zumeist völlig nahtlos ins neue System über gingen.
Im neu aufzubauenden Land und dem folgenden Kalten Krieg integrierte man diese Täter und fügte den Opfern damit ein zweites Unrecht zu.
Auch über rechte Terror-Gruppen nach 1945 wurde geschwiegen. Rechten Terror gab es immer, auch in Hessen:
· den Bund Deutscher Jugend in den 50er Jahren mit Waffenlagern und Todeslisten
· die para-militärischen Gladio-Verbände, welche bis in die 90er Jahre in ganz Westeuropa Bomben-Attentate verübten, eingegliedert in Geheimdienste und die NATO. Das Europäische Parlament drückte darüber nach einer Sonderdebatte am 22. November 1990 seinen „entschiedenen Protest“ gegenüber der NATO und den beteiligten Geheimdiensten aus. Die Akten in Deutschland bleiben aber gesperrt.
· Das Oktoberfest-Attentat: Der schlimmste Terror-Anschlag der bundesdeutschen Geschichte mit 13 Toten und über 200 Verletzten. Bis heute hält die Bundesregierung die wenigen, noch nicht vernichteten Akten zurück, um rechte V-Leute zu schützen
· Die großen Waffenlager des Herrn Lembke, in denen auch die Fingerabdrücke des Wiesbadener Nazis Peter Naumann – genannt „Bombenhirn“ - gefunden wurden, mit hunderten Kilo Sprengstoff, Maschinengewehren, Panzerfäusten, und Munition.
· Die Hepp-Kexel-Gruppe: Nazi-Terroristen, die im Rhein-Main-Gebiet in den 80ern Banken überfielen und Sprengstoff-Anschläge verübten.
· Und in den Jahren 1998 - 2011 der NSU, dessen Taten und Umfeld bis heute im Dunkeln liegen
Es ist immer dasselbe Muster: Kaum jemand will sich vorstellen, dass es bei uns immer noch Nazi-Terror gibt. Der ehemalige Obmann der FDP im NSU-Ausschuss des Deutschen Bundestages hat vor wenigen Tagen hier bei uns im hessischen NSU-Ausschuss gesagt: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Die Gefahr durch rechte Gewalt und rechten Terror wurde und wird weiter systematisch ausgeblendet, so Hartfrid Wolff.
Diesem „nicht-Sehen-Wollen“ müssen wir uns auch in Hessen stellen. Damit Nazi-Terror und Nazi-Gewalt nicht länger verschwiegen oder begünstigt werden.
Diese These, der historisch bedingten gesellschaftspolitischen Blindheit will ich nun durch weitere Fakten aus den Antworten der Landesregierung unterlegen.
Was mir sofort an den Straftat-Statistiken aufgefallen ist, ist die sehr grobe Erfassung in Sammelgruppen, die nur über den langjährigen Verlauf Schlüsse zulassen.
Meine erste Forderung an die Landesregierung ist deshalb, dass sie Nazi-Gewalt zukünftig so erfasst, dass man damit auch etwas anfangen kann. Das ist auch eine Forderung des Bundestages und eine Forderung der Polizei, dass es endlich Verlaufsstatistiken gibt. Das muss endlich umgesetzt werden!
Immerhin: Was im langjährigen Verlauf sichtbar wird, ist:
· dass einem Viertel aller Straftaten kein Täter zugeordnet werden kann,
· dass die Hälfte aller eingeleiteten Verfahren eingestellt wird
· und nicht einmal 10 Prozent aller Verfahren zu tatsächlichen Verurteilungen führen.
Wenn man die gleichen Maßstäbe anlegt, die der Innenminister stets in seiner polizeilichen Kriminalstatistik anwendet, bei denen über 50 Prozent aller Straftaten angeblich aufgeklärt werden, dann kommen wir bei der Aufklärung von Nazi-Gewalt statistisch ganz unterdurchschnittlich schlecht weg.
Denn wenn nicht einmal 10 Prozent aller eingeleiteten Verfahren zu Verurteilungen führen, haben wir in diesem Bereich doch ein ernstes Problem!
Zweites Beispiel: Verbote von Organisationen.
