140x190 Gabi Faulhaber WebsiteGabi Faulhaber

schied zum Ende der 19.Legislaturperiode aud dem Landtag aus.
Die Fraktion dankt Ihr für Ihren parlamentarischen Einsatz.


 
  
 


Reden

FDP-Antrag: Digitale Bildung als Chance begreifen

Rede von Gabi Faulhaber am 23.März 2018 im Hessischen Landtag

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Natürlich gibt es Gründe, warum man sich im Landtag mit digitalem Lernen befassen muss. Insofern ist der Antrag der FDP zu begrüßen; denn er eröffnet die Möglichkeit, dieses Thema hier zu behandeln. Leider beschränkt sich der Antrag in den meisten Punkten auf die Ausstattung der Schulen mit technischen Geräten und behandelt die Punkte sehr oberflächlich, die sich mit Erziehung und Bildung im digitalen Bereich auseinandersetzen. Ich mache das an drei Beispielen deutlich.

Unter Punkt 1 des Antrags heißt es, „dass neue Technologien und Methoden Raum für Kreativität und Neugier bieten und immer wichtiger für spätere Berufe werden“. Klar, für spätere Berufe ist ein gekonnter Umgang mit digitalen Medien sicher unabdingbar; aber Kreativität erwerben Kinder in diesem Feld eher begrenzt. Wenn die FDP damit die Notwendigkeit des Einsatzes digitaler Medien in den Schulen begründen will, kann man nur sagen: Werte Damen und Herren, beschäftigen Sie sich einmal mit Entwicklungspsychologie. Kreativität und Neugier erwerben Kinder beim Begreifen, Bewegen und Handeln. Kreativität entwickelt sich zunächst analog: in der Erkundung der Welt und in der Interaktion mit ihr. Virtuelle Kreativität ist davon abhängig, dass man diese Entwicklungsschritte gehen und die Voraussetzungen für abstraktes Denken erwerben konnte.

(Beifall bei der LINKEN)

Unter Punkt 2 Ihres Antrags steht neben einigem Richtigen, Sie sehen digitale Medien als Möglichkeit zur Binnendifferenzierung. Ich bin Sonderpädagogin und kann Ihnen sagen: Bei der Binnendifferenzierung ist es viel wichtiger, dass die Lehrkräfte diagnostische Fähigkeiten haben und erkennen, warum ein Kind etwas nicht begreifen kann. Als Nächstes müssen Lehrkräfte wissen, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit ein Kind die Schritte zum Verständnis auch gehen kann. Bevor ich es vor den Computer setze und mit Übungen beschäftige, brauche ich als Lehrerin eine Vorstellung
davon, ob nur ein Lernrückstand aufgeholt oder vielleicht erst die Wahrnehmung aufgebaut werden muss. Natürlich muss ich wissen, wie sich das Denken – entwicklungspsychologisch gesehen – entwickelt. Das sind die wichtigen Dinge bei der Binnendifferenzierung, nicht aber, ob man einen Computer mehr oder weniger hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit digitalen Medien löst man nicht die Herausforderungen eines Bildungssystems der Zukunft, jedenfalls nicht allein. Sie schreiben unter Punkt 5, 50 Millionen € jährlich müssten in die digitale Bildung investiert werden. Sie meinen aber nicht Bildung, sondern die Ausstattung der Schulen mit technischen Geräten; das ist jedoch etwas ganz anderes.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit das nicht falsch verstanden wird: Ich bin nicht gegen Geld für die Ausstattung von Schulen mit technischen Geräten. Aber die Herausforderungen an ein Bildungssystem der Zukunft liegen vielmehr in der Gewährleistung einer guten individuellen Förderung, in einem vielfältigen Angebot von Möglichkeiten, die die Kreativität wirklich fördern, und in der Minderung von Chancenungerechtigkeit – kurz gesagt: in einer Schule, die eigenständiges, kritisches Denken befördert.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In dem Sinne sind digitale Medien in der Schule nur ein Arbeitsmittel wie andere auch. Klar ist – Frau Geis hat darauf hingewiesen –, nicht alle Schülerinnen und Schüler finden zu Hause digitale Medien vor, was mit der finanziellen Ausstattung des Elternhauses zusammenhängt. Die Schule muss digitale Medien vorhalten und die Schüler im Umgang damit erziehen. Aber dazu komme ich gleich. Für die Idee, die diesem Antrag zugrunde liegt, ist Kapitel 14 des Abschlussberichts der Enquetekommission „Bildung“ eine gute Ausgangsbasis. Dort wurden die Möglichkeiten und die Probleme der Digitalisierung
differenziert dargestellt. Sowohl die Einlassungen der Sachverständigen als auch die übereinstimmenden Handlungsempfehlungen der Fraktionen zeigen zweierlei: Einerseits sollen die Schulen mit digitalen Medien ausgestattet werden. Andererseits ist digitale Bildung vor allem die Erziehung zur Medienmündigkeit

