140x190 barbara cardenasBarbara Cárdenas

hat zum 31.10 2016 Ihr Mandat im Hessischen Landtag aus persönlichen Gründen niedergelegt.

Die Fraktion dankt Ihr für Ihren mehr als achtjährigen parlamentarischen Einsatz.



  


Reden

Scheinheilige Landesregierung: Bürokratische Hürden verhindern Aufnahme von weiteren Flüchtlingen

- unkorrigiertes Redmanuskript, es gilt das gesprochene Wort -

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

erstaunt mussten wir beobachten, wie Innenminister Beuth sich gegen eine Aufstockung des Kontingents für die Aufnahme syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge von 10.000 auf 20.000 Personen wehrte – eine Größenordnung übrigens, die weit hinter den mehr als 76.000 Anträgen für Angehörige von in Deutschland lebenden Syrern zurückbleibt – und erst dann einlenkte, als klar war, dass der Bund für die Kosten aufkommt.

Wenn Innenminister Beuth fordert, dass zunächst die bestehenden Programme ausgeschöpft werden müssten, dann verschweigt er listig, dass diese Kontingente deswegen nicht ausgeschöpft werden können, weil Anträge nur schleppend bearbeitet werden, weil die für das hessische Kontingent aufgestellten Hürden – insbesondere im Hinblick auf die finanzielle Leistungsfähigkeit in Deutschland lebender Angehöriger – derart hoch angesetzt sind, dass sie komplett an den Realitäten vorbeigehen.

Hessen will Solidarität zum Nulltarif. Hessens Hilfsangebot richtet sich nur an die Wohlhabenden unter den Flüchtlingen. Wer Schutz vor dem Bürgerkrieg in Syrien sucht, muss einen in Deutschland lebenden Verwandten vorweisen können, der bereit ist, für sämtliche Kosten mit Ausnahme der Krankheitskosten aufzukommen.

Wenn Innenminister Beuth ernsthaft daran interessiert ist, dass dieses Aufnahmeprogramm ausgeschöpft wird, dann möge er doch bitte ein realistisches Angebot an Schutzsuchende unterbreiten. Wer so tut, als würde er helfen wollen, seine Hilfe aber an nicht erfüllbare Voraussetzungen knüpft, handelt unmoralisch. Wer aber das Aufnahmekontingent, das nicht ausgeschöpft worden ist, weil es nicht ausgeschöpft werden kann, als Argumentationshilfe nimmt, um weitere Hilfen zu verweigern, handelt zynisch.

Das Markenzeichen schwarzgrüner Flüchtlingspolitik – und das kristallisiert sich immer mehr heraus – ist eine Politik der Ignoranz und Härte, die einhergeht mit einer wohlwollenden Rhetorik, die besonders gerne Schlagwörter wie „Menschenrechte“ und „gelebte Humanität“ einstreut.

Die Realität jedoch spricht eine andere Sprache: Hessen hat vergangene Woche drei Asylbewerber aus Eritrea mit einem eigens zu diesem Zweck gecharterten Flugzeug nach Italien abgeschoben.

Diese Landesregierung, die finanziell überforderten Kommunen die für eine menschenwürdige Aufnahme von Geflüchteten erforderlichen Mittel verweigert, die wegschaut, wenn Geflüchtete mitten in Hessen in rostenden Stahlcontainern untergebracht werden, scheut keinen noch so großen organisatorischen und finanziellen Aufwand, um drei Asylbewerber von Frankfurt nach Italien abzuschieben.

Wir fragen die Landesregierung: Ist das die „gelebte Humanität“, die angeblich im Mittelpunkt hessischer Asyl- und Flüchtlingspolitik steht?

Wir fragen die Landesregierung weiter: Was ist mit den Menschenrechten, die angeblich auch im Mittelpunkt hessischer Asyl- und Flüchtlingspolitik stehen, wenn die Landesregierung sich noch nicht einmal an die Mindeststandards der europäischen Rückführungsrichtlinie hält und entgegen kaum missverständlicher Bestimmungen dieser Richtlinie Abschiebungshäftlinge im Gefängnis unterbringt?

Wie ist es insgesamt um das Rechtsverständnis dieser Landesregierung bestellt, wenn reihenweise Gerichte, vom Landgericht Kassel bis hin zum Bundesgerichtshof, die Landesregierung darauf hinweisen, dass es rechtswidrig ist, Flüchtlinge wie Straftäter zu behandeln und sie ins Gefängnis zu stecken, und die Landesregierung – obwohl sie von den Gerichtsentscheidungen weiß, obwohl sie weiß, dass sogar die Generalanwaltschaft am europäischen Gerichtshof von der Rechtswidrigkeit der hessischen Praxis ausgeht – trotzdem so tut, als ginge sie das alles nichts an?

Wir schließen uns der Forderung der Diakonie Hessen und Pro Asyl an: die hessische Praxis, Abschiebungshäftlinge im Gefängnis unterzubringen, muss aufhören. Wir fordern die Landesregierung auf, unverzüglich die Freilassung der Betroffenen aus der Justizvollzugsanstalt Preungesheim zu veranlassen.