Ich habe im Innenausschuss der Landesregierung jüngst vorgeworfen, dass man mittelbar, durch Passivität zur Eintragung des kriminellen Nazi-Vereins „Sturm 18“ beigetragen hat, obwohl bekannt war, dass deren Mitglieder und vor Allem ihr bundesweit bekannter Anführer, Bernd T., dutzende schwerster Straftaten begangen hatte und der Kasseler Rechtspfleger, der sich seinerzeit hilfesuchend an das Innenministerium wandte keine angemessene Unterstützung erhielt. Inzwischen haben Mitglieder dieser „kriminellen Vereinigung e.V.“ zahlreiche weitere Straftaten begangen.
Tatsache ist: Anders als in andere Bundesländer hat die hessische Landesregierung noch nie eine Nazi-Gruppierung verboten. Sogar der Bund hat in Hessen angesiedelte Organisationen verboten, aber niemals Hessen selbst.
Wir erwarten, dass die Landesregierung endlich, nach fast einjähriger Prüfung handelt! Verbieten Sie Organisationen wie „Sturm 18“, deren Mitglieder seit nun über 15 Jahren schwerste Straftaten begehen, von Bombenbau-Anleitungen, über Todeslisten und schweren Körperverletzungen usw. usw.
Die Landesregierung muss endlich handeln!
Drittens will ich einige Beispiele nennen, bei denen die Landesregierung offensichtlich falsche Angaben macht:
Im NSU-Untersuchungsausschuss spielt die kriminelle Vereinigung Blood & Honour eine zentrale Rolle. Insbesondere sind Konzerte von Blood & Honour in Kassel von besonderer Bedeutung. Dass es diese Konzerte in Kassel häufig und langjährig gab, steht fest.
Und angeblich war dort auch der NSU präsent. Das wurde mehrfach so ausgesagt, in München und bei uns im Ausschuss.
Obwohl die Landesregierung in den Sitzungen des NSU –UNA vertreten ist und das ja auch wissen muss, gab es laut Antwort der Landesregierung kein einziges dieser Neonazi-Konzerte in Kassel. Auch das Wichtige im NSU-Kontext, nämlich das Oidoxie-Konzert von 2006 taucht im Bericht nicht auf.
Da frage ich Sie Herr Minister Beuth: Wiedersprechen sie ernsthaft allen Ausführungen und Zeugenaussagen dazu? Oder hat ihre Behörde nach so vielen Jahren immer noch nicht einmal den Kenntnisstand den örtliche Zeitungen haben?
Letzter Punkt: Wir haben die Landesregierung vor kurzem gefragt, ob sie bei der AfD rechte Tendenzen erkennt und wie sie diese einschätzt.
Jeder der googlen und lesen kann weiß: In der AfD sammeln sich ehemalige Mitglieder der rechtsextremen Partei „Die Rechte“ und der „Republikaner“, es gibt Beziehungen des Thüringer AfD-Vorsitzenden zur NPD, Beziehungen zu Kagida, LeGiDa, Pegida, es gab Vorschläge der AfD das Wahlrecht für Arbeitslose abzuschaffen, also klar grundgesetzwidrig usw. usw.
Inzwischen streitet die AfD in aller Öffentlichkeit: Der rechte - und der rechtsaußen Flügel bekriegen sich.
Und was erzählt uns die Landesregierung und der Verfassungsschutz, Zitat: „in Bezug auf die AfD liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen vor.“
Das ist vor Allem im Bezug auf die Hessische AfD, in dem sich mit am deutlichsten die Rechtsaußen durchgesetzt haben, geradezu grotesk!
Was ist denn das für ein Frühwarnsystem vor Extremismus, wenn Sie die offensichtlichsten Fakten über den rechten Rand schlicht leugnen.
Meine Damen und Herren, die Erkenntnisse aus der vorliegenden Großen Anfrage wären es wert, einen ganzen Tag lang besprochen zu werden. Dies ist in 10 Minuten natürlich nicht möglich.
Der Kern des Problems ist meines Erachtens, dass wir gesamtgesellschaftlich dem Rassismus, dem Alltag rechter Straftaten und rechter Gewalt merkwürdig passiv gegenüber stehen.
Ich habe versucht deutlich zu machen, dass ich historische Gründe dafür sehe, eine Kultur und politische Struktur des Verschweigens.
Natürlich findet man Länder, in denen ist alles noch viel schlimmer. Doch offen rassistische Kulturen sollten nicht unser Maßstab sein.
Hessen ist ein schönes, ein vielfältiges und ein buntes Land. Wir sollten diejenigen begrüßen und aufnehmen, die uns hierbei bereichern können und wollen.
Und Nazis und Rassisten sind die letzten, die wir dabei brauchen.