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und eine Prävention gegen Manipulation, gegen Sucht und gegen Cybermobbing – eben der kritische Umgang mit der Technologie. Nicht umsonst ist dieses Kapitel das nachdenklichste und kritischste des Berichts der Enquetekommission.

Tatsächlich müssen nämlich zahlreiche pädagogische Fragen geklärt werden, bevor den Schulen ein umfassendes Konzept zur digitalen Arbeit vorgelegt werden kann. Derzeit sind noch nicht einmal diese grundlegenden Fragen geklärt: Ab wann sollen Kinder in der Schule mit digitalen Medien konfrontiert werden? Welche Gefahren müssen berücksichtigt und thematisiert werden? Welche Fortbildungen sind für alle Lehrkräfte diesbezüglich notwendig? Wir stehen bei diesem Thema noch ganz am Anfang, und das muss sich dringend ändern. Wir sollten unbedingt zu einer Diskussion über die Frage kommen, wie und mit welchen Inhalten zukünftig in den Schulen auf dem Feld der Digitalisierung gearbeitet werden soll. Ich frage Sie daher: Wann ist der Zeitpunkt, und wo ist der Ort, um sich konstruktiv und über Parteigrenzen hinweg mit diesen Fragestellungen
gründlich auseinanderzusetzen?

(Beifall bei der LINKEN)

Dem Zufall oder der einzelnen Lehrkraft kann man die Digitalisierung nicht überlassen. Da ist diese Landesregierung längst in der Verantwortung. Aber ich fände eine Arbeitsgruppe notwendig, die sich mit den Basics auseinandersetzt und dazu Fachleute aller relevanten Richtungen einlädt, vom IT-Spezialisten über Entwicklungspsychologen und Pädagogen bis zum Motorikforscher und den zuständigen Politikerinnen und Politikern. Die müssten alle zusammengebracht werden. Da reicht das Programm „Schule@Zukunft“ bei Weitem nicht aus.

Natürlich brauchen Schulen auch digitale Arbeitsmittel. Das gilt ganz besonders für die Berufsschulen. Die müssen meiner Ansicht nach zuerst ausgestattet werden. Dagegen habe ich auch nicht so viele Vorbehalte. Die Frage nach den Mitteln, um allgemeinbildende Schulen mit technischen Geräten auszustatten, ist aber nicht erstrangig. Wenn wir nicht einmal wissen, ab wann und in welcher Form wir digital arbeiten wollen, können wir auch keine Aussage darüber treffen, wie viel Geld wir in die Hand nehmen müssen,
um alle Schulen bedarfsgerecht auszustatten.

„Keine Ausstattung von Schulen ohne Konzept“, formuliert der Bericht der Enquetekommission. Weiter steht dort sehr richtig:

Mit Programmen, welche sich ausschließlich auf die Anschaffung von Computer-Hard- und Software konzentrieren, ist niemandem geholfen. Im Hinblick auf die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen muss klar erkennbar sein, welche Zielsetzungen verfolgt werden und welcher wissenschaftlich belegbare Nutzen für den Unterricht und die Schulorganisation durch den Einsatz entsprechender Technik erreicht werden kann. Diese Zielsetzungen müssen in die Curricula und Unterrichtskonzepte und Schulprogramme eingebunden werden.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was die Digitalisierung betrifft, müssen wir also dringend weiterkommen. Aber leider springt dieser Antrag der FDP-Fraktion viel zu kurz. Dennoch bin auch ich der Meinung, man kann nicht immer nur sagen: „Wir müssen erst einmal anfangen“; denn es ist schon eine Zeit lang klar, dass diese Entwicklung bevorsteht und wir als Gesellschaft mittendrin sind. Mit der Ausarbeitung entsprechender Konzepte und Curricula muss jetzt mit Nachdruck begonnen werden; denn da sind wir, ebenso wie bei einer Konzeption für die Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte, nicht vorne, sondern hintendran. Das kann man nicht weiter nach hinten schieben. